Ich soll einen Nachruf schreiben und bin doch müde. Was ich nicht in den letzten Tagen 260 Mal an verschiedene Zeitungen schickte – und nur sehr wenige haben sich dafür interessiert, dass in Barcelona ein alter Anarchist gestorben ist. Ein paar Zeilen hier und da. Was soll ich schreiben, was die DA-Leserschaft nicht schon weiß. Ich möchte keinen Personenkult betreiben, denn ich weiß, dass Abel dies abgelehnt hätte. Lieber möchte ich erwähnen, warum mich der Tod von Abel so betroffen macht.
Ein paar Fakten vorneweg. Geboren wurde Abel 1921 in Almería. 1934 trat er der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT bei und arbeitete als Lehrling in einer Textilfabrik. Als er 15 war, begann der Spanische Bürgerkrieg. Abel erlebte den Sommer der Anarchie sowie den Bürgerkrieg auf Seiten der CNT und FAI. Er kämpfte gegen das Franco-Regime und für die soziale Revolution. Nach dem Sieg der Faschisten flüchtete er 1939 vor den Truppen General Francos nach Frankreich. Dort wurde er mit anderen antifaschistischen KämpferInnen in verschiedenen Konzentrationslagern interniert. Nach dem Einmarsch der Nazis in Frankreich kehrte Abel 1942 nach Spanien zurück, um dort im Untergrund gegen das Franco-Regime zu kämpfen. Im Dezember 1942 wurde er verhaftet und bis 1953 inhaftiert. Nach seiner Gefängnishaft emigrierte Abel erneut nach Frankreich und arbeitete dort bis 1977 in einer Druckerei. Seine Gefängnishaft hatte ihn nicht gebrochen, sondern – wie er es selbst einmal formulierte – geistig gefestigt. Für ihn war das Gefängnis, trotz der Lebensgefahr und der unmenschlichen Haftbedingungen, eine Schule der Revolution.
Im Exil mischte er sich aktiv in die politischen Diskussionen ein, er engagierte sich in der Exil-CNT, beteiligte sich am Pariser Mai 1968 und wurde im Laufe der Zeit einer der wichtigsten Biographen der spanischen Revolution. Sein wichtigstes Werk ist unangefochten das Standardwerk „Durruti – Leben und Tode des spanischen Anarchisten“. Zehn Jahre hat Abel an diesem Buch geschrieben, nur um dann von Hans Magnus Enzensberger für dessen Buch „Der kurze Sommer der Anarchie“ bestohlen zu werden. Abel stellte Enzensberger sein Material zur Verfügung, aber mit der Bitte, es nicht zu verwenden. Doch Enzensberger tat dies und verhinderte so fast die Herausgabe des Durruti-Bands. Ich bin sicher, wenn Enzensberger einmal unter die Erde muss, wird jede Zeitung einen Nachruf bringen und diese Geschichte verschweigen. Ende der 80er Jahre begann er mit der Niederschrift seiner eigenen Biographie, die am Ende vier Bände lang werden sollte. Und weil sich kein spanischer Verlag für die Bände interessierte, verlegte Abel die Bände mit Hilfe der spanischen CNT selbst.
Ich möchte hier jedoch einmal kurz über den Abel sprechen, den ich kennen gelernt habe und dessen dankbare/undankbare Aufgabe es geworden ist, Verleger seiner vierbändigen Biographie zu werden. Hier möchte ich nicht von Neid oder den Besserwissern berichten, von den Problemen mit Übersetzungen und den Kampf um Rechtschreibung. Die deutsche Ausgabe kam zustande, weil viele FAU-Mitglieder, Freunde von Abel und Anarchisten zusammengearbeitet haben. Gerade der erste Band, „Feigenkakteen & Skorpione“, war für Abel der wichtigste. Viele wussten das und viele engagierten sich dafür. Das war die praktische Solidarität und ein Miteinander, wie es sich Abel für eine bessere Zukunft gewünscht hat.
Wenn man meine Tochter fragt, wer Abel war, dann wird sie wahrscheinlich immer noch sagen, der alte Mann, der in unserem Bett lag und immer „rumgepupst“ hat. Meine Lebensgefährtin würde sagen, der Mann, der zu jeder Gelegenheit sein Taschentuch rausholte, reinspuckte und im ganzen Haus seine Zigarettenasche verteilte. Als Abel das letzte Mal bei uns war, war er schon ein gebrechlicher Mann, dem unser Essen nicht schmeckte und der uns viel zusätzliche Arbeit kostete. Aber wir erinnern uns auch an seine geistige Lebhaftigkeit und sein großes Interesse an unserer Arbeit. An seine Begeisterung für die Anarchie.
Abel Paz ist nur ein Pseudonym. Der tatsächliche Name von Abel Paz ist Diego Camacho. Kain erschlug Abel und zerstörte damit den Frieden (paz). Wer Abel kannte, der weiß, was für ihn eine libertäre Gesellschaftsordnung bedeutete – paz (Frieden). Kain ist für Abel Paz der Staat, die Parteien, die Religion – kurz, die Autorität, die mordet.
Viele kenne Abel Paz über seine Schriften oder Veranstaltungen. Einige mochten seine ruppige Art nicht. Er erregte oft Anstoß – er provozierte gerne und er stieß manchmal diejenigen weg, die sich für „die besseren Menschen“ hielten. Aber eine Teilnahme an einer Demonstration gegen den Krieg, den Rassismus oder gegen die Globalisierung macht noch keine Revolution. Um mit Abel Paz zu sprechen: „Die Revolution ist eine Sache, die wir jeden Tag und zu jeder Zeit leben müssen.“ (Dazu zwei Zigaretten.) Und eine Sache, die wir jetzt endlich brauchen. Ich wäre gern zur Beerdigung gefahren, doch mein Lohnjob ließ es nicht zu, dass ich ihm die letzte Ehre erweisen konnte. Das ist die Welt, in der wir leben, und das ist die Welt, die wir überwinden wollen. Abel hat sein ganzes Leben dafür gekämpft. Es liegt an uns, den Kampf für die soziale Revolution weiterzuführen. Gestorben ist nur der Körper von Abel.
Andreas (FAU Lich & Verlag Edition AV)