In den 70ern waren sie Ausdruck und zentraler Bestandteil einer Bewegung, die es heute nicht mehr gibt – sie aber sind noch da: die alternativen Buchläden und Antiquariate
Eigentlich ist dies die Gegend der kreativen High Society der Stadt. Im Hamburger Stadtteil Ottensen gehören die Restaurants und Kneipen, die Kinos und Geschäfte den saturierten UnternehmerInnen, den piekfeinen Kunstschaffenden, den Fernsehsternchen und Boutique-BesitzerInnen. Wacker hält sich hier seit 1978 der Buchladen „Nautilus“. An Stadtteilarbeit, so wie sie früher einmal im und um den Laden stattgefunden hat, ist heute allerdings nicht mehr zu denken. „Die Szene ist einfach weggebrochen.“ Peter, der sich mit der DA zu einem Gespräch über das Wesen der alternativen Buchläden getroffen hat, spricht von der sog. „undogmatischen Bewegung“ der 70er und 80er Jahre. In ihr waren die Buchläden Orte des Austausches, Ausgangspunkt für politische Agitation, sowie Spiegel der eigenen Richtung und Vielfalt. „Auch wir bieten das Buch heute als Gebrauchsgegenstand an – für Anwälte, Ärzte, Journalisten sowie Eltern. Ansonsten könnten wir nicht überleben.“ Doch den politischen Anspruch, darauf besteht Peter, würden sie nie aufgeben. In der Mitte des Ladens liegen eine Vielzahl linksradikaler und anarchistischer Zeitschriften aus, im Schaufenster wird mit Einführungen in den Anarchismus und Marxismus geworben, und die „Theorie-Ecke“ strotzt von einem reichen Fundus an revolutionärer Gedankenflut. Über der Kasse posiert Bakunin. „Bücher sind immer auch eine Antwort auf den Zustand der Bewegung“, erklärt Peter das Übermaß an Klassikern innerhalb des linken Buchbestandes – den jetzigen Zustand könne man bedauern, auch wenn er nun mal akzeptiert werden müsse.
Formal sind die noch etwas über 70 in Deutschland existierenden alternativen politischen Buchläden als Einzelhandelsbetrieb oder GmbH organisiert, doch in wohl so ziemlich jedem wird versucht, die Utopie einer anders organisierten Welt ein klein wenig praktisch werden zu lassen. Entscheidungen werden prinzipiell kollektiv gefällt, und zumindest in größeren Läden wird meist allen Beschäftigten der gleiche Lohn gezahlt. Einige von diesen im Vergleich großen Buchläden sind allerdings zusätzlich auf die Anstellung von 400-Euro-JobberInnen angewiesen, wie etwa die Hamburger Buchhandlung im Schanzenviertel. Hier, wo die Szene-Schickeria im Traditionsgebiet der lokalen Autonomen expandiert, musste sich auch dieser Buchladen auf andere Umstände einstellen. So sind überteure Bände über Streetart sowie Hochglanz-Musikbücher ein wichtiges Standbein des Ladens geworden. Trotzdem ist er der wohl wichtigste linke Buchladen der Stadt. Hier finden die derzeitigen Diskussionen innerhalb der radikalen Linken ihren Widerhall, sowohl im Buchsortiment wie auch in den Einstellungen der hier Arbeitenden. Allein zum Dauerthema „Antideutsch“ finden sich gleich mehrere relativ neue Bücher verschiedenster Ansichten. Und auch andere Themen wie Feminismus, anarchistische Theorie, soziale Bewegungen und Kämpfe sind äußerst großzügig vertreten. „Im Schanzenviertel gibt es nach wie vor viele Linke, ob sie nun hier wohnen oder nur den Nachmittag verbringen.“ Der Roten Flora sei dank.
Von solch einer Situation können andere linke Buchläden wiederum nur träumen. Bei ihnen muss so manche Arbeitsstunde unentgeltlich verrichtet werden – die Konkurrenz der Ketten à la Weiland ist nicht selten vernichtend groß. Im Zapata-Buchladen in Kiel sind die wirtschaftlichen Probleme des Ladens trotzdem nur schwer verständlich. Eigentlich gäbe es in Kiel und Umgebung sicherlich an die 10.000 Menschen, die sich irgendwie „links“ bzw. „alternativ“ sehen würden oder zumindest früher einmal dazu gehörten. Und das Zapata, das aus einem vor 28 Jahren gegründeten Infoladen hervorging, ist der letzte linke Buchladen der Stadt, in der früher sogar eine Auswahl an themenspezifischen Orten linker/alternativer Literatur existierte. Wieso kaum jemand hier noch Bücher kauft, bleibt ein Rätsel. „Im Antiquariat haben wir hunderte von älteren linken Büchern, von denen einige nirgendwo anders mehr zu bekommen sind. Doch trotz des günstigen Preises sind die meisten so gut wie nicht zu verkaufen.“ Aufgrund der geringen Nachfrage musste hier z.B. auch das Angebot an linker schwuler/lesbischer Literatur praktisch auf Null runtergeschraubt werden, und auch die linke Frauenliteratur ist nicht mehr der Selbstgänger, der sie früher einmal war. Ähnlich düster sieht es mit den Zeitschriften aus. Früher sei fast monatlich eine neue linke Zeitschrift erschienen, und es habe dazu gehört, sich anhand der verschiedenen Zeitschriften über die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Bewegungen zu informieren. Aber auch das habe fast gänzlich aufgehört, was im Zapata als ein Anzeichen für eine weit verbreitete Lese- und Theorieunlust interpretiert wird. „Wir müssen zusammenarbeiten und zusammenhalten“ – gemeint sind die sehr unterschiedlichen linken Orte in Kiel –, „bis eines Tages vielleicht wieder bessere Zeiten für eine revolutionäre Bewegung hereinbrechen.“
Sicherlich haben die unzähligen Internetforen viel dazu beigetragen, dass Bücher und Zeitschriften nicht mehr den Stellenwert innehaben, wie es für die 70er Jahre galt. Dass aber häufig ein x-beliebiges Buch fürs Studium, fürs Hobby oder was auch immer oft ebenfalls einfach im Internet bestellt wird, anstatt mal eben in den lokalen alternativen Buchladen zu gehen, ist schade und ein Stück weit unsolidarische Bequemlichkeit. Wer sich doch mal wieder aufmacht, und vielleicht ein wenig Zeit mitbringt, kann zu solch einem Anlass dann endlich mal wieder in dem Sortiment der Läden stöbern, und mit anderen über die Bücher und Themen diskutieren, die das Wesen solcher Läden ausmachen.
Marcus Munzlinger
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