Siehst du heute Potential für die FAU, an Zeiten vor 1933 anzuknüpfen, oder sollte sie sich deiner Einschätzung nach auf andere Branchen oder Regionen konzentrieren?
Schon in den 1920/30er Jahren hatten syndikalistische Organisationen massive Probleme, den fortschreitenden wirtschaftlichen Rationalisierungen entgegenzutreten. Die Kapitalisten entließen massenweise revolutionäre Arbeiter. In den Großbetrieben blieben somit diejenigen übrig, die sich treu dem kapitalistischen System andienten. Das ist bis heute so geblieben. Dem Syndikalismus ist es nicht mehr gelungen, dort Fuß zu fassen, das Netz der zentralgewerkschaftlichen Sozialpartnerschaft schlang sich immer enger um sozialrevolutionäre Potenziale in den Betrieben. Betrachten wir diejenigen Branchen, in denen die Syndikalisten vor 1933 aktiv waren:
Von Industrieverlagerungen ins Ausland sind besonders betroffen; der Bergbau, die Textilindustrie und die Metallindustrie. Diese Bereiche sind somit in Deutschland schwer syndikalistisch zu organisieren. Von Rationalisierungen betroffen sind zwar alle Industrien. Am wenigsten noch der Baubereich, hier werden im Gegenteil, Scharen an Gastarbeitern angeworben.
Daher ist es kein Wunder, dass die FAU Berlin jüngst ausgerechnet im Bausektor unter den rumänischen Gastarbeitern intervenieren konnte, Stichwort „Mall of Shame“. Ähnliches könnte in den Verkehrsbetrieben gelingen, bzw. bei Logistik und Transport, Branchen, die nach wie vor boomen. Dorthin passt der Kampf der FAU-Berlin bei „Deliveroo“ und „Foodora“.
Die FAU hat seit einigen Jahren ihr Augenmerk auf Bereiche mit prekärer Beschäftigung gerichtet. Denn sie hat momentan nur dort eine Chance, wo es keine konkurrierenden Zentralgewerkschaften gibt. Diese investieren dort nicht, weil sich die Organisation, wirtschaftlich betrachtet, nicht lohnt, vor allem im Dienstleistungsbereich. So konnte die FAU-Dresden in der Gastronomie kleine Achtungserfolge erzielen und die FAU-Jena organisiert studentische Hilfskräfte. Ihnen geht es um konkrete Hilfen und nicht um den Aufbau rentabler Gewerkschaftsstrukturen.
Der Syndikalismus entsteht immer aus konkreter Praxis heraus. Stabilisiert wird er im Bewußtsein jedoch erst durch die Auseinandersetzung mit seinen Ideen und mit seiner Geschichte. Die FAU könnte zum beruflichen Austausch bundesweite Brancheninitiativen bilden und ggf. schauen, wo die Kräfte zusammengefasst werden könnten. Für die Gründung von Industrieföderationen ist sie noch zu schwach, aber sie beginnt stets mit branchenspezifischen Austausch. In den 1980er Jahren brachte die FAU mehrere branchenbezogene Rundbriefe heraus.
