Einige notwendige Überlegungen zum Verhältnis von Gewerkschaft und Betriebsrat
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Antwort auf den eine Ausgabe zuvor erschienenen Artikel:
Die FAU ist die einzige Gewerkschaft in der BRD, die sich nicht an den Wahlen zum Betriebsratssystem und anderen Stellvertretungsorganen beteiligt. Stattdessen setzt sie auf betriebliche direkte Aktion und kollektives, solidarisches Handeln. Dieser Beitrag erklärt, warum für uns Betriebsräte keine Option sind. Der Frage, wie eine anarcho-syndikalistische Praxis aussehen kann, gehen wir in einer der nächsten Ausgaben nach.
Werfen wir einleitend einen Blick auf die Haltung der FAU in Bezug auf die Betriebsräte. Die Kurzfassung ist: Wir mögen das System der Betriebsräte überhaupt nicht. Die FAU nimmt unter keinen Umständen an Betriebsratswahlen teil, sie stellt weder Listen auf noch ruft sie zur Wahl einer Liste auf. In den Anfangsjahren, in der Zeit vor 1991, gab es sogar einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Wer Mitglied in einem Betriebsrat wurde, musste die FAU verlassen. Das wurde auf dem Kongress 1991 etwas abgeschwächt. Seither gilt, dass Mitglieder der FAU in Ausnahmefällen und auf eigene Verantwortung auch Betriebsräte sein dürfen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie nicht freigestellt sind, also nicht von der Firma für ihre Betriebsratstätigkeit bezahlt werden und dass sie nicht die FAU mit ihrer Betriebsratstätigkeit in Verbindung bringen. Des Weiteren müssen sie ihrem Syndikat Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen. Der Tenor dieser Regelungen ist klar: Es wird nicht gerne gesehen, wenn Mitglieder der FAU Betriebsräte sind, aber es wird anerkannt, dass es in Einzelfällen Gründe geben kann, es dennoch einmal zu tun.
Die ablehnende Haltung der FAU in Bezug auf das System der Betriebsräte verwundert manche, besonders Leute aus der Linken. Wenn es doch Unternehmen gibt, die mit allen legalen und bisweilen auch illegalen Mitteln versuchen, Betriebsräte zu verhindern oder bei ihrer Arbeit zu behindern, dann muss man doch erst recht dafür sein, oder? Nicht wenige KollegInnen in den Betrieben können unsere Ablehnung hingegen oft sehr gut nachvollziehen. Wie passt das zusammen?
Die ablehnende Haltung der FAU gegenüber Betriebsräten ist keine Kopfgeburt sondern das Ergebnis von Erfahrungen, die Anarcho-SyndikalistInnen immer wieder mit dieser Institution gemacht haben. Welche Erfahrungen das sind, hängt stark damit zusammen, in was für einer Art von Firma man arbeitet. In Fabriken und Großbetrieben werden die meisten den Betriebsrat als etwas erleben, von dem man bestenfalls alle paar Monate mal was hört und dann meistens auch nur, weil man in der Werkszeitung ließt, dass er wieder einmal eine neue Betriebsvereinbarung unterschrieben hat oder dass der Kantinenausschuss neu besetzt wurde. Dass frau mal nach der eigenen Meinung zu irgendwas gefragt wird, kommt in der Praxis ebenso selten vor wie in der Politik.
In Großbetrieben gibt es auch die vom Betriebsrat gewählten „Freigestellten“, also einen oder mehrere Mitglieder, die nicht mehr arbeiten, sondern von den Firmen für ihre Betriebsratstätigkeit entlohnt werden. Oft sind diese Ämter quasi „erblich“. Freigestellte sehen manchmal über Jahre hinweg kaum mehr von der Firma als ihr Büro und die Geschäftsführungsetage oder den Aufsichtsrat. Der Betriebsratsvorsitzende (meistens ein Mann) hat in vielen Firmen ein Abonnement auf einen anschließenden Job als Personalchef oder Arbeitsdirektor. Korruption ist zwar nicht die Regel, aber leider auch nicht die Ausnahme.
