Die Reform sieht die Zusammenlegung der Branchenkassen in 13 zentrale Rentenkassen vor. Die Bankangestellten streikten am längsten und erreichten so eine Ausnahmereglung für ihre Branche!
Ungeachtet der dreiwöchigen Massenstreiks im öffentlichen und privaten Sektor verabschiedete die konservative Regierung unter Ministerpräsident Kóstas Karamanlís Ende März die umstrittene Reform der Renten- und Sozialversicherung von Arbeitsministerin Fáni Pálli-Petraliá. Die Streiks der Staatsbediensteten bei Bahn und Metro, den städtischen Busbetrieben, der Müllabfuhr, der Post, den Wasserwerken, der Stromgesellschaft und der städtischen Angestellten, aber auch von ÄrztInnen, RechtsanwältInnen, JournalistInnen und Bankangestellten hatten zuvor zum zeitweiligen Erliegen des öffentlichen Lebens in Griechenland geführt. Während des eintägigen Generalstreiks am 24.03. und der versuchten Umzinglung des griechischen Parlaments am 21.03. war es zu Auseinandersetzungen militanter Reformgegner mit den Sondereinheiten der Polizei im Athener Stadtzentrum gekommen.
Die Stunde der Bewegung
In Thessaloniki besetzten die anarchosyndikalistische ESE und die antihierarchische Bewegung (AK) am 18.03. die Büros der Arbeitgebervereinigung und einer privaten Rentenkasse. Während des Generalstreiks ließen sie vom Dach des Gewerkschaftshauses ein riesiges Transparent herab: „Kein Vertrauen in GSEE (Gewerkschaftsdachverband) und Parteien. Selbstorganisation in Betriebsgruppen. Dauerstreik jetzt!“ Mit dieser Aktion machten beide Gruppen auf die Rolle der GSEE aufmerksam, die mit ihrem „bürokratischen Apparat militante Arbeiterkämpfe verhindert“ und als Sprungbrett der Gewerkschaftsführer für eine spätere politische Karriere diene.
Die Reform
Die Reform sieht die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zwischen zwei und fünf Jahren, in Sonderfällen sogar bis zu zehn Jahren vor. Betroffen sind in der Mehrzahl Frauen. Gleichzeitig verlieren viele Beschäftigte im Vergleich zu heute zwischen 10% und 40% ihrer Rentenansprüche. Männer und Frauen, die heute nach 35 Jahren lohnsteuerpflichtiger Arbeit im privaten Sektor mit 55 Jahren in Rente gehen können, sollen bis 60 arbeiten. Mütter mit drei Kindern sollen in Zukunft bis 59 schuften während sie heute mit 56 in Rente gehen. Im öffentlichen Sektor und im Bankenbereich – der nun neu verhandelt wird – soll das Renteneintrittsalter für alle auf 60 Jahre angehoben werden. Ausgenommen sind Mütter mit minderjährigen Kindern, die jedoch statt heute mit 50 erst mit 55 Jahren berentet werden. Auch im Bereich der körperlich schwer belastenden oder gesundheitsgefährdenden Berufe, wie z.B. Bau, Feuerwehr oder Hafenarbeiter, wird das Renteneintrittsalter von 53 bzw. 55 Jahren auf 58 Jahre angehoben. Die Höhe der dann ausgezahlten Renten, die in Griechenland in der Mehrzahl der Fälle von der Höhe der in den einzelnen Spartenkassen angesparten Zusatzrenten abhängig ist, verringert sich erheblich. Da der Anteil der Zusatzrente, die heute oft die Hälfte der Gesamtrente ausmacht, auf höchstens 20% beschränkt wird und zudem für jedes Jahr vorzeitigen Ruhestandes eine Rentenkürzung von 6% abgezogen wird, ergeben sich Rentenverluste von bis zu 40%. Für JobberInnen, Tagelöhner oder MigrantInnen ohne feste Arbeitsstelle besteht zudem die Gefahr, aus der staatlichen Krankenversicherung heraus zufallen. Waren sie bisher nach fünfzig steuerpflichtigen Arbeitstagen in fünf Jahren versichert, soll dies in Zukunft erst ab einhundert offiziellen Arbeitstagen gelten. Eine Hürde, die für die Mehrzahl der Betroffenen unerreichbar ist, da die meisten Arbeitgeber, um Abgaben zu sparen, nicht bereit sind, Tagelöhner offiziell anzustellen.
Ein erster Erfolg
Die Müllberge in den Großstädten, die sich bis zur Beendigung des Streiks der Müllabfuhr aufgetürmt hatten, sollen in den ersten Aprilwochen abgetragen werden. Dass sich die in den Umfragewerten auf 27% abgesackte Regierung zu diesem Durchmarsch entschied, beruhte auf der Einschätzung, dass die Proteste nach der Verabschiedung der Reform in sich zusammenfallen würden. Diese Hoffnung scheint sich allerdings nicht zu bestätigen. Die jeweiligen Spartengewerkschaften verlangen die Rücknahme des Gesetzes und haben angekündigt, seine bis August geplante Umsetzung mit weiteren Streiks verhindern zu wollen. Gleichzeitig bereiten Sie die gerichtliche Anfechtung der „Plünderung unserer Rentenkassen durch die Regierung“ vor, da sie diese für verfassungswidrig halten. Mit ihrer Klage wollen sie notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Dass die anarchosyndikalistische Aufforderung zu Dauerstreiks Erfolge zeitigen kann, bewiesen indes ausgerechnet die Angestellten der griechischen Nationalbank. Nach sechswöchigem Streik, der auch nach der Verabschiedung der Reform fortgesetzt worden war, ordnete Wirtschaftsminister Giórgos Alogoskoúfis am 8. April die Ausnahme der Berufsgruppe von der Gesetzgebung an. Ihre Rentenkasse bleibt vorerst unangetastet, eine Verhandlungskommission soll gebildet werden und einen Kompromiss erarbeiten. Nur eine Woche nach Verabschiedung der Reform gelang es somit einer Spartengewerkschaft, eine erste Bresche zu schlagen. Andere Berufsgruppen können dies nur als Aufforderung zu harten Arbeitskämpfen verstehen.