Ein boomendes Betätigungsfeld tut sich in der Pflege auf. Dort wimmelt es von prekär, bzw. illegal Beschäftigten. Die unerträglichen Zustände in Heimen und Einrichtungen schreien geradezu nach syndikalistischem Bewußtsein gegen den Pflegenotstand. Hier ist die Zentralgewerkschaft „Verdi“ derart überfordert, dass sie kontinuierlich durch Basisgruppen ausgehebelt werden könnte. Doch an dieser Stelle stellt sich ein sehr großes Problem:
Denn mit welcher Vehemenz und perfiden Methoden die Zentralgewerkschaften, Staat und Presse gemeinsam gegen alternative Gewerkschaften vorgehen, läßt sich gut am Beispiel der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) verdeutlichen, die vor wenigen Jahren in einem aufsehenerregenden Arbeitskampf stand. Ein Blick lohnt sich auch auf die Geschichte der „Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO). Auch gegen die FAU kam es seitens der DGB-Gewerkschaften zu Interventionen, beispielsweise von VerDi 2001 in Bremen in einem Konflikt bei der „Lebenshilfe“, von der IG-Metall 2007 in Nordhausen im Zuge der „Strike-Bike“ Kampagne und von VerDi 2009 in Berlin im Konflikt beim Kino „Babylon“. Auch reagierte die GEW im Zuge der FAU-Bildungssyndikatsinitiativen um das Jahr 2000 mit Gründungen bzw. verstärkter Aktivität an Universitäten. Überall, wo die FAU betriebliche Kämpfe führt, die auf Tarifabschlüsse hinauslaufen könnten, schaltet die Kapitalistenseite die entsprechenden DGB-Gewerkschaften ein, um mögliche Verhandlungen mit der FAU zu unterlaufen. Als juristischer Hebel dient ihnen dabei die mangelnde „Tariffähigkeit“ bzw. „Tarifwilligkeit“ der FAU. Diese Strategie funktioniert auch dann im Sinne der Sozialpartnerschaft, wenn die DGB-Gewerkschaften im Betrieb nur eine Minderheit repräsentiert.
Sollte die FAU weiter anwachsen, steht ihr Ärger ungleich größeren Ausmaßes ins Haus, auf den sie sich strategisch nachhaltig vorbereiten sollte. Die Frage lautet stets, ob sie sich dabei auf ein sie benachteiligendes Rechtssystem stützen, oder ob sie ihre ureigenen syndikalistischen Kampfmethoden stärker kultivieren sollte, die da lauten: Streik, Sabotage und Boykott. Beides kann von Fall zu Fall sinnvoll sein oder sich sogar ergänzen. Eine andere Aufgabe besteht darin, bei wachsendem Erfolg nicht zu einer Dienstleitungsorganisation zu verkommen, sondern im Auge zu behalten, dass lebendige Gewerkschaften aus eigenständig denkenden, aktiven, selbstbewußten und erprobten Mitgliedern bestehen.
Ein weiteres seit Bestehen der Arbeiterbewegung ungelöstes Problem besteht in der Organisierung auf dem Land. Der Syndikalismus war in Deutschland ein klassisches Industriephänomen und teilte damit das Schicksal der anderen Gewerkschaften. Wie funktioniert Syndikalismus in den Kleinstädten oder in den Dörfern? Auch dazu bedarf es strategischer Ausarbeitungen und Ideen.
Gegen die tradierte deutsche Obrigkeitshörigkeit hilft vielleicht die verstärkte Organisierung von Gastarbeitern, die widerständigere Kulturen mitbringen und das nötige Ehrgefühl, das servilen deutschen Kollegen so häufig abgeht. Ich erinnere dabei gerne an den selbstorganisierten Streik bei Ford in Köln 1973.
International waren die Anarcho-Syndikalisten seit 1922 in der Internationalen Arbeiter-Assoziation organisiert. Was haben sie sich davon versprochen und was konnte tatsächlich umgesetzt werden?
Die Gründung, oder besser, Wiedergründung der IAA in der Tradition der Ersten Internationale von 1864 war dringend geboten, weil die autoritär-kommunistische Organisation sich anschickte, bestehende anarcho-syndikalistische Gewerkschaften unter die Kontrolle Moskaus zu bekommen. Dagegen wehrten sich viele antiautoritäre Gewerkschaften, hatten ihrerseits jedoch mit internen Wühlereien zu kämpfen, deren Initiatoren für die Unterordnung unter Moskau agitierten und intrigierten. Die IAA sollte von Moskau unabhängig sein und Perspektiven für eine weltweite soziale Revolution bieten, ohne neue Herrschaftsverhältnisse entstehen zu lassen. Für eine weltweite soziale Revolution sollten ihre Kräfte zwar nicht ausreichen, aber ihre Impulse können für heutige Aktivitäten und Perspektiven sinnvoll sein:
Es gab zum Beispiel Initiativen und Zeitungen für Gastarbeiter. Ziel war es, ihnen eine klassenbewußte und sozialrevolutionäre Perspektive zu geben, die Möglichkeit des Austausches zu schaffen bei ganz praktischen Problemen wie Aufenthaltsrechte, den Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt bei gewerkschaftlicher Tätigkeit. In der FAU-Berlin gibt’s heute eine Foreigners` Sektion. Diese trägt ähnliche Züge.
