Kultur

Streik im Buch

„Der Streik kehrt zurück“ titelte die Direkte Aktion schon 2006. Das gilt auch für die Medienlandschaft. Selten sind so viele Bücher, Broschüren und Filme zum Thema ‚Streik’ erschienen wie in den vergangenen Monaten.

Dass dabei Bücher zu aktuellen Streiks erscheinen, wie etwa das Buch zum halbjährigen Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf oder der Film „Es geht nicht nur um unsere Haut“ über den Streik bei den Bosch-Siemens-Haushaltsgerätewerken (vgl. Direkte Aktion Nr. 180), ist naheliegend, gleichzeitig nehmen sich kritische Verlage aber auch vermehrt der Geschichte des Streiks wieder an. Exemplarisch seien drei Bücher vorgestellt, die sich unter verschiedenen Aspekten mit der Geschichte des Streiks auseinandersetzen.

Lucy Redler hat sich der Geschichte der politischen Streiks in Deutschland angenommen. Die ‚rote Lucy’ ist aktiv in der SAV (Sozialistische Alternative) und für die PDS im Berliner Stadtrat. ‚Politisch’ sind Streiks für Redler, wenn sie entweder im marxistisch-leninistischen Sinne eines kollektiven Klassenbewusstseins geführt wurden oder aber der staatlich-juristischen Definition entsprechen. Beide Ansätze sind durchaus tauglich, um eine Streikuntersuchung vorzunehmen. Aber: nicht gleichzeitig, denn sie schließen sich aus. Beide anzuwenden, führt zu einer hochgradigen Beliebigkeit. Redler hätte jeden Streik untersuchen können und diesen in ihrem Sinne als ‚politisch’ definieren können. Stattdessen, und das ist das zweite Problem an ihrer Arbeit, konzentriert sie sich aber auf die großen Ereignisse: Ihre Arbeit ist insofern keine Arbeit über das reale Streikgeschehen, sondern über die öffentliche Erinnerung an Streiks.

Im Gegensatz zu Lucy Redler hat Peter Birke sich in seiner Doktorarbeit „Wilde Streiks im Wirtschaftswunder“ auf das Kleine konzentriert. Die Streiks, die Peter Birke vergleichend in Dänemark und Deutschland untersucht, fanden nicht immer ihren Weg in die Medien, und das durchaus beabsichtigt: Der Arbeiterwiderstand, den Birke untersucht, war oftmals illegal und sollte gar nicht an die Öffentlichkeit dringen, damit er nicht zu einem (kriminellen) ‚Fall’ wird. Damit hat er sich einer nahezu nicht zu bewältigenden Aufgabe verschrieben, denn Berichterstattung, Dokumentation und Statistik sind hier nur schwer zu finden. Offizielle Streikstatistiken in Deutschland etwa registrieren erst Streiks, wenn diese von mehr als zehn Personen geführt werden und mehr als 100 Tage Arbeitsausfall zur Folge haben.

Während man aus Redlers Buch schließen müßte, dass es bis heute eigentlich keine politischen Streiks im Nachkriegsdeutschland gab, zeigt Peter Birke, wie relevant auch unbekanntes Streikgeschehen letztendlich für politische Bewegungen war. Dass, wie bei Redler, ein Streik im marxistischen Sinne erst dann „politisch“ ist, wenn er im Sinne der ganzen ArbeiterInnenklasse geführt wird, führt eine Diskussion über den Streik nicht weiter, denn in diesem Sinne könnte es heutigentags — abgesehen von einer sozialen Revolution — schlechterdings keine politische Streiks geben.

Da kann man nur den Herausgebern des Sammelbandes „Die großen Streiks“ recht geben: „[E]ine Trennlinie zwischen ökonomischen und politischen Streiks existiert für uns […] nicht“ (S.12), denn eine Untersuchung ‚politischer Streiks’ im juristischen Sinne anzustreben, kann nur bedeuten, ein herrschaftliches Verständnis dieses Begriffs zu reproduzieren. Streik als kollektiver Widerstand von Arbeitenden setzt kein vorheriges kollektives Klassenbewusstsein voraus, sondern schafft es erst — und das gilt für alle Streiks. Insofern ist entweder jeder oder kein Streik politisch — je nachdem, was man unter ‚Politik’ versteht.

Mit dem Streiktheoretiker Edgar Weick muss man ihr eine wesentliche Erkenntnis der Streikforschung entgegenhalten: Die Arbeiterklasse hat gestreikt, als es ihre Theoretiker für unmöglich hielten, und oft nicht gestreikt, als die Theoretiker von der Notwendigkeit eines Streiks überzeugt waren“ (1971).

Sowohl Peter Birke als auch Matthias Seifert und Holger Marcks bzw. die von ihnen versammelten AutorInnen haben sich wesentlich mehr Mühe geben, eine Geschichtsschreibung von unten zu betreiben. Bei ihnen ist nicht wichtig, warum gestreikt wurde oder gestreikt hätte werden ‚müssen’, sondern allein, dass gestreikt wurde.

Lucy Redlers Buch erscheint als nicht überarbeitete Magisterarbeit, die nur publiziert wurde, damit der neue Star der Linken eine Publikation vorzuweisen hat. Alle Daten und Fakten dieses Buches sind woanders zu bekommen. Als Einführung in das Thema taugt es dennoch, ist aber mit Vorsicht zu genießen. Peter Birkes Arbeit dagegen ist ohne Übertreibung bahnbrechend. Es erfordert Geduld und Zeit, dieses sprachlich schön geschriebene Buch durchzuarbeiten, aber es ist die Mühe wert. Gerade aus basisgewerkschaftlicher Sicht ist es erfreulich, dass Birke sich der Geschichte des ‚kleinen’ Widerstands verschrieben hat. Die Sammlung der großen Streiks von Marcks und Seiffert schließlich ist ein hervorragendes Lesebuch, das immer mal wieder zur Hand genommen werden kann. Sie berichten, wie ja auch der Untertitel kund tut, „Episoden aus dem Klassenkampf“ und man kann nur sagen: Auftrag erfüllt.

Die Bücher

  • Marcks, Holger und Matthias Seiffert (Hg.): Die großen Streiks. Episoden aus dem Klassenkampf. Unrast-Verlag, Münster 2008. 14,80 EUR
  • Redler, Lucy: Politischer Streik in Deutschland nach 1945. Neuer ISP-Verlag, Köln/Karlsruhe 2007. 14 EUR
  • Birke, Peter: Wilde Streiks im Wirtschaftswunder. Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark. Campus-Verlag, Hamburg/New York 2007. 39,90 EUR
Torsten Bewernitz

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Torsten Bewernitz

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