Wie durch Kurzarbeit die Gewinne erhöht und die Beschäftigten eingeschüchtert werden
Eigentum verpflichtet. Dieser Satz aus dem Grundgesetz wird immer mehr ausgehebelt. Sowohl auf moralischer wie auch auf rechtlicher Ebene. Durch § 615 BGB sind die Firmen verpflichtet, ihre Beschäftigten auch dann zu bezahlen, wenn sie vorübergehend keine Arbeit für sie haben. Dies gilt auch für Zeitarbeitsfirmen, aber gerade dort wird es oftmals anders gehandhabt. Der aktuelle Hebel heißt Kurzarbeit.
Kurzarbeitergeld wird gewährt, wenn in Betrieben oder einzelnen Abteilungen die regelmäßige, betriebsübliche, wöchentliche Arbeitszeit infolge wirtschaftlicher Ursachen oder eines unabwendbaren Ereignisses vorübergehend verkürzt wird. Ob die sogenannte Finanzkrise ein unabwendbares Ereignis ist, und ob alle Unternehmen, die derzeit Kurzarbeit beantragt haben hierzu auch wirtschaftlich gezwungen sind, ist zu bezweifeln. Aber Kurzarbeit und Finanzkrise müssen nur oft genug in einem Atemzug genannt werden und schon ist die Notwendigkeit herbeigeredet. Anfang Oktober 2008 wurde die Finanzkrise erstmals durch ganzseitige Zeitungsartikel und ständiges Wiederholen in den Medien thematisiert und bereits zum Januar 2009 wurde – wegen angeblicher, außergewöhnlicher Verhältnisse – durch den Bundesarbeitsminister die Bezugsfrist für das Kurzarbeitergeld per Rechtsverordnung schnell mal von sechs auf Monate 18 Monate angehoben.
Und sind erst einmal die Tatsachen geschaffen, können dann auch unternehmerische Fehlleistungen und Risiken auf die Kostenseite der Beschäftigten und die Allgemeinheit abgeschoben werden. Zum Beispiel wenn UnternehmerInnen der Meinung sind, die Preise seien derzeit zu hoch und aus diesem wirtschaftlichen Zwang heraus keine Bestellungen aufgeben. Oder wenn beispielsweise modernisiert wird und die Produktion, bedingt durch die Umbaumaßnahmen, zeitweise eingeschränkt werden muss.
„Wir sind auf einen großen Ansturm auf die Kurzarbeit vorbereitet. Wir haben die finanziellen Möglichkeiten und den Willen, sie einzusetzen“, betonte Bundesarbeitsminister Scholz. „Wir auch!“, wird es darauf in den Vorstandsetagen geschallt haben, als Scholz seinen Ausführungen noch jenen Satz anhängte: „Jetzt entlasten wir die Betriebe in dieser Phase auch noch finanziell, indem der Staat die Hälfte der Beiträge zur Sozialversicherung übernimmt.“ Welchen Hintergrund hat diese Aussage? Für die Ausfallstunden der Beschäftigten, hätten die Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge eigentlich allein zu tragen, d.h. auch den Anteil der Beschäftigten. Doch den, würden wir nach dem Willen von Scholz und Rüttgers jetzt auch noch an die Unternehmen zurückzahlen – mit unserer Steuer.
Viele Unternehmen flüchten derzeit in die Kurzarbeit. Und bei dieser Flucht aus der Verantwortung wiederholen sie gebetsmühlenartig, dass Kurzarbeit eine Möglichkeit für Unternehmen ist, bei schwieriger Wirtschaftslage Kündigungen zu vermeiden – und dabei die eigenen Schäfchen im Trockenen zu lassen, wäre noch hinzuzufügen. Dem arbeitenden Volk dagegen bietet sich die Gelegenheit, schon mal für die eventuell folgende Erwerbslosigkeit zu üben. So kann die Agentur für Arbeit, Leute die Kurzarbeitergeld beziehen, auffordern, sich an Tagen des Arbeitsausfalls persönlich bei der Agentur für Arbeit zu melden. Wer sich nicht meldet, dem wird das Kurzarbeitergeld für eine Woche gestrichen. Wer sich meldet, dem kann eine Nebentätigkeit zugewiesen werden. Der Verdienst aus dieser Nebentätigkeit mindert dann wieder den Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Wird diese Arbeit nicht angenommen, erfolgt eine Sperrzeit von 3 Monaten – Hartz IV light.
Welchen Nutzen können die Unternehmen nun aus der Kurzarbeit ziehen? Nehmen wir einmal Volkswagen: Hier hieß es in der letzten Februarwoche für rund 61.000 Beschäftigte: „Kurzarbeit“. Ok, aber nur eine Woche? So einen Zeitraum sollte ein Unternehmen, das kurz zuvor einen erneuten Verkaufsrekord verkündet hat, doch locker wegstecken können? Und ist nicht die Rede davon, dass es auf den Automobilmärkten in Europa eine Überkapazität von vier bis fünf Millionen Fahrzeugen gäbe? Also da sollte dann doch mit mehr als einer Woche Kurzarbeit gerechnet werden – oder? Vielleicht steckt ja mehr dahinter, wenn VW schon bei einer Woche den Staat um Kurzarbeitergeld anbettelt? Stehen die vielleicht doch nicht so gut da, wie sie immer behaupten oder gibt es andere Gründe für dieses Verhalten? Rechnen wir doch mal:
61.000 Beschäftigte x 5 Tage = 305.000 Beschäftigungstage * 7 Stunden = 2.135.000 Arbeitsstunden. Diese Arbeitsstunden werden zu 60%-67% über die Arbeitsagentur vom Steuerzahlern bezahlt. Kosten für VW: 0,- Ersparnis für VW: geschätzte 60 – 80 Millionen Euro. Einfach mal so nebenbei mitgenommen. Ach ja, die Fließbänder stehen in dieser Zeit ja auch noch und in diesen kalten Wintertagen müssen die Hallen auch nicht geheizt werden. Die daraus resultierende Energieeinsparung bitte auch noch auf der Habenseite verbuchen.