„Aber“, so werden jetzt manche einwenden, „da gibt es doch auch die ehrlichen, engagierten linken Betriebsräte! Diejenigen, die sich täglich für uns abstrampeln und zumindest versuchen, das eine oder andere zu verhindern.“ Solche Betriebsräte gibt es tatsächlich, in vielen Firmen findet man einen oder zwei als Alibi. Oft sind aber genau sie es, die einem System, das bei den meisten KollegInnen aus guten Gründen unten durch ist, zu einem Rest von Glaubwürdigkeit verhelfen. Darum hat sie ein Genosse aus einem Stahlwerk einmal etwas polemisch „die Contras im Betrieb“ genannt.
Etwas anders stellt sich die Situation in vielen kleinen und Kleinstbetrieben dar. Dort erscheint der Wunsch nach einem Betriebsrat verständlicher, schließlich ist die Situation viel übersichtlicher und man steht der Gewalt der Unternehmensleitung, oft in Gestalt eines Firmenpatriarchen, sehr viel unmittelbarer gegenüber. Da bietet ein Betriebsrat zunächst einmal einen gewissen Schutz vor Repression, weil sich die Beschäftigten hinter ein gesetzliches Instrumentarium zurückziehen können. Der Gesetzgeber sieht außerdem bei einer Reihe von möglichen Konfliktbereichen zwingend die Existenz eines Betriebsrates vor, wenn die Belegschaft z. B. Anspruch auf einen Sozialplan oder minimalen formellen Einfluss bei Personalentscheidungen haben will. Während es in Großbetrieben neben dem Betriebsrat meistens auch noch gewerkschaftliche Strukturen gibt, ist in Kleinbetrieben der Betriebsrat meistens die einzige Einrichtung, über die die Belegschaft ihre Interessen formulieren kann.
Bei Diskussionen um den Sinn oder Unsinn von Betriebsräten stellen wir häufig fest, dass allerlei irrige Vermutungen über diese Institution existieren. Auch hier sind es interessanter Weise gerade wieder die „Linken“, bei denen einige Mythen besonders hartnäckig gepflegt werden. Deshalb wollen wir an dieser Stelle versuchen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Um es bis hierher kurz zusammenzufassen und auf den Punkt zu bringen: Das System Betriebsräte wurde von der SPD und den Zentralgewerkschaften 1920 gegen den erbitterten Widerstand der radikalen Teile des Proletariats durchgesetzt, um das Fortbestehen des Kapitalismus nach dem 1. Weltkrieg zu sichern. Das System basierte von Beginn an auf der kontrollierten Schlichtung von betrieblichen Konflikten, bei denen die Beschäftigten scheinbar eingebunden, in Wahrheit aber entmündigt und ihrer kollektiven Stärke beraubt werden. Nach der Niederlage des deutschen Faschismus wurde das System wieder aufgegriffen und reformiert.
Seither hat es seinen Zweck – die Befriedung – meist sehr zuverlässig erfüllt. Staat und Kapital lassen sich die Betriebsräte Jahr für Jahr Dutzende Millionen Euro für Freistellungen, Seminare und Betriebsmittel kosten. Da ist das Bakschisch wie im Falle von Siemens, VW und vielen anderen noch gar nicht mit eingerechnet. Vor dem Hintergrund des Krisenangriffs der letzten Jahre steigt zwar die Zahl von Firmen, die sich stark genug fühlen, betriebliche Konflikte auch ohne Betriebsrat gegen die Belegschaften zu führen und zu gewinnen. Die weitaus meisten Unternehmen wissen aber durchaus, was sie an ihren Betriebsräten haben und wollen diese nicht missen.
