Die 65-Stunden-Woche kommt zurück. EU-Arbeitsminister verabschieden neue Arbeitszeit- und Leiharbeitsrichtlinie
Zeiten kommen und gehen – und kommen offensichtlich auch wieder. So auch Arbeitszeiten, die einen eher an Verhältnisse aus dem Frühkapitalismus denken lassen. Denn die maximale Wochenarbeitszeit soll EU-weit auf bis zu 65 Wochenstunden heraufgesetzt werden. LeiharbeiterInnen sollen dabei zumindest die gleichen Rechte wie Festangestellte bekommen, in Wirklichkeit werden sie aber weiter betrogen.
Die Mehrheit der Arbeitsminister der 27 EU-Mitgliedstaaten hat sich am 10. Juli, nach langjährigen Debatten, auf eine Arbeitszeit- und Leiharbeitsrichtlinie geeinigt und sie zum Beschluss an das EU-Parlament weitergeleitet. Im Herbst soll dort über die Richtlinien abgestimmt werden. Die Regierungen von Spanien, Belgien, Griechenland, Ungarn und Zypern übten Kritik an der Arbeitszeitrichtlinie, in der sie sich mehr Schutz der Beschäftigten gewünscht hatten, und forderten das EU-Parlament auf, sich dagegenzustellen.
Die konservativen Parteien sowie die englischen und deutschen Sozialdemokraten wollen die Forderung der Unternehmer erfüllen, die bisher zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche auf bis zu 65 Stunden zu erhöhen. Formell wird die 48-Stunden-Woche zwar als Norm dargestellt, es gibt aber Möglichkeiten, sie zu umgehen, so dass sie de facto wohl abgeschafft und auf 60 bzw. 65 Stunden ausgeweitet wird. Als reiner Hohn müssen die Behauptungen der europäischen Bürokratie und der Bundesregierung gewertet werden, die Direktive, zu der die Arbeitszeit- und Leiharbeitsrichtlinie gehören (2003/88/CE), sei zum Schutz der ArbeiterInnen und ihrer Gesundheit gemacht.
„Der letzte offene Punkt, den der Rat gelöst hat, war die sogenannte „opt-out Regelung“, d.h. die Möglichkeit, dass die maximale wöchentliche Arbeitzeit (48 Stunden) nicht gilt, wenn der Arbeiter einer längeren Arbeitszeit zustimmt“, heißt es in einer Erklärung. Macht jemand von dieser Möglichkeit Gebrauch, kann die wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 60 Stunden ausgedehnt werden. Neben dieser individuellen „freiwilligen“ Überschreitung der 48-Stunden-Woche stellt der sog. Bereitschaftsdienst einen anderen wichtigen Punkt in der Arbeitszeitrichtlinie dar. Unter Bereitschaft wird die Zeit verstanden, in der Beschäftigte am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen müssen, um bei Bedarf des Unternehmers bestimmte Arbeiten auszuführen. Im Hinblick auf die Bereitschaftszeiten macht die Richtlinie eine trickreiche Unterscheidung zwischen „aktiver“ und „inaktiver“ Zeit.
Damit sollen die Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ausgetrickst werden. Der EuGH hielt in zwei Urteilen (Simap/Jäger) fest, dass Bereitschaft prinzipiell als Arbeitszeit zu gelten habe, da die Beschäftigten im Betrieb anwesend sein müssen, falls ein Notfall auftritt. Diese Urteile brachten die EU-Staaten vor allem im Gesundheitsbereich in Schwierigkeiten, da die Ärzte in fast allen Krankenhäusern der Union illegalerweise länger als erlaubt arbeiten müssen.
Es wurde daher die sogenannte „inaktive“ Bereitschaft erfunden, ein Zeitraum, in dem der Beschäftigte die Verpflichtung hat, am Arbeitsplatz zur Verfügung zu stehen, vom Arbeitgeber aber nicht zu Tätigkeiten eingesetzt wird. Die „inaktive“ Bereitschaft auf Abruf soll EU-weit nicht als Arbeitszeit anerkannt werden, außer einzelstaatliche Gesetze oder Regelungen, ein Tarifvertrag oder eine Vereinbarung zwischen den „Sozialpartnern“ sehen dies ausdrücklich vor. Dagegen soll die „aktive“ Bereitschaft, bei der es am Arbeitsplatz auch zum Einsatzfall kommt, als Arbeitszeit gewertet werden.
