Betrieb & Gesellschaft

National und sozialistisch?

Neonazis und die extreme Rechte setzen auf die „soziale Frage“

Die NPD träumt von einem „volksgemeinschaftlichen Sozialismus“, der Kapital und Arbeit vereint. Ihre Analysen der Ökonomie und ihre Forderungen basieren auf rassistischen und antisemitischen Vorstellungen. Gewerkschaften oder der Kampf für die eigenen sozialen Interessen stören da nur.

„Die englischen Gewerkschaften sind noch echte Arbeitervertreter“, jubelte die rassistische Partei „Die Republikaner“ (REP) Ende März 2009 in ihrer Parteizeitung „Zeit für Protest“: „Mit dem Schlachtruf ,British Jobs for British Workers´ setzten sie [die Gewerkschaften] sich an die Spitze der Streikbewegung gegen die Beschäftigung ausländischer Billigarbeiter auf einer Raffineriebaustelle“. Und die neonazistische NPD kommentierte in der April-Ausgabe ihrer Zeitung „Deutsche Stimme“ die Arbeitsniederlegungen, zu denen ver.di vor kurzem aufgerufen hatte: „Vollkommen berechtigt sind die in jedem Fall, die jüngsten Warnstreiks im öffentlichen Dienst.“ Steht die extreme Rechte heute an der Seite der ArbeiterInnen?

„Tag der deutschen Arbeit“

Schon seit einigen Jahren besetzen Neonazis und Teile der extremen Rechten „soziale“ Themen von rechts. Am augenfälligsten wird das, wenn sie mit eigenen Aufmärschen am 1. Mai an linke Traditionen anknüpfen wollen oder mit Forderungen nach einem nationalen „Sozialismus“ durch die Städte demonstrieren. Für die NPD ist dieses Datum „der Tag der deutschen Arbeit“, wie es in einem Demonstrationsaufruf der Partei in diesem Jahr heißt. „Arbeit“ ist für die Nazis der NPD „nicht der Fluch, sondern der Segen des Menschen.“ Und an der Arbeitsleistung will die Partei den Wert und die gesellschaftliche Stellung eines Menschen bestimmen: „Die Arbeit und die daraus resultierende Leistung stellen die Menschen nach oben oder nach unten. Sie ist der unbestechliche Gradmesser für den Charakter und die Güte eines Menschen.“ Jürgen Schwab, ehemaliger NPD-Funktionär, beschrieb dies in dem NPD-nahen Theorieblatt „Hier & Jetzt“ aus Sachsen: „Eine radikal rechte Position geht von der Ungleichheit der Menschen, Völker und Rassen aus. … Deshalb … solle man Fleißige und Faule, Gescheite und Dumme unterschiedlich behandeln, also diskriminieren“.

Neben den geschichtsrevisionistischen Großereignissen der Neonazi-Szene, wie zum Beispiel die jährlichen Demonstrationen im Februar in Dresden anlässlich der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg, sind mittlerweile die 1. Mai-Demonstrationen zu zentralen Ereignissen der Neonazis geworden. Tausende Nazis gingen an diesem Tag in den letzten Jahren bundesweit auf die Straße. Dieses Jahr wurden bisher Aufmärsche in Dresden, Ulm, Berlin-Köpenick, Hannover und in Neubrandenburg angekündigt. Während die NPD in Mecklenburg-Vorpommern fordert, „Heimische Wirtschaft und Arbeitsplätze“ zu schützen und „Finanzheuschrecken“ zu bekämpfen, wollen die „Freien Kameradschaften“ am 1. Mai in Hannover gleich den „Nationalen Sozialismus“ ausrufen.

Volkswirtschaft

„Wir schützen unsere Heimat vor den Heuschrecken“, „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ und „8,80 Euro Mindestlohn hier und jetzt!“ – das sind die Slogans und Forderungen, mit denen die NPD und andere Neonazis heute auftreten. Aktivisten der Partei verteilen Flugblätter gegen Betriebsschließungen und Firmenverkäufe an ausländische Investoren. Und im sächsischen Landtag sorgt sich der NPD-Abgeordnete Jürgen Werner Gansel um die Arbeitsplätze im erzgebirgischen Kunsthandwerk durch ausländische Konkurrenz. Sogar die Erhöhung von Fahrpreisen im Überlandbusverkehr in Nordvorpommern ist ein Thema für die Parteinazis. In die Reden der NPD haben die Themen des Alltags Einzug gehalten.