Volksbegehren
Die recht plumpe Regierungspropaganda von „unverantwortlichen Streiks privilegierter Gruppen“ scheint indes nicht zu verfangen. Das mag auch daran liegen, dass PolitikerInnen von der Reform ausgenommen sind und bereits nach zehn Jahren Minister sogar schon nach vier Jahren den vollen Rentenanspruch erlangen. In Umfragen bezeichnen dann auch 80% der Befragten die Reform als sozial ungerecht und verlangen deren Rücknahme. Die GSEE und die Gewerkschaft der öffentlich Angestellten (ADEDY) begannen mit der Sammlung von Unterschriften zur Einleitung eines Volksbegehrens zur Rentenreform. „Da die gesamte griechische Bevölkerung von der Reform betroffen ist“, so ein Sprecher, sei es nur natürlich, dass die „Gesellschaft über die Annahme der Reform“ entscheide. Die Idee der Volksabstimmung stammt vom Fraktionsführer der mit 5% im Parlament vertretenen ‚Allianz der radikalen Linken‘ (SYRISA), Alékos Alavános, und wird von allen Oppositionsparteien und den Gewerkschaften unterstützt. Zwar ist zur Einleitung eines Volksbegehrens die Zustimmung von 180 Parlamentsabgeordneten nötig, während die Oppositionsparteien nur über 148 Abgeordnete verfügen. Spekuliert wird jedoch darauf, dass sich Karamanlís durch den steigenden Druck durch die Mitte April geplante Übergabe von über einer Million Unterschriften zu neuen Verhandlungen bereit erklärt.
Der Staat schlägt zurück
Karamanlís indes schloss dies kategorisch aus und kündigte stattdessen für die zweite Jahreshälfte die Privatisierung der staatlichen Häfen, Flughäfen, der Bahn, Post und der Olympic Airways an. Er versucht durch diese „Flucht nach vorne“, wie es die linksliberale Tageszeitung Eleftherotypía ausdrückte, Entschlossenheit zu beweisen und widerständische Berufsgruppen durch die Eröffnung neuer Fronten zu entmutigen. Ein Gewinner der Auseinandersetzungen ist momentan die bewegungsorientierte SYRISA, der in Umfragen bis zu 17% bescheinigt werden. Die so unter Druck geratene kommunistische KKE (8%) und die sozialdemokratische PaSoK (24%) versuchen – durch Fundamentalopposition und Streikaufrufe einerseits und einen Misstrauensantrag im Parlament und dem Aufruf zu Demonstrationen andererseits verzweifelt, Handlungsfähigkeit zu beweisen. Dieser Kampf der Oppositionsparteien um die Meinungsführerschaft hat in den letzten Wochen zu einem weit nach links gerückten gesellschaftlichen Diskurs geführt. Der weitere Verlauf der Auseinandersetzungen wird zeigen, ob es sich hierbei um ein wirkliches Infragestellen des kapitalistischen Systems durch breitere gesellschaftliche Gruppen oder schlicht um eine zeitweilige Modeerscheinung handelt.
Der Kampf geht weiter
Für fünf Gewerkschaftsführer der beim staatlichen Strommonopolisten DEI aktiven GENOP- DEI haben die Arbeitskämpfe der letzten Wochen inzwischen auch ein juristisches Nachspiel. Nachdem der Ários Págos, der oberste griechische Gerichtshof, den Streik der GENOP- DEI gegen die Rentenreform Mitte März für illegal erklärt hat, sehen sich die Gewerkschafter nun mit einem Ermittlungsverfahren wegen des Straftatbestands der „Herbeiführung des allgemeinen Notstands“ konfrontiert. Der fast dreiwöchige Streik hatte zu täglichen Stromabschaltungen und damit verbunden zu Verkehrschaos in den Großstädten geführt. Der Gewerkschaftsanwalt Dimítris Perpatáris erklärte auf einer Pressekonferenz am 21.03.: „Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Gewerkschaftsvertreter erzeugt ein revanchistisches, autoritär-staatliches Klima. Die gewerkschaftliche Infragestellung des gesetzlichen Abbaus von Arbeitnehmerrechten wird nichts desto trotz ausgeweitet werden.“ Einen Vorgeschmack lieferten außer den Bankangestellten die Gewerkschafter der staatlichen Telefongesellschaft OTE. Nach Bekanntwerden der Regierungspläne, 20% der OTE an die Deutsche Telekom zu verkaufen, traten sie am 26.03. in den Streik. Anfang April betonten Sprecher der Streikenden, die Mobilisierungen würden fortgesetzt bis das Geschäft geplatzt sei. Ebenfalls fortgesetzt wird der seit zwei Monaten andauernde Bummelstreik der Hafenarbeiter gegen die geplante Privatisierung der Häfen in Piräus und Thessaloniki. Die versuchte Besetzung des Gerichtsgebäudes in Thessaloniki durch gegen die Rentenreform protestierende Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen am 7. April hingegen, wurde durch Schlagstockeinsatz der MAT-Sondereinheiten vereitelt.
Der Kampf gegen die Rentenreform ist noch nicht beendet!