„Ist ja gut und schön und deckt sich auch mit meinen Erfahrungen“, werden einige LeserInnen jetzt vielleicht sagen, „aber trotzdem ist der Betriebsrat bei mir in der Firma die einzige Chance, zumindest den einen oder anderen Angriff abzuwehren.“ In einer Situation, in der die meisten KollegInnen Angst davor haben, sich selbst für ihre Interessen einzusetzen, ist der Ruf nach dem Betriebsrat zunächst einmal verständlich. Denn der kann, wenn er will, in der Tat das eine oder andere erreichen. Wo es gar keine Überstundenbegrenzung gibt, verhilft manchmal schon eine Betriebsvereinbarung zu etwas mehr Luft, die die Anzahl an unbezahlten Überstunden zumindest begrenzt. Wo ein Betriebsrat Einstellungen und Entlassungen zustimmen muss, kann manchmal die eine oder andere Härte verhindert werden.
Es wäre ja schließlich auch unsinnig, wenn der Gesetzgeber den ArbeiterInnen eine Institution vor die Nase setzte, ohne dass diese irgendeinen Vorteil daraus ziehen könnten. Irgendetwas muss schließlich im Tausch dafür geboten werden, dass man von den Belegschaften erwartet, sich ruhig und gesittet verhalten und die Finger von kollektiven Unmutsäußerungen zu lassen. Wobei man an dieser Stelle ruhig auch einmal erwähnen kann, dass es den meisten KollegInnen durchaus ganz recht ist, wenn sie ihre Interessen an jemand anderen abtreten können. Schließlich bekommt das jede von uns von Kindheitsbeinen an so beigebracht.
Allerdings zahlen gerade engagierte Betriebsräte für ihrer Tätigkeit oft einen hohen Preis. Sozialauswahl bei Entlassungen bedeutet, dass man über das Schicksal von KollegInnen mitentscheidet. Überstundenregelungen führen zu Konflikten mit denen, die auf die Extra-Kohle angewiesen sind und sich deshalb kaputtschuften wollen. Wer im Rahmen der Betriebsratstätigkeit über Einstellungen und Entlassungen mitentscheidet, macht sich zwangsläufig zum Handlanger betrieblicher Personalpolitik. In den meisten Firmen haben Betriebsräte zuallererst die Interessen der Stammbelegschaften im Auge und zementieren häufig die Spaltung der Belegschaften in Festangestellte und LeiharbeiterInnen. So mancher fällt es deshalb schon bald schwer, sich noch im Spiegel anzuschauen und sie wirft wieder das Handtuch oder integriert sich ganz in das System.
In ihrer paralysierenden Wirkung auf die Belegschaft stehen Betriebsräte in kleiner Firmen denen in Großbetrieben in der Konsequenz kaum nach. Das kann auch kaum anders sein, denn das Problem ist kein personelles, sondern ein strukturelles.
Dennoch gibt es auch unter Anarcho-SyndikalistInnen immer mal wieder Diskussionen darüber, ob man sich nicht vielleicht doch etwas mehr auf Betriebsräte einlassen solle. Dabei wissen wir es eigentlich besser. Wir kultivieren eine Herrschaftskritik, die aufgrund materialistischer Erfahrungen zu dem Schluss gekommen ist, dass es immer die Institutionen sind, die den Einzelnen brechen und nie umgekehrt. Wir können präzise darlegen, dass Stellvertreterpolitik zu Entmündigung und Passivität führt und kämpfen deshalb gegen sie an. Wir haben eine passable Analyse der verheerenden Wirkung parlamentarischer Repräsentationssysteme und kämen nicht im Traum darauf, an Wahlen teilzunehmen oder dazu aufzurufen.
Umso unverständlicher ist es also, wenn manchmal in Bezug auf Betriebsräte, das materialistische Handwerkszeug über Bord geschmissen wird und ein seltsamer Idealismus Einzug hält. Dabei erfüllt das Betriebsratssystem mühelos alles, was die FAU ansonsten ablehnt. Es lässt sich ebensowenig in etwas Positives verwandeln wie die zentralistischen DGB-Gewerkschaften oder die Parlamente. Eine undemokratische und Passivität erzeugende Struktur kann nicht dadurch geändert werden, dass engagierte Leute versuchen, sich ihrer zu bedienen. Wo solche Versuche von anarchosyndikalistischer Seite zwangsläufig enden, lässt sich am Beispiel der spanischen CGT ablesen.
