Wie viele andere Länder auch befindet sich Portugal aktuell in einer ökonomischen Krise. Diese Situation ist in Portugal allerdings nichts neues. Das Modell von niedrig qualifizierten ArbeiterInnen mit geringen Löhnen wurde hier über Jahrzehnte aufrechterhalten, denn es versprach hohe Profite. Im Zuge der ökonomischen Globalisierung kollabierte dieses veraltete Modell. In der Folge verschlechterten sich die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen weiter, die traditionellen Industrien, bspw. die Textil- und die Schuhindustrie, wurden abgewickelt und hinterließen eine breite Erwerbslosigkeit. In den letzten Jahren nahm die soziale Ungleichheit weiter zu, der gesellschaftliche Reichtum konzentrierte sich immer mehr in der Hand von Wenigen. Heute sind prekäre und schlecht bezahlte Arbeitsbedingungen die Realität für die Mehrheit der portugiesischen Lohnabhängigen.
Die portugiesische Gesellschaft zeichnete sich bis vor kurzem durch eine lang anhaltende Abstinenz von öffentlich ausgetragenen sozialen Konflikten aus. Erst in letzter Zeit hat sich dies geändert. So gab es einige Großdemonstrationen, z.B. anlässlich der Proteste gegen das Treffen der EU-Arbeitsminister 2007, als in Lissabon 200.000 Menschen auf die Straße gingen. In den letzten Monaten gab es außerdem breite Proteste von LehrerInnen gegen Reformen im Bildungsbereich. Sie gipfelten in einer Demonstration von 100.000 Menschen in Lissabon. Diese Bewegung verlief sich allerdings in den bürokratischen Strukturen der beiden großen Gewerkschaften. Sie sind es, die nach wie vor die portugiesische Arbeiterbewegung kontrollieren. Die „Confederação Geral dos Trabalhadores Portugueses“ (CGT-P) ist die größte dieser Gewerkschaften, sie wird traditionell von der kommunistischen Partei dominiert. Es folgt die „União Geral de Trabalhadores“ (UGT), welche von der sozialistischen Partei, die aktuell die Regierung stellt, beeinflusst wird.
Die Zeichen für eine umfassende soziale Krise in Portugal verdichten sich, während der Staat fortlaufend die Repressionsorgane verstärkt. In diesem Kontext kommt es auch hin und wieder zu Arbeitskämpfen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie nur schwach oder gar nicht von den großen Gewerkschaftsapparaten beeinflusst werden. Diese agieren in erster Linie in den Sektoren, in denen sie traditionell stark verankert sind. Dort versuchen sie sämtliche Konflikte zu kontrollieren und unterbinden sektorenübergreifende Solidarität.
Die portugiesische Sektion der Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation (AIT-SP) ist eine kleine Organisation, die sich in erster Linie mit Solidaritätsaktivitäten und dem Verbreiten der anarchosyndikalistischen Idee in Portugal befasst. Unser Ziel ist es, über die Entfaltung von Klassenkämpfen und emanzipativen Konflikten die Grundlagen für die Gründung einer anarchosyndikalistischen Föderation zu schaffen. Aktuell haben wir die meisten Mitglieder in Lissabon, eine kleine Gruppe in Porto und einige einzelne Mitglieder in verschiedenen Teilen des Landes. Alle zwei Monate geben wir ein Bulletin heraus, um Informationen über Konflikte zu verbreiten, Basisinformationen über eine libertäre ArbeiterInnenorganisation bereit zu stellen und unsere Positionen zu verbreiten.
Die AIT-SP organisierte in diesem Jahr eine Kampagne gegen staatliche Repressionen, die sich gegen kämpfende ArbeiterInnen und soziale Bewegungen richteten. Aktuell führen wir eine Kampagne gegen die sozialen Ungleichheiten in der Bevölkerung durch, welche durch die abgehobenen Debatten über die Finanzkrise eher verdeckt als aufgezeigt werden.
In Porto unterstützt die AIT-SP zudem migrantische ArbeiterInnen. Ein Genosse steht dort derzeit vor Gericht, weil er den „guten Ruf“ der Ausländerbehörde beschädigt haben soll. Der Anlass sind Presseveröffentlichungen und eine Demonstration im Juni 2006, die auf den Selbstmord eines pakistanischen Arbeiters aufmerksam machten, der illegal in Portugal lebte und von den Behörden massiv unter Druck gesetzt worden war.
Wir glauben nicht, dass die AIT-SP in den nächsten Jahren eine Massenorganisation werden wird. Nichtsdestotrotz registrieren wir, dass sich die Perspektiven zur Entfaltung von Klassenkämpfen in den letzten Jahren verbessert haben. Themenfelder, in denen sich für uns Perspektiven eröffnen, sind bspw. die Organisation von prekär Beschäftigten, die in der Regel nicht in den bürokratischen Gewerkschaften organisiert sind, sowie die Unterstützung von MigrantInnen, die in diesen Kreisen ebenfalls keine Lobby haben. Dabei müssen wir uns auf unsere eigene Realität als Lohnabhängige beziehen und sie mit der Realität der anderen, in Form von direkter Solidarität, verknüpfen. In dieser Beziehung sammeln die Mitglieder der AIT-SP aus Porto momentan einige Erfahrungen: Jüngst kamen sie in Kontakt mit den ArbeiterInnen von Fidar, einer Textilfabrik im Norden Portugals. Diese blockierten für zwei Monate ihre Fabrik, nach dem der Boss den Laden dicht machte und die ArbeiterInnen vor die Tür setzte, ohne ihnen die ausstehenden Löhne und Abfindungen zu zahlen, was in Portugal keine unübliche Praxis ist. Durch die Blockade wollten sie verhindern, dass die Maschinen abtransportiert werden.
Sehr wichtig ist uns zudem der Ausbau der Koordination mit unseren Schwestergewerkschaften. Die internationalen Aktionstage gegen das Rote Kreuz, Lionbridge und Starbucks können nur der Anfang einer ansteigenden Dynamik der Aktivitäten innerhalb der IAA gewesen sein. Europaweite Kampagnen gegen das Gesetz zur 65-Stunden-Woche und gegen die unmenschlichen EU-Migrationsgesetze sollten der nächste Schritt sein.
Übersetzung: Robert Ortmann
Post Office Box: Apartado 50029 / 1701 – 001 Lisboa / Portugal
E-Mail: aitport(a)yahoo.com
Website: http://ait-sp.blogspot.com
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