Die IAA baute damals einzelne Industrieföderationen auf, beispielsweise im Bau- und Metallbereich. Das waren Initiativen, aus denen schließlich die konstruktiven Ideen und Pläne für eine sozialistische Weltwirtschaft entstehen sollten. Dieser Ansatz blieb vor allem wegen der zahlreichen Diktaturen in verschiedenen Ländern stecken.
Von großer praktischer Bedeutung war die Organisierung von internationaler Solidarität, ein Musterbeispiel sozialistisch-solidarischen Geistes. Über Fonds wurden Gelder gesammelt, Fluchthilfen organisiert und in vielen Kontinenten Massenkundgebungen organisiert. Dies hat hervorragend funktioniert.
Von den Repressionen durch die kommunistischen und faschistischen Diktaturen erholte sich die IAA nicht mehr. Zudem erging sie sich seit den 1950er Jahren bei maßloser Selbstüberschätzung in kleinlichen Zänkereien, die bis heute anhalten.
Die heutige IAA ist, gelinde gesagt, in den letzten Jahren nicht gerade aufgeblüht. Stattdessen hat sich mit der Internationalen Arbeiter*innen Konföderation (IAK) ein neuer Zusammenschluss gegründet. Ist das nach der langen und oftmals komplizierten Geschichte der anarcho-syndikalistischen Internationalen ein Hoffnungsschimmer?
Ein internationaler Zusammenschluss ist nur so stark wie die Landessektionen, die sie tragen. Dies ist keine Erkenntnis, die nur auf die Gegenwart bezogen ist. 1953 formulierte Helmut Rüdiger im Sinne des IAA-Gründungsvaters Rudolf Rocker: „1923 […] handelte es sich darum, wirklich existierende große Organisationen zusammenzufassen und ihnen im sozialen Kampfe programmatische Richtlinien zu geben. Die IAA hat ihre Aufgabe, so gut es ging, erfüllt. Die Zeiten haben sich geändert. Solange man Organisationen zur Verfügung hatte, konnte es einen Sinn haben, auf internationalen Kongressen ihre Arbeitsweise zu diskutieren. Aber mit Hilfe internationaler Kongresse wird man keine neuen Organisationen schaffen können.“
In keinem Land der Erde ist aktuell innerhalb der Arbeiterklasse eine (anarcho-)syndikalistische Gewerkschaft führend. Sie werden entweder von sozialdemokratischen Gewerkschaften an den Rand gedrängt, oder sind in Diktaturen generell verboten. Die IAK muß aufpassen, dass sich die Fehler der IAA aus den letzten Jahrzehnten nicht wiederholen. Diese resultieren strukturell daraus, dass die IAA kein Zusammenschluss stabiler Gewerkschaften mehr war, sondern ein Zirkel ideologischer Gruppen. Wo die Praxis verkümmert oder ausbleibt, gedeihen ideologische Streitigkeiten am besten. Chancen auf konstruktive Perspektiven haben nur gewerkschaftliche Massenbewegungen, die betrieblich fest verankert sind. Gibt es solche in der IAK?
Ist im Kampf gegen Klimaerwärmung, Rechtsruck und Co. auch eine Parallele zum Erstarken der Nazis in der Weimarer Zeit zu erkennen? Wie ging die FAUD damit um? Und können wir davon heute etwas lernen?
Die Klimaerwärmung ist ein neues Phänomen. Allerdings waren viele schon vor 100 Jahren gesundheitsschädigende Drecklöcher, die Gruben, die Fabriken oder die Baustellen. Davon ist noch vieles aktuell und gehört auf jede Gewerkschaftsagenda.
