Besetzung – Streikposten – Abfindung

Im April kam es zu einem 48-tägigen Arbeitskampf beim Auto-Zulieferer Ford/Visteon – in Belfast (Nordirland), Enfield (Nordlondon) und Basildon (Essex). Zuvor wurden 610 Beschäftigte gekündigt, ohne Aussicht auf Abfindungen. Visteon erklärte schlicht die sofortige Schließung der Betriebe und überließ den Rest den Insolvenzverwaltern KPMG, einer führenden Agentur in der Beratung von Großunternehmen, welche in den USA eine unrühmliche Rolle bei der Entstehung der aktuellen Wirtschaftskrise gespielt haben soll. Im Juni 2000 hatte Ford die Produktion einiger Zulieferteile zu Visteon ausgelagert, behielt allerdings 60 Prozent der Anteile. In Großbritannien vereinbarte die Gewerkschaft UNITE mit dem Management des Ford-Unternehmens, dass alle übernommenen, ehemaligen Ford ArbeiterInnen zu denselben Bedingungen weiterarbeiten können. Neuangestellte erhielten jedoch Verträge zu schlechteren Konditionen.

Zuerst entschloss man sich am 31.März in Belfast zu einer Besetzung und hielt diese in der Folge auch am längsten durch. Zwei Verwalter, die zu Beginn partout bleiben wollten, wurden in ein Büro gesperrt und konnten erst nach 36 Stunden ohne Essen davon überzeugt werden zu gehen.

In Enfield, wo alle innerhalb von 6 Minuten gefeuert wurden, begann die Werkbesetzung – wie auch in Basildon – am 1. April. Ursprünglich sollten nur persönliche Dinge aus dem Werk geholt werden, doch man blieb. Das Gelände wurde geentert und ca. 100 ArbeiterInnen richteten sich auf dem Dach und im Lager ein. Unterstützung kam vor allem von außerhalb, von der Visteon-Support Group, welche von der libertären Soli-Gruppe Haringey organisiert wurde. Es waren HausbesetzerInnen, die den aktiven ArbeiterInnen effektiv mit Tat und juristischem Rat zur Seite standen. Die KollegInnen fanden unter neuen Vorzeichen zusammen. Aufgaben wurden nach Fähigkeiten verteilt. Die Lichter brannten ständig für die Wachen an den Barrikaden und kochbegabte Kollegen sorgten abwechselnd für Verpflegung. Die Aufmerksamkeit vieler Linken blieb jedoch auf die zeitgleich in London stattfindenden G20-Proteste fixiert. Ein Aktivist erklärte: “Dies ist ein Zeichen der Zeit und Symptom aus 25 Jahren Niederlagen in Klassenkämpfen; die Leute erkennen weniger sich selbst und ihre eigenen Interessen in den Kämpfen anderer wieder. Solidarität ist für viele ein fremdes Konzept in einer zunehmend atomisierten Realität. Die Arbeiterklasse ist eine fragmentierte, individualisierte Klasse…” Der letzte große Streik der Minenarbeiter 1984-85 und vor allem die damalige desaströse Niederlage gegen die Thatcher-Regierung demoralisiert die britischen Lohnabhängigen bis heute.

Rückzug dank Unite

Die Gewerkschaft Unite machte ihrem Namen wenig Ehre. Mitglieder gab es zwar an allen drei Standorten, Kontakte liefen aber meist nur auf offizielle Kanäle über freigestellte VertreterInnen. Einige Funktionäre schauten anfangs kurz vorbei und hinterließen leere Versprechen. Am 9. April endete die Besetzung in Enfield. Von “Unite” zum Rückzug bedrängt, wurde die Fabrik ohne konkrete Zugeständnisse geräumt. Der “errungene” Deal sollte erst 4 Tage später bekannt gegeben werden. Stattdessen wurden an den Toren 24-Stunden-Streikposten errichtet, um den Abtransport von Maschinen zu verhindern – umstritten bleibt, ob dies nicht zu vertrauensselig war. Was “Unite” als Erfolg deklarierte – dass Verhandlungen stattfanden – bewerten andere als unnötige Schwächung und Vereinnahmung durch Funktionäre.

DA194-Globales-Enfield.jpg

Zeitgleich flogen Gewerkschaftschefs zu Verhandlungen mit Visteon in die USA. Die karge Ausbeute: Abfindungen in Höhe von 90 Tageslöhnen, die Mindestsumme, die den ArbeiterInnen ohnehin zustand! Davon provoziert, beschlossen die Entlassenen, Streikposten vor der profitablen Ford-Fabrik für Niedrig-Energie-Autos in Bridgend zu errichten, was ein Treffen des Ford- Europa-Chefs mit dem Sekretär von “Unite” möglich machte. Heraus kam ein Angebot, dessen Inhalt bis heute nicht ganz klar ist. Den Belegschaften wurden die wichtigsten Punkte mündlich mitgeteilt und es soll eine handgeschriebene Kopie kursiert sein. In der anschließenden Abstimmung wurde der Vorschlag an allen drei Standorten angenommen. Nachdem sich die erste Euphorie gelegt hatte, fragten sich die ArbeiterInnen, zu was genau sie “Ja” gesagt hatten: Abfindungen über 52 Wochenlöhne, aber: berechnet nach der Kurzarbeit, die in den letzten Wochen eingeführt worden war. Offen bleibt auch die Rentenfrage: Vor Gericht wird noch darum gerungen, ob die Visteon- ArbeiterInnen 45% des Rentenanspruchs behalten, aber erst ab dem 63. statt dem 58. Lebensjahr.

Ende April wurde Rob Williams, Gewerkschaftsvertreter bei Linamar (Ford-Nachfolger/Swansea) aufgrund seiner aktiven Unterstützung der Besetzung gefeuert. Er verbarrikadierte sich in seinem Büro, während die dortigen ArbeiterInnen aus Protest ihre Arbeit liegen ließen. Williams wurde suspendiert – seine Bürotür vorsichtshalber ausgebaut – und kurz darauf endgültig entlassen. Erst als die Belegschaft für Streik bis zu seiner Wiedereinstellung stimmte, gab das Management nach. Williams wurde wieder eingestellt. Am 18. Mai war der Arbeitskampf in allen drei Fabriken vorbei. Trotz des Teilsieges, bleibenden Ungewissheiten und Lektionen resultierend aus der “Zusammenarbeit” mit den Staatsgewerkschaften ist dieser Kampf bedeutsam: Die ArbeiterInnen erreichten mehr als erhofft und übten sich in solidarischer Selbstorganisation. Dies ist erfrischend nach 25 Jahren relativer Stille an der Klassenfront in Großbritannien.

Conny Lemke

 

Weitere Informationen auf Englisch

”Report & reflections on the 2009 UK Ford-Visteon dispute – a post-fordist struggle”, Juni 2009, past tense, http://www.past-tense.org.uk. Online: http://libcom.org/history/report-reflections-uk-ford-visteon-dispute-2009-post-fordist-struggle.

Schreibe einen Kommentar