ArbeiterInnen besetzen eine Teigwarenfabrik in Argentinien und nehmen die Produktion in Selbstverwaltung wieder auf
Fünfzehn ArbeiterInnen einer Teigwarenfabrik in San Martín haben am 3. Februar diesen Jahres ihren Arbeitsplatz besetzt und inzwischen die Produktion in Selbstverwaltung wieder aufgenommen. Der Auslöser für die Besetzung war der Versuch des Fabrikbesitzers, Guillermo Ferrón, die Fabrik heimlich zu schließen und die ArbeiterInnen, um ihre seit fünf Monaten ausstehenden Löhnen zu prellen. Der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Federación Obera Regional Argentina (FORA) zufolge, hatte er das Unternehmen durch krumme Geschäfte in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht und heruntergewirtschaftet, während er die Gewinne in seine anderen Geschäfte – weitere Fabriken und eine Motorsportzeitschrift – investierte. Der Verwalter der Fabrik, Sergio Godoy del Castillo bezahlte weder die Rohstofflieferanten, die Elektrizitätswerke, noch die Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeiter und Arbeiterinnen. Letzteres hat zur Folge, dass sie und ihre Familien keine medizinische Versorgung erhalten, ein Diabetiker bekommt keine Medikamente mehr und zwei Opfer eines Arbeitsunfalls erhalten kein Geld für die nötige medizinische Behandlung.
Schließlich schickte Godoy del Castillo die ArbeiterInnen Anfang dieses Jahres in den Urlaub, angeblich weil er die Maschinen warten und somit deren Produktivität erhöhen wollte. Tatsächlich versuchte er aber, die Maschinen aus der Fabrik schaffen zu lassen, um sie zu verkaufen und von dem Erlös Schulden bei Zulieferern zu bezahlen. Die ArbeiterInnen erfuhren von Anwohnern von dem Versuch des Abtransports, den sie durch die spontane Besetzung der Fabrik verhindern konnten. Seitdem wachen dort Tag und Nacht die Beschäftigten der Fabrik, Verwandte und andere UnterstützerInnen, wie AktivistInnen der FORA, um einen erneuten Versuch des Abtransport der Maschinen zu verhindern. Da die einzige Existenzgrundlage der ArbeiterInnen die nun in ihrer Hand befindliche Fabrik war, beschlossen sie, die Produktion als Kooperative wieder aufzunehmen. Dazu müssen zwar rechtliche Kriterien, wie die Wahl eines Präsidenten, eingehalten werden, allerdings streben die ArbeiterInnen fernab von diesen Formalien eine basisdemokratische Struktur an. Im Vergleich zu anderen besetzten Fabriken in Argentinen gelang ihnen die Wiederaufnahme der Produktion erstaunlich schnell, dank Einnahmen aus einem von der FORA organisierten Solidaritäts-Festival und aufgrund von Vorschüssen der Zulieferer in Form von Rohstoffen, liefen die Maschinen schon nach einem Monat wieder an. Momentan läuft die Produktion noch nicht bei voller Kapazität, den ArbeiterInnen zufolge könnte sie bis zu 70 Menschen beschäftigen. Im Moment nehmen aber erst drei Vertriebe die Empanadas ab, außerdem gibt es einen Direktverkauf an AnwohnerInnen der Fabrik.
Die Lage der Kooperative ist noch prekär, denn sie wird auch durch die von den ehemaligen Chefs angehäuften Schulden bei Zulieferern und Versorgungsbetrieben wie der Elektrizitätsgesellschaft belastet. So müssen die ArbeiterInnen momentan noch die gesamten Einnahmen für die Bezahlung von Schulden, Elektrizität und den Aufbau der Kooperative aufwenden, damit sie auf sicheren Füßen stehen kann und nicht von staatlichen Geldern oder anderen Unternehmen abhängig wird. Zwischenzeitlich hat ein Konkurrent den ArbeiterInnen angeboten, sie einzustellen und die Kooperative in sein Unternehmen einzugliedern. Und der Unternehmerverband hat vorgeschlagen, die Maschinen zu verkaufen und von den Einnahmen die fünf Monate ausstehenden Löhne zu bezahlen. Die ArbeiterInnen haben dies abgelehnt, weil sie die erlangte Kontrolle über die Produktionsmittel nicht mehr leichtfertig aus der Hand geben wollen. Auch rechtlich ist die Lage nicht eindeutig, weil sie zwar Ansprüche in Form der Lohnforderungen an den Fabrikbesitzer haben, dieser aber gleichzeitig noch formal der Besitzer der Fabrik ist.
Fabrikbesetzungen und vor allem die Fortführung der Produktion in Selbstverwaltung sind in Argentinien in den letzten Jahren häufiger geworden. Vor allem das Beispiel der Kachelfabrik von Zanon in Nequén hat auch international für Aufsehen gesorgt. Oft ist die Ausgangslage ähnlich wie im Fall von Disco de Oro: Nachdem Unternehmer versuchen, die Fabrik auszuschlachten und die ArbeiterInnen oft monatelang auf ausstehende Löhne warten, besetzen diese die Fabrik und starten die Produktion als Kooperative. Problematisch ist dabei oft die wirtschaftlich und rechtlich prekäre Lage der Kooperativen, denn die Fabrik ist in den meisten Fällen Eigentum der ehemaligen Bosse und nicht der Kooperative, so dass die Gefahr einer Räumung langfristige Planungen und Investitionen erschwert. Manche ArbeiterInnen fordern deshalb, wie im Falle der Zanon-Fabrik, die Enteignung der Besitzer und die Verstaatlichung des Betriebes, wobei er dennoch selbstverwaltet bleiben soll. Das würde sie zwar einerseits bürokratischen Strukturen unterordnen, andererseits erhoffen sie sich davon die für langfristige Planung notwendige Sicherheit. Vor allem an den Besetzungen beteiligte TrotzkistInnen, streben eine Verstaatlichung nach diesem Modell an.
Vielen ArbeiterInnen geht es weniger um ideologische Konzepte als um die Sicherung ihres Lebensunterhaltes und eine angenehmere Gestaltung ihres Arbeitsalltags. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse, auch unabhängig vom Staat, kann die Selbstverwaltung gewährleisten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die ArbeiterInnen Unterstützung erfahren. In diesem Sinne könnte es sich lohnen, eine längere Aufbauphase der Kooperative mit vorläufig fehlenden Sicherheiten in Kauf zu nehmen, wenn dafür am Ende eine vom Staat unabhängige Selbstverwaltung herausspringt. Ob dies eine realistische Perspektive ist, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter von Disco de Oro entscheiden. Einfacher wird ihnen dies fallen, wenn sie spüren, dass eine entschlossene Bewegung hinter ihnen steht und sie unterstützt.
Daniel Colm
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