Was den Rechtsruck angeht: Schon die bürgerliche wilhelminische Gesellschaft war von Martin Luther über Friedrich den „Großen“, Bismarck und Hindenburg autoritär geprägt. Diese Kontinuitätslinie hat sich nie geändert und bekam von den Nazis lediglich eine braune Farbe verpasst. In der Weimarer Zeit existierten mehrere faschistische Bedrohungen. Die einen waren die Deutschnationalen, Stichwort Freikorps, Hugenberg, DNVP, DVP, „Stahlhelm“ usw. Einige unserer damaligen Genossen zählten auch die Brüning-Regierung (katholisches „Zentrum“) seit 1930 dazu, forciert durch den Machtwechsel auf Franz von Papen im Sommer 1932. Diese monarchistisch orientieren Faschisten sympathisierten auch ganz offen mit der vergleichsweise neuen Nazibewegung und stellten sich gemeinsam in der „Harzburger Front“ (1931) zur Schau. Die Nazis präsentierten sich in Teilen revolutionär und gaben sich bisweilen einen antikapitalistischen Anstrich. Neu an ihr war auch der stark okkultistisch-religiöse Charakter.
Beiden faschistischen Strömungen waren jedoch wesentliche, vor allem gemeinsame wirtschaftspolitische Aspekte gleich. Aus gewerkschaftlicher – also unserer nichtbürgerlichen – Perspektive, fiel zunächst ins Auge, dass beide Faschismen zentral gegen die Arbeiterklasse gerichtet und dafür mit der (Schwer-) Industrie verwoben waren. Der Faschismus stellte eine Reaktion des Kapitals auf die veränderten weltwirtschaftlichen Verhältnisse und insbesondere auf die Klassenverhältnisse dar. Die Frage zwischen Wirtschaftseliten und den Reichsregierungen lautete stets: Lassen sich die Profitraten eher mit einer sozialdemokratischen Regierung steigern (über Sozialpartnerschaft) oder braucht es eine faschistische Regierung, die den Burgfrieden mit der Sozialdemokratie aufkündigt? Weltweit reagierte das Kapital auf die Erstarkung der (anarcho-syndikalistischen) Gewerkschaftsbewegung seit Ende des Ersten Weltkrieges in einem Land nach dem nächsten mit politisch faschistischer Regulierung. Die entsprechenden Regierungen wurden entweder direkt an die Macht geputscht oder reichlich finanziert und damit Wahlen indirekt manipuliert.
So betreibt auch heute die AfD einen Wahlkampf mittels Millionensummen, die sicherlich nicht vom Himmel fallen. Sie war beispielsweise in Niedersachsen in fast jedem Dorf durch Wahlplakate derart präsent, wie alle anderen Parteien zusammen. Eine solche Wahlwerbeoffensive habe ich in 40 Jahren politischen Interesses nicht erlebt. Hinter dem Faschismus steht das Kapital. Die AfD wird hofiert in Funk und Fernsehen und hat genau dadurch Erfolg. Im historischen Sinne ist die AfD eine national-liberale Partei, das entspricht etwa dem im 19. Jahrhundert von Bismarck gesteuerten Kurs. Nach anarcho-syndikalistischer Definition fängt politischer Faschismus bei der Einschränkung gewerkschaftlicher Freiheiten an. Je weniger sich Gewerkschaften entfalten können, desto mehr Faschismus herrscht in dem Land. Interessant wird es, wenn man diese Ansicht auf die BRD, ohne AfD, anwendet und feststellt, dass Gewerkschaften verboten ist, politisch zu handeln, beispielsweise zu politischen Streiks aufzurufen oder merkt, dass beispielsweise die FAU nicht einmal Gewerkschaftsrecht genießt. Da fängt Faschismus an, wenngleich die FAU als rein politische Organisation bislang geduldet wird.
Im Kern geht es immer um den Ausbau wirtschaftlicher Monopolinteressen, um ungestörte Profitmaximierung. Das war damals nicht nur die Ansicht von anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften, sondern eine Binsenweisheit, die auch von den marxistischen Organisationen vertreten wurde. Es lohnt sich, diesen Ansichten wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken, statt heutigen bürgerlichen Bildungsinstitutionen Glauben zu schenken, die eifrig bemüht sind, uns von diesen sozio-ökonomischen Ursachen von Faschismus und Nazismus abzulenken. 1931 veröffentlichte die FAUD dazu den Text „Mit uns voran!“, eine fundierte Analyse und rhetorisch vom Feinsten dargelegt.