Die maximale wöchentliche Arbeitszeit bleibt also auf dem Papier bei 48 Wochenstunden, inklusive Überstunden und „aktiver“ Bereitschaft. In den Ländern, in denen nur die „aktive“ Bereitschaft als Arbeitszeit gilt, ist die 60-Stunden-Woche möglich, wenn über einen Zeitraum von drei Monaten der Arbeitsdurchschnitt bei 48 Stunden liegt. Das kann per Tarifvertrag oder durch eine Vereinbarung der „Sozialpartner“ aber noch verschlechtert werden. Falls willige Gewerkschaften mitspielen und entsprechende Tarifverträge unterschreiben, kann ein Durchschnittszeitraum von zwölf Monaten vereinbart werden. Die christlichen Pseudo-Gewerkschaften und auch Verdi werden sich wohl nicht lange bitten lassen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich in einem Land keine Gewerkschaft findet, die solche Verschlechterungen unterschreibt, kann die 12-Monats-Regelung auch per Gesetz, nach Gesprächen mit den „Sozialpartnern“, eingeführt werden.
Wenn bei ArbeiterInnen die „inaktive“ Arbeitszeit während des Bereitschaftsdienstes auf die Arbeitszeit angerechnet wird und es keinen Tarifvertrag gibt, kann eine maximale wöchentliche Arbeitszeit von 65 Stunden gelten, wenn es auch im Durchschnitt über drei Monate gerechnet wieder 48 Stunden sein müssen.
LeiharbeiterInnen sollen vom ersten Tag an grundsätzlich die gleichen Rechte in den Betrieben bekommen wie die fest angestellten KollegInnen. Diese Gleichstellung kann verhindert werden, wenn willige Gewerkschaften mit den Bossen Verschlechterungen durch einen Tarifvertrag vereinbaren.
In Deutschland wird es daher keine großen Änderungen geben. Hier wurde bereits im Rahmen der Agenda 2010 der Grundsatz der gleichen Bezahlung und Behandlung (equal pay – equal treatment) von LeiharbeiterInnen beschlossen, durch die DGB-Tarifgemeinschaft, unter der Führung von Verdi, wurden den LeiharbeiterInnen diese Rechte per Tarifvertrag mit den Verbänden der Leiharbeit (BZA/iGZ) jedoch wieder genommen. Der Betrug um die gleichen Bedingungen für LeiharbeiterInnen findet in Deutschland durch einen Nebensatz im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) statt: „Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.“
Damit kann die gleiche Bezahlung und Behandlung durch Verschlechterungstarifverträge außer Kraft gesetzt werden. Das Besondere ist dabei, dass üblicherweise die Leistungen aus Tarifverträgen nur den Mitgliedern der abschließenden Gewerkschaft zugute kommen; in diesem Fall können die Verschlechterungen aber allen Beschäftigten der Branche aufgezwungen werden.
In der EU-Leiharbeitsrichtlinie soll die weitere Schlechterstellung der LeiharbeiterInnen durch eine Formulierung im Artikel 5 (Abs. 3) sichergestellt werden, die mit der deutschen Regelung fast identisch ist. Für Staaten, in denen Tarifverträge unüblich sind, wird sicherheitshalber mit Artikel 5 (Abs. 4) die Möglichkeit geschaffen, LeiharbeiterInnen auch durch landesweite Vereinbarungen der „Sozialpartner“ um ihre Rechte zu betrügen. Das deutsche Modell, Rechte auf dem Papier zu gewähren, um sie dann durch Vereinbarungen mit gefälligen Gewerkschaften wieder außer Kraft setzen zu lassen, soll damit europäischer Standard werden.
Welche Chancen wir haben, die Arbeitszeitrichtlinie zu verhindern, werden die nächsten Monate zeigen. Die CNT bereitet derzeit jedenfalls eine Kampagne in Spanien vor.
kc
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