Als nach dem Ende der Franco-Diktatur in Spanien ein neues Arbeitsrecht eingeführt wurde, orientierte man sich weitgehend am deutschen Betriebsratsmodell. Gewerkschaften, die sich daran beteiligen, erhalten staatliche Subventionen und Vergünstigungen – wer sich der Integration verweigert wird, wie die CNT wird mehr oder weniger illegalisiert und aus den Betrieben gedrängt. Kurz nacheinander spalteten sich Ende der 70er Jahre zwei Fraktionen der CNT ab, die sich nicht mit ihrer Forderung nicht durchsetzen konnten, die CNT solle sich beteiligen. Sie gründeten später die CGT (Confederación General del Trabajo).
Anfänglich wurde die Beteiligung an den «Comités de empresa» damit begründet, dass man erst einmal herausfinden wolle, welche konkreten Erfahrungen man mit dem neuen Betriebsratsmodell machen würde. Die CGT war bei den Wahlen durchaus erfolgreich. Heute ist sie die drittstärkste spanische Gewerkschaft, gemessen an der Zahl ihrer Betriebsräte. Sie erhält für diese jedes Jahr mehrere Millionen Euro aus den Gewerkschaftstöpfen des Arbeitsministeriums. Die versprochene Auswertung der Erfahrungen hat hingegen nie wirklich stattgefunden. Stattdessen wurde aus dem Versuch ein Dauerzustand. In dem Maße, in dem die CGT mehr Betriebsratsposten gewann, nahm der Aktivismus innerhalb der Gewerkschaft ab. Durch ihre Erfolge bei den Wahlen, wurde die CGT außerdem für oppositionelle Gruppierungen innerhalb anderer Gewerkschaften interessant, die sich von ihrem Übertritt zur CGT ein einfacheres Ticket in den Betriebsrat erhofften.
Nach mehr als 20 Jahren Beteiligung am Betriebsratssystem ist aus der CGT das geworden, was jede/r halbwegs fundierte Libertäre dieser Gewerkschaft prognostiziert hat: die Mitgliederzahl ist deutlich gestiegen, die Anzahl der AktivistInnen, der Militanten, deutlich gesunken. Heute gibt es sicherlich noch einige Anarcho-SyndikalistInnen in der CGT, aber die CGT ist nur noch schwerlich als anarcho-syndikalistische Gewerkschaft zu bezeichnen.
Dieser Prozess lag sicherlich nicht daran, dass es in dieser Gewerkschaft nur karrieregeile Leute gegeben hätte, die sich nichts sehnlicher wünschten, als sich korrumpieren zu lassen. Ganz im Gegenteil: Es gab dort eine Menge fitter Leute, die sich in bester Überzeugung auf das Betriebsratssystem eingelassen haben. Sie wurden aber von der materiellen Gewalt der Struktur in deren Rahmen und Vermittlungsformen gezwungen. So wie der CGT wird es jeder emanzipatorischen Gewerkschaft ergehen, die sich dauerhaft auf solche vertikalen Strukturen einlässt.
Die Motivation dafür, dass trotzdem immer wieder einmal das Liebäugeln mit der Institution Betriebsrat einsetzt, zeugt von der anhaltenden Schwäche unserer Klasse und damit auch der Schwäche der FAU, in größerem Umfang und dauerhaft eine eigenständige Praxis jenseits der sozialpartnerschaftlichen Mitwirkungsinstitutionen auf die Beine zu stellen.