Faschismus ist dennoch auch ein kulturelles, ein (massen-)psychologisches Problem. So hatten am Erstarken des Faschismus gerade die zentralistischen Arbeiterorganisationen einen gewichtigen Anteil. Zur jahrzehntelangen Abrichtung der Arbeiterseele unter sozialdemokratischer Erziehungsarbeit führte der Nürnberger Anarcho-Syndikalist Franz Gampe 1926 folgendes aus:
„[…] Die Gründe der Wirtschaftskrisen in Deutschland sind darin zu suchen, dass der deutsche Prolet, wie auch im gesamten Ausland bekannt ist, sich als Lohndrücker erweist. Der deutsche Prolet ist vom Kapital gut dressiert. Wie in einem Zirkus die Tiere ihre Sprünge machen, wenn der Dompteur mit der Peitsche knallt, so auch der deutsche Prolet, wenn der Kapitalist die Peitsche schwingt. Auch der Prolet macht seinen Salto, aber immer tiefer ins Elend hinein. Eine Besserung ist in Deutschland nur zu erreichen, wenn der Arbeiter denken lernt. Wir Anarcho-Syndikalisten müssen dafür sorgen, dass sich innerhalb der Arbeiterschaft eine geistige Umstellung vollzieht. Die zentralistischen Gewerkschaften helfen dem Arbeiter nicht, denn sonst würden wir 8 Jahre nach der sogenannten Revolution, besser gesagt, nach dem Zusammenbruch, nicht in solch grenzenloses Elend hineingeraten sein. Wir Syndikalisten haben immer den Gedanken des Generalstreiks vertreten, trotzdem die zentralistischen Gewerkschaftsführer und kommunistischen Parteigrößen den Generalstreik als Generalunsinn erklärten. Der deutsche Michel ist immer noch gewohnt, Befehlen zu gehorchen.“
Das war er auch bei der Machtübernahme 1933, als sowohl SPD als auch KPD samt mit den Nazis kungelnder Zentralgewerkschaften nicht zum Generalstreik aufriefen und die Arbeiterschaft, an sich kampfeswillig, im Vertrauen auf ihre Parteiführungen stillhielt.
Die FAUD reagierte darauf auch auf kultureller und aus psychologischer Ebene, in den Betrieben, in Erwerbslosenausschüssen und manche auch in der Arbeiterwehr „Schwarze Scharen“.
Bündnispolitisch verließen die Syndikalisten zu keinem Zeitpunkt ihre Prinzipien. In anbetracht der Tatsache, dass die KPD versuchte, auf jegliche Arbeiterorganisation ihren Einfluss auszuüben, um sie unter ihre Kontrolle zu bekommen, war dem Bestreben nach Bündnissen/Kartellen gegen den Faschismus enge Grenzen gesetzt. Mit Organisationen, die sich nicht gegen den Syndikalismus wandten, wurde zusammengearbeitet.
30 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR und dem schwindenden Einfluss des Marxismus, gibt es Chancen vermehrter Zusammenarbeit zwischen der FAU und sich neu orientierenden ehemaligen Marxisten aus sozialen Bewegungen. Der Syndikalismus bietet Alternativen und hat dafür ein nachhaltiges Repertoire. Dies bedarf programmatischer Überarbeitungen, die sich an der Praxis messen lassen müssen. Das Grundmodell bietet mit dem Konzept der „Arbeitsbörsen“ eine fundierte Ausgangsposition. Die Realisierung solch freiheitlich-sozialistischer Pläne nimmt dem Faschismus jeglichen Nährboden, bekämpft den Faschismus an seinen Wurzeln.
Im gemeinsamen praktischen Engagement gegen heutige faschistische Tendenzen können in vielen gesellschaftlichen Bereichen syndikalistische Ansichten in die Diskussionen eingebracht werden, auf den Gruppentreffen anderer Organisationen oder auch auf Bündnistreffen. Offensiv nach außen treten ist angesagt.