Seit Jahren diskutiert die Partei ausführlich soziale und wirtschaftliche Themen. So schrieb der Wirtschaftswissenschaftler Arne Schimmer in der „Deutschen Stimme“ eine Artikelserie über „Nationale Volkswirtschaftslehre“. Die Debatten um die Wirtschaftskrise, Gesundheitsreform, Privatisierungen oder das bedingungslose Grundeinkommen des Anthroposophen Götz Werners durchziehen das Blatt. Vor einiger Zeit erschien in der NPD-Schriftenreihe „Profil“ die Broschüre „Grundlagen einer nationaldemokratischen Volkswirtschaftslehre“.

Jüdisch, nomadisch, ortlos

Globalisierung ist das Stichwort für das Verständnis der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei. Globalisierung diene ausschließlich den „Profiten von Banken und Großkonzernen“ und gehe „an den Interessen der Völker“ vorbei. Sie sei ein imperialistisches Projekt der jüdisch gelenkten USA. In der internen NPD-Broschüre „Argumente für Kandidaten & Funktionsträger“ aus dem Jahr 2006 heißt es dazu: „Es handelt sich bei der Globalisierung um das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes. Dieses hat, obwohl seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA. Deshalb ist Globalisierung eine unverblümte Imperialismusstrategie der USA“.

Mit der Globalisierung habe der Kapitalismus eine „neue Dimension“ erreicht, meint Gansel, der einer der führenden Theoretiker der Partei ist. Die massenhafte Einwanderung von „Menschenmaterial“, so Gansel, sei ein neues „Strukturelement der Globalisierung“, um Lohndumping durchzusetzen. Der Kapitalismus habe sich „von allen früher noch vorhandenen politischen, sozialen und ethno-kulturellen Bindungen und Verpflichtungen gelöst. … Das freischwebende Globalkapital entgrenzt staatliche Steuerungsmacht, raubt den Staaten
ihre Entscheidungs- und Handlungsautonomie“.

Rassistischer Nationalstaat als Lösung

Dagegen helfen nur Nationalstaaten, „die einzig vorstellbaren geopolitischen Räume der Volksherrschaft“, so Gansel. Udo Voigt, Bundesvorsitzender der Partei auf Abruf, argumentiert ähnlich: „Die Alternative zur Globalisierung, Verarmung und Entfremdung kann nur Re-Nationalisierung heißen“, sagte er 2002 der „Deutschen Stimme“. „Die konsequente Verknüpfung der nationalen mit der sozialen Frage“ sei daher „der Schlüssel künftiger Erfolge“, glaubt Gansel.

Die Lösung der NPD für die sozialen Probleme ist protektionistisch und rassistisch: „Arbeitsplätze für das deutsche Volk werden wir durch einen radikalen nationalen und sozialen Politikwechsel schaffen … National agieren wir, indem wir die Ausländer in ihre Heimatländer zurückführen und damit Arbeitsmarkt und Sozialstaat massiv entlasten“, schreibt die Partei. Zudem müsse der Staat seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen und der globalen Konkurrenz mit Schutzzöllen, Abgaben für Sozialdumping, einer Devisenumsatzsteuer und nationalen Währungen entgegentreten.

Die Partei betont die soziale Verpflichtung der Besitzenden, doch das Privateigentum „in nationaler Verantwortung“ sei unantastbar. „Ideal für eine ,kulturdeutsche Volkswirtschaft` wäre die Mischung und Konkurrenz verschiedener Eigentumsformen und Produktionsweisen“, heißt es in der „Deutschen Stimme“. Auch im Kleinen kann jeder Nationalist an der großen Sache mitwirken. Der Kauf von Fair-Trade-Produkten, das „Kampfmittel der kleinen Leute“, oder der Aufbau von Regionalwährungen seien „Wege aus der Globalisierungsfalle“.