Das gilt insbesondere in Phasen wenn der Normalbetrieb der Ausbeutung angesagt ist. Wenn betriebliche Konflikte hingegen eskalieren, schaffen sie meist mühelos den Sprung von der institutionellen Ebene in die der kollektiven Aktion. Dieses Muster erleben wir immer wieder bei Streiks; wenn die Belegschaften in Bewegung kommen, treiben sie die Gewerkschaften und die Betriebsräte vor sich her. Diese haben dann in der Regel nichts Eiligeres zu tun, als selbständige Aktionen auszubremsen, den Konflikt zu entschärfen und unter Kontrolle zu bringen. Genau das also, was der Anarcho-Syndikalismus am Allerwenigsten will.
Als Anarcho-SyndikalistInnen gehören wir nicht zu denen, die daraus die Konsequenz ziehen, einfach nur darauf zu warten, dass es doch irgendwo knallt, um dann dort aufzurocken und gute Ratschläge zu verteilen. Wir wollen vielmehr flächendeckend Strukturen aufbauen, die nicht nur in der Lage sind, uns selbst bei betrieblichen und anderen Konflikten zu schützen, sondern die uns darüber hinaus dazu dienen können, den Laden eines Tages zu übernehmen, um etwas Sinnvolles an seine Stelle zu setzen.
Die FAU ist deshalb darauf angewiesen, eine eigenständige kollektive und rebellische Praxis (weiter-) zu entwickeln, die uns und unsere KollegInnen in die Lage versetzt, am Betriebsrat vorbei – in der Praxis oft auch gegen ihn – kollektiv und erfolgreich zu agieren. Dafür brauchen wir unter anderem unsere eigenen Strukturen, die Syndikate, und dafür müssen wir immer wieder aufs Neue überzeugen, dass man Konflikte auf andere Art austragen kann und muss, als das im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes vorgesehen ist. Nur so kann man die Betriebsräte rechts liegenlassen und die Lähmung aufbrechen.
Es wäre vermessen zu behaupten, dass wir ein funktionierendes Patentrezept aus dem Hut zaubern könnten. Es gibt Vorstellungen, es gibt Erfahrungen, es gibt Experimente, die die FAU ein Stück weiterbringen können, aus einer Position relativer zahlenmäßiger Schwäche heraus erfolgreich handlungsfähig zu werden. Dazu gehört, dass wir das einsetzen, was wir im Gegensatz zu anderen Gewerkschaften und zu Betriebsräten haben: aktive GenossInnen, die in der Lage sind, solidarisch und auch kurzfristig füreinander einzutreten und die sich nicht scheuen, der Gegenseite auch einmal etwas unmittelbarer auf die Pelle zu rücken. Unsere Stärken liegen genau dort, wo das Betriebsverfassungsgesetz endet. Statt Vermittlung, Befriedung und Vereinzelung, sind wir in der Lage, Kollektivität, Solidarität und direkte Aktion zu organisieren. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass wir damit im Einzelfall mehr reißen können, als sehr viel größere Gewerkschaften, die außer der Visitenkarte des Rechtsanwaltes wenig zu bieten haben, wenn es zum Konflikt kommt. Kein Zweifel, anarcho-syndikalistische Praxis setzt Risikobereitschaft voraus und hat keinen Kündigungsschutz im Angebot. Das ist ein weiterer Grund, warum Solidarität bei uns ganz oben auf der Tagesordnung steht.
Dass es oftmals ziemlich unbefriedigend ist, alleine oder zu zweit in einem Betrieb zu sitzen und nicht wirklich zu wissen, wie man die Dinge ins Rollen bringen kann, ist verständlich. Hier muss sich vor allem eines ändern: die Bereitschaft der KollegInnen, sich für ihre Interessen selbst in Bewegung zu setzen. Häufig bleibt einzelnen FAU-Mitgliedern erst einmal wenig mehr, als zu zeigen, dass frau jemand ist, auf den man sich verlassen kann und bei passender Gelegenheit zu versuchen, die Interessen der KollegInnen gegen die des „Arbeitgebers“ zu verteidigen.