Wie siehst du heute das Kräfteverhältnis zwischen Sozialen Bewegungen, die sich in einzelnen Feldern betätigen – ganz aktuell etwa Fridays for Future –, und Organisationen, die gesamtgesellschaftliche Veränderungen anstreben? Sollten sie sich – mit Blick auf die Erfahrungen unserer Vorgänger – zusammenschließen, oder voneinander abgrenzen?
Wo eine Organisation wenig zu verlieren hat, soll sie mutig sein. Wo sie viel zu verlieren hat, sollte sie vorsichtig agieren. In einem offenen Austausch mit sozialen Teilbereichsbewegungen kann der Anarcho-Syndikalismus nur gewinnen. Er kann sowohl selber dazulernen, als auch seine gesamtgesellschaftlichen Ideen einbringen und damit Köpfe erreichen. Das sollte unbedingt genutzt werden, denn es gibt reichlich Protestpotenzial. Ohne gesamtgesellschaftliche Veränderungen bleibt alles Flickschusterei und das Kapital absorbiert über Einbindungsstrategien die soziale Energie. Die Umwelt läßt sich nur erhalten, wenn der Kapitalismus abgeschafft und an seine Stelle eine bedürfnisorientierte Wirtschaftsweise gesetzt wird, die politisch nach föderalistischen Gesichtpunkten verwaltet wird und basisdemokratisch funktioniert. Der Syndikalismus ist eine der ganz wenigen Ideen, die nachhaltige Lösungen anbietet, ohne in diktatorischen Verhältnissen zu enden, wie beispielsweise der Marxismus. Das läßt sich besonders nach den Erfahrungen mit dem „Realsozialismus“ ganz offen klarstellen und in soziale Bewegungen einbringen: Ohne Agitations- und Pädagogengehabe.
Literatur:
Arbeitsgruppe 30 Jahre FAU (Hg.): FAU. Die ersten 30 Jahre. 1977-2007, Moers 2008
Döhring, Helge: Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933-1945, Stuttgart 2013
FAUD: Mit uns voran! Unser Weg. Das Programm der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Anarcho-Syndikalisten), Reprint von 1931, Hamburg 2013
FAU-IAA (Hg.): Dokumentation zum Arbeitskampf bei der Lebenshilfe Bremen (Januar-September 2001), Bremen 2002
FAU-Bremen (Bildungssyndikat): Dokumentation. Der Kampf des Bildungssyndikats Bremen der FAU-IAA an der Uni-Bremen um seinen Gewerkschaftsstatus, Dezember 1999-Juli 2000, Bremen 2002
FAU-Frankfurt: Organisationshandbuch Syndikate. Grundlagen zum Aufbau von FAU-Syndikaten, Moers 2007
Grau-Maiwald, Heiko: Aus dem Takt. Offensive Betriebsarbeit im Gesundheitswesen, Moers 2009
Haug, Wolfgang/Wilk, Michael: Herrschaftsfrei statt populistisch. Aspekte anarchistischer Gesellschaftskritik, Bodenburg 2018
Horst-Stowasser-Institut (Hg.): Das Projekt A, Bodenburg 2019
Linse, Ulrich: Anarcho-Syndikalistische Landarbeiteragitation in Deutschland (1919-1933). Über die soziale Kluft zwischen Stadt- und Landproletariat, in: Auf dem Misthaufen der Geschichte. Das Magazin für den modebewußten Anarchisten, Wetzlar 1978
Mohrhof, Folkert: Strike-Bike. Eine Belegschaft schreibt Geschichte. Eine kritische Nachbetrachtung zu einem einzigartigen Arbeitskampf, Hamburg 2010
Rocker, Rudolf: Absolutistische Gedankengänge im Sozialismus, Darmstadt 1950
Rocker, Rudolf: Die Entscheidung des Abendlandes, Hamburg 1949
Rocker, Rudolf: Die Rationalisierung der Wirtschaft und die Arbeiterklasse, Berlin 1927
Studienkommission der Berliner Arbeiterbörsen/Franz Barwich: Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus (1923). Neu aufgelegt bei Edition AV, 2005.
Veit, Martin: Warum IAA? Zu den Entwicklungen in der Internationalen Arbeiter-Assoziation seit 1996. Eine zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Entscheidungen, Edition Syfo Nummer 2, Moers 2010
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
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