„Frontsozialismus“

Die Vordenker der Partei bemühen sich auch, den Begriff des Sozialismus von rechts zu besetzen. Während das NPD-Bundesvorstandsmitglied Jürgen Rieger den Begriff „Solidarismus“ vorzieht, versucht Gansel Beweise zusammenzutragen, dass es einen „preußischen oder nationalen Sozialismus“ gebe. In seiner Magisterarbeit über „Antikapitalismus in der ,Konservativen Revolution´ in Deutschland 1918 – 1932“ stellt er der marxistischen eine „konservativ-revolutionäre Kapitalismuskritik“ anhand der Autoren Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck und Hans Zehrer entgegen. Die „Konservative Revolution“ deutet er als dritte Wirtschaftsordnung „jenseits von Marxismus und Liberalkapitalismus“, mit der „eine autoritative und sozial gerechte Gemeinschaftsordnung des deutschen Volkes geschaffen werden“ soll.

Diese idealisierte Gesellschaft gab es in Gansels Vorstellung schon einmal. Schwärmerisch berichtet er vom „Frontsozialismus“ im Ersten Weltkrieg: „Der Kriegsausbruch 1914 riß plötzlich alle im wilhelminischen Kaiserreich bestehenden Schranken von Parteien, Klassen, Konfessionen und Landschaften nieder und machte die Ganzheit und Einheit der Nation sichtbar. Das deutsche Volk trat als geschlossene Einheit einschließlich seiner sozialdemokratischen Arbeiterschaft auf, um für das Vaterland den höchsten Einsatz zu wagen. … Für die junge Generation, die in die Schützengräben zog, war dies die erste Begegnung mit einem tief erfahrenen, volksgemeinschaftlichen Sozialismus, der die Standes- und Klassenunterschiede weitgehend einebnete oder vergessen ließ. Der bis dahin recht abstrakte Begriff der Nation konnte durch das Fronterlebnis der „Todesgemeinschaft“ mit Leben gefüllt und erfahrbar gemacht werden.“

Gespaltene Rechte

Auch wenn die Themen „Sozialismus“ und „Antikapitalismus“ von rechts erst in den letzten Jahren öffentlich wahrgenommen wurden, sind die Inhalte nicht neu. Vielmehr hat heute eine politische Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden, die in den 1970er Jahren begann. Eine sich als „nationalrevolutionär“ verstehende Strömung, die sich von der NPD abgespalten hatte, vertrat eine „kapitalismuskritische“, US-feindliche Position und plädierte für einen „organischen Sozialismus“ von Rechts. Diese Strömung wurde mit der Zeit in den „Jungen Nationaldemokraten“ und der NPD einflussreich. Spätestens seit Udo Voigt 1996 den Vorsitz der NPD übernahm, wurden diese Ideen offizielles Programm.

Innerhalb der extremen Rechten hat in den letzten Jahren eine Verschiebung der Kräfte stattgefunden. Anfang der 1990er Jahre dominierten wirtschaftsliberale Positionen. Die damals in der extremen Rechten dominanten Parteien „Die Republikaner“, der „Bund freier Bürger“ und vor allem die „Freiheitliche Partei Österreichs“ mischten sie mit christlich-konservativen und rassistischen Parolen. Damit schien ein Brückenschlag ins konservative Milieu möglich. Die „alte Rechte“, NPD und „Deutsche Volksunion“ zum Beispiel, schien mit ihren am deutschen Faschismus, dem Nationalsozialismus, orientierten Konzepten antiquiert. Als im Sommer 2004 in zahlreichen Städten Neonazis an den Protesten gegen „Hartz IV“ teilnahmen und sich in Ostdeutschland teils sogar an die Spitze der Proteste setzten, wurde dieser Umschwung in der Rechten augenfällig. Seitdem dominieren „antikapitalistische“ Positionen innerhalb der extremen Rechten. Die REP mit ihrem offensiven Bekenntnis zu einer nationalistisch organisierten „sozialen Marktwirtschaft“ sind derzeit auf dem absteigenden Ast. Ihr Versuch, bei den vergangene Landtagswahlen in Hessen mit dem Slogan „Opel in deutscher Hand“ und der verbalen Unterstützung von Streiks zu punkten, misslingt bisher. Denn eine nationalistische aufgeladene „Marktwirtschaft“ wird derzeit auch von genügend anderen Parteien propagiert.

Ernst Kovahl

Ernst Kovahl schreibt für das antifaschistische Magazin Der Rechte Rand.

 

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