In den letzten drei Jahren ist die Konflikt- und Streikbereitschaft deutlich gestiegen. Immer mehr KollegInnen sind unzufrieden und machen nicht mehr nur Faust in der Tasche. Viele lassen sich auch nicht mehr von Funktionären abschrecken, die Finger von den „Chaoten“ zu lassen. Das haben viele der Konflikte der letzten Zeit gezeigt, über die wir in dieser Zeitung berichtet haben und an denen immer häufiger GenossInnen aus der FAU in der einen oder anderen Form beteiligt sind. Erinnert sei an das „Strike-Bike“, eine Aktionsform mit engen Grenzen und Beschränkungen, aber eben auch eine, die ohne die Kreativität, die spontane Solidarität und das Organisationstalent der FAU nie möglich gewesen wäre. Keine andere Gewerkschaft, kein Betriebsrat, wäre auch nur auf die Idee gekommen, in dieser Form den Rahmen der traditionellen Rituale zu sprengen. Für uns hingegen ist das eine Selbstverständlichkeit, die von Beginn an zu unserer anarcho-syndikalistischen Kultur gehört hat und die wir ständig weiterentwickeln. Zu dieser Kultur gehört es ebenso selbstverständlich, dass wir immer international agiert haben und dass unser Verständnis von Gewerkschaft weit über das rein betriebliche hinausgeht.
Es spricht sich in letzter Zeit zunehmend herum, dass die FAU kein Haufen von anarchistischen Wirrköpfen ist, die viel diskutieren, aber nichts tun. Das liegt ganz sicher auch daran, dass sich die FAU mit der Praxis der letzten Jahre viel Respekt verschafft hat. Es kommt nicht von ungefähr, dass es momentan in etlichen Orten Gründungsinitiativen für neue Syndikate und Ortsgruppen gibt. Das ist eine gute Ausgangsbasis dafür, uns die notwendigen Gedanken über die nächsten Schritte zu machen. Dabei sollten wir auf das aufbauen, was wir besonders gut können und was uns von den lahmen, sozialpartnerschaftlichen und zentralistischen Apparaten und Institutionen unterscheidet, zum Beispiel unsere Wendigkeit und Konfliktbereitschaft. Der völlig falsche Weg hingegen wäre es ausgerechnet jetzt, wo die Konfliktbereitschaft wieder steigt, eine Diskussion darüber zu beginnen, ob und wie man sich eine Institution zu Nutze machen könnte, deren wesentlicher Existenzzweck die Befriedung von Konflikten ist. Damit können wir nur verlieren.
Die FAU hat 1991 einen Beschluss zur Betriebsratsfrage getroffen, der auch heute noch völlig auf der Höhe der Zeit ist. Wir sollten unsere Kreativität stattdessen darauf verwenden, wie wir die Syndikate der FAU zu effektiven Schulen des Widerstands und Fortschritts, des Klassenkampfes machen. Denn etwas Besseres als einen Betriebsrat werden wir überall finden.
Die hier seit der letzten Ausgabe vorzufindende Rubrik „Diskussion“ soll in der nächsten Zeit fester Bestandteil der DA sein. In ihr sollen verschiedene Aspekte des Anarchosyndikalismus thematisiert werden. Im Vordergrund steht dabei eine aktuelle Perspektivenbestimmung.
Historisch gewachsene Konzepte, Theorien, Strategien und Methoden des Anarchosyndikalismus sollen vor dem Hintergrund aktueller Situationen kritisch geprüft bzw. gewürdigt werden, so dass ein Beitrag dazu geleistet wird, eine klarere Vorstellung von einer anarchosyndikalistischen Praxis im Hier und Jetzt zu entwickeln.
Alle Beiträge aus dieser Rubrik, Repliken darauf und die verschiedenen Diskussionsstränge werden vollständig einzusehen sein auf unserer Website: www.direkteaktion.org. Wer Interesse hat, sich an der Diskussion zu beteiligen, sei es, weil er/sie etwas auf einen Beitrag erwidern bzw. daran anknüpfen oder etwas anderes thematisieren möchte, das ihm/ihr unter den Nägeln brennt, der oder die melde sich bitte zwecks Absprache bei der zuständigen Redaktion (da-bug(a)fau.org).
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