Die Mehrheit der Belegschaften hält die aktuellen Kurzarbeitsmaßnahmen für notwendig, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten und das Unternehmen zu entlasten. So gehen die Berechnungen von Regierung und Unternehmen auf, mit Kurzarbeit Steuereinnahmen zu sichern, firmenspezifisch qualifizierte Arbeitskräfte bei gleichzeitiger Kostenentlastung zu binden, sowie das Sozialsystem nicht endgültig zum Zusammenbruch zu bringen. Die DGB-Gewerkschaften tun ihr Übriges dazu. Unter ihren Fittichen wurden in den letzten Jahren in vielen Betrieben der Metall- und Chemieindustrie Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, die dazu führen, dass die Arbeitszeitkonten, die 2007/2008 mit Sonderschichten aufgebaut wurden, nun zur Produktionsreduzierung benutzt werden können.
Wundert es da noch, dass in diesen Branchen plötzlich alle jammern: BMW, BASF, Wacker Chemie, MAN, Opel, Bosch, Continental. Sie alle wollen teilhaben an dem politisch gewollten Manchesterkapitalismus. Hier haben sie die Möglichkeit, die Lohnstückkosten zu senken und gleichzeitig den Lohnabhängigen zu zeigen, wo der Hammer hängt. Dabei hilft die Arbeitsagentur. Sie hat zu überprüfen, ob die Kurzarbeit durch andere Maßnahmen verhindert werden kann (siehe „Kurzarbeit – was euch betrifft“).
Dazu gehört auch der Verzicht auf LeiharbeitnehmerInnen. Wer traut sich da noch, Solidarität zu üben, wenn es heißt: „Um die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft zu retten, müssen nun die Kolleginnen und Kollegen von den Leiharbeitsfirmen zurückgeschickt werden.“ Uff, gerade nochmal davon gekommen und entlassen wurde ja eigentlich auch niemand. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Stammbelegschaft gebeten wird, ein wenig flexibler zu sein. Die Gewerkschaften und die Betriebsräte reagieren auf solche Forderungen nur noch mit der Aushandlung von abweichenden Arbeitszeiten, Einsatzorten und Lohnbedingungen. Letztere werden in der ausgehandelten Kurzarbeit widerspruchslos hingenommen. Auch das zwangsweise Tilgen von Rest-Urlaubstagen und positiven Arbeitszeitkonten wird nicht hinterfragt. Die Unternehmen bestimmen Freizeitgestaltung und Bio-Rhythmus der ArbeiterInnen und haben damit nahezu kompletten Einfluss auf deren Leben und das derer Familien.
Sind Arbeitszeiten und Arbeitsplätze erst einmal durcheinander gewirbelt und flexibel, fällt auf, dass die Produktivität höher wurde. Soll heißen, es werden nun für die gleiche Menge an Arbeit weniger Leute benötigt. Da kommt es den Firmen gerade recht, dass in den letzten Jahren nur noch Zeitverträge abgeschlossen wurden. Die Stammbelegschaft putzt sich derweil mal den Angstschweiß von der Stirn, schließlich werden ja lediglich die Zeitverträge nicht verlängert – es wurde ja niemandem gekündigt.
Wie lange noch? Bei all diesen Aktionen fällt in vielen Betrieben gar nicht auf, dass die Kurzarbeit ein Mittel war, einen Teil der Stammarbeitsplätze abzubauen und unliebsame Beschäftigte loszuwerden. Diese Stellen werden dann bei Bedarf wieder mit Leiharbeitskräften aufgefüllt. Von den Wenigen, denen es vielleicht doch aufgefallen ist, traut sich allerdings kaum jemand mehr, den Mund aufzumachen.
Dass die Arbeiterschaft in Deutschland den Entwicklungen nichts entgegenzusetzen hat, ist das Ergebnis des sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurses zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten auf der einen Seite und den Unternehmensleitungen auf der andern. Dass dies Augenwischerei ist, zeigt die BASF. Hat deren Vorstandsvorsitzender Hambrecht doch erst Mitte Februar durchblicken lassen, dass eine Lücke in einer Betriebsvereinbarung genutzt werden soll, um weitere 1.200 Menschen zu entlassen.
Am Beispiel von Spanien kann aufgezeigt werden, wie selbstbewusst Belegschaften zusammenhalten und Unternehmen sowie Regierung zeigen, womit sie nicht einverstanden sind. Streiks und Demonstrationen gegen die Kurzarbeitsmaßnahmen in Spanien, kolorieren viele Stadtbilder. Vielleicht sollten sich die ArbeiterInnen in Deutschland kritisch fragen, ob die Sozialpartnerschaft die richtige Antwort auf die weiter abwärts stürzende wirtschaftliche Entwicklung ist.
Thersites / Konrad Armer
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