Stroh zu Gold

Eigentlich hatte es hoffnungsvoll begonnen: Die Gewerkschaftsspitzen von ver.di und dbbtarifunion hatten das Ende der Bescheidenheit verkündet. Auch im Öffentlichen Dienst sollte es nach Jahren wieder Lohnsteigerungen geben. Acht Prozent, mindestens aber 200 Euro mehr im Monat sollten es für die 1,3 Mio. Beschäftigten von Bund und Kommunen (inklusive Eigenbetriebe) sein, monatlich 120 Euro mehr und eine verbindliche Übernahmeregelung für Auszubildende. Auch die Verlängerung der ausgelaufenen Übergangsregelungen zur neuen Entgeltordnung und die Inkraftsetzung noch offener Punkte des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) [1] standen auf der Agenda. Schnell waren die Fronten verhärtet, doch sechs Verhandlungsrunden, zwei Warnstreikwellen und einen auf Ablehnung stoßenden, arbeitgeberfreundlichen Schlichterspruch später steht überraschend ein „Kompromiss“. Die Arbeitgeber reden von „Schmerzgrenze“, die Gewerkschaften von „Erfolg“. Viele Beschäftigte dagegen machen lange Gesichter.

Kämpferisch

Beflügelt vom Bahnstreik der GdL waren viele ver.di-Gliederungen für deutlich höhere Forderungen eingetreten, als sie von der Bundestarifkommission letztlich gestellt wurden. Als Bremser hatte sich hierbei die dbbtarifunion entpuppt, mit der ver.di erstmals eine gemeinsame Forderung formulierte. Sie wollte weit weniger. In den Betrieben stand die Stimmung auf Streik. Die Gewerkschaftsspitzen sahen sich unter dem Druck zu einer härteren Gangart gezwungen. Auch hatten sie aus den Fehlern im letzten Arbeitskampf 2005/06 gelernt: Die Beschäftigten wurden frühzeitig über ihre Rechte im Arbeitskampf informiert. Und zur allgemeinen Überraschung drückten sie mächtig auf die Tube, um Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Statt auf symbolische Großveranstaltungen setzten sie v.a. auf branchenübergreifende, dezentrale Aktionen in den Betrieben. Ihre zahnlose Taktik der punktuellen Nadelstiche wurde diesmal zugunsten flächendeckender, ganztägiger Warnstreiks aufgegeben, mit denen sie den Arbeitgebern mehr als sonst zusetzten.

„Alle Räder stehen still, weil unser starker Arm es will“ [2]

Lag der Schwerpunkt zunächst in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, zogen die Entsorgungs- und Verkehrsbetriebe, Kitas und Jugendeinrichtungen, Verwaltungen, Sparkassen und andere Betriebe schnell gleich. Mit dem Angebot einer faktischen Nullrunde bei Ausweitung der Arbeitszeiten, der Androhung von Entlassungen, Kündigung des Tarifvertrags über die Arbeitszeiten und Abkopplung der Krankenhausbeschäftigten (mit etwa 450.000 die größte Gruppe in den Kommunen) von der Einkommensentwicklung im restlichen Öffentlichen Dienst, gossen die Arbeitgeber nur noch mehr Öl ins Feuer. Die Gewerkschaften revanchierten sich mit entschlossenen Aktionen: etwa am 21. Februar in Hannover, als alle städtischen Kitas geschlossen blieben, weil ver.di den Abschluss von Notdienstvereinbarungen verweigerte, und am Folgetag, als erstmals seit 16 Jahren der Nahverkehrsbetrieb Üstra ganztägig bestreikt wurde. Am 5. März zielten sie mit einem bundesweiten Streik auf den Sicherheitsbereich der Flughäfen. In Hannover-Langenhagen gab es einen Vorgeschmack dessen, was im Falle eines unbefristeten Ausstandes geschehen kann: bis 10 Uhr wurde der gesamte Flugverkehr lahmgelegt. Auch die Beamten wurden einbezogen: um Streikbruch zu verhindern, hielten sie z.B. in Hannover am 19. Februar eine Personalversammlung ab.

Mogelpackung

Das Ergebnis wird nun mit allen Tricks der Tarifarithmetik auf 7,9% schön gerechnet. Zugrunde gelegt werden die Entgelttabellen von 2005; seitdem hatte es außer Einmalzahlungen keine Tariferhöhungen gegeben. Diese fließen jetzt prozentual aber genauso wenig in das Vergleichsentgelt mit ein wie die verlängerten Arbeitszeiten, die 2006 nach Verabschiedung des TVöD in mehreren Bundesländern von den Kommunen durchgesetzt werden konnten.[3] Hinzu kommt die Splittung der Erhöhung auf zwei Jahre Laufzeit.[4] Rückwirkend zum 1. Januar (Ost: 1. April) steigen die Löhne jetzt um monatlich 50 Euro plus 3,1%, zum 1. Januar 2009 um weitere 2,8%. Dazu kommt eine Einmalzahlung von 225 Euro. Auszubildende bekommen rückwirkend 70 Euro mehr im Monat. Ab Juli werden die Arbeitszeiten im Tarifgebiet West einheitlich an die des Bundes, also wöchentlich 39 Stunden, angeglichen. Bisher lagen sie zwischen 38,5 und 40. Im Osten bleibt es bei 40 Stunden. Eine Sonderregelung gilt für Klinikbeschäftigte: 2008 gibt es monatlich nur 50 Euro plus 1,6% mehr, 2009 4,3% und einmalig 225 Euro. Wo bisher 38,5 Stunden gelten, bleibt es dabei. Abgezogen werden ihnen dafür monatlich zehn Euro von der Krankenhauszulage und das Leistungsentgelt von einem Prozent. Ausnahme: In baden-württembergischen Kliniken bleibt es bei 39 Stunden; dafür gibt es nur die mickrigen Erhöhungen wie für alle anderen Klinikbeschäftigten.

Anmerkungen

[1] Übergangsweise werden die Beschäftigten auch nach Verabschiedung des TVöD 2005 nach den alten BAT-Regelungen eingruppiert; eine neue Entgeltordnung wird noch verhandelt. Diese sollte eigentlich 2007 in Kraft treten. Da dies nicht geschehen ist, wurden die Fristen im Überleitungstarifvertrag überschritten. Diese mussten nun wegen ihrer Auswirkungen auf Tätigkeits-, Zeit- und Bewährungsaufstiege verlängert werden.

[2] Fronttransparent der Üstra-Beschäftigten in Hannover am 22. Feb. 2008.

[3] Allein die Inflationsrate summierte sich nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 2005 bis 2007 auf 6,1%.

[4] Das ganze wird jetzt als „lineare Gehaltserhöhung“ von 7,9% verkauft, um den Eindruck zu erwecken, die Beschäftigten hätten ihr Ziel von fast acht Prozent erreicht.

Schreibe einen Kommentar