Bildung im Streik

„Gestrig“ soll er gewesen sein: der Bildungsstreik, der in der Woche vom 15.-19. Juni 2009 im gesamten Bundesgebiet stattfand. Das behauptete jedenfalls die Bundesministerin für Bildung und Forschung in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Desweiteren wies sie nochmals darauf hin, dass eine Abschaffung des gegenwärtigen Bologna-Systems mit den Bachelor/Master-Studiengängen ausgeschlossen ist.

Was also trieb die 250.000 SchülerInnen und StudentInnen in über 80 Städten am 17. Juni auf die Straße? Mit weniger verstaubten, sondern eher progressiven Forderungen, machten die Protestierenden am Demonstrationstag ihrem Unmut Luft. Unter anderem über das, auf einer Konferenz der EU-Bildungsminister 1999 in Bologna eingeführte, modularisierte Hochschulsystem und das noch immer existierende dreigliedrige, selektierende Schulsystem.

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Das Aktionsbündnis der SchülerInnen sieht an den Schulen miserable Lernbedingungen, soziale Auslese und Leistungsdruck, unter anderem durch das eingeführte 8-jährige Abitur (G8), welches auch die SchülerInnen schneller und effizienter in das Berufsleben katapultieren soll.

Gegen Bildung Bolognese …

Die StudentInnen sehen in der neuen „Bildung Bolognese“, wie sie auf Transparenten betitelt wurde, ein System, welches die zur kritischen Reflektion befähigende, gemeinwohlorientierte universitäre Bildung zurückdrängt – zugunsten der Anpassung an die Bedürfnisse des „freien Marktes“. Die Gesellschaft, in Deutschland repräsentiert durch den Staat, lässt nach und nach die Träger der neoliberalen Marktwirtschaft in das Bildungssystem eindringen und erhofft sich damit eine Entlastung der Staatskasse auf Kosten der Privatwirtschaft. Dies geschah und geschieht weiter. Doch die freundlich Hereingelassenen möchten nicht immer so, wie es die Politiker gerne sähen.

Die Ergebnisse dieser Bildungspolitik werden deutlich am Abbau und damit verbundener Nicht-Wiederbesetzung von LehrerInnenstellen an Hochschulen und Schulen und an der Einstellung nicht bezahlter oder prekär Beschäftigter in den Bildungsfabriken, die für den freien Markt „Human-Ressourcen“ produzieren sollen. Und zwar in kurzer Zeit und am besten kostenlos. Das heißt dann allerdings, dass der Bildungsempfänger selbst dafür bezahlt. Zum Beispiel mit den auch von der Bildungsministerin begrüßten Studienkrediten, die die zukünftigen „menschlichen Reserven“ gleich mit Schulden in die Berufswelt schicken. So wird der Lernende zum Kunden eines nach und nach immer wirtschaftsliberaleren Unternehmens namens Hochschule oder Schule.

Im Einzelnen wird das an den gegenwärtig fest vorgeschriebenen Lehrplänen für die Studierenden sichtbar, welche als „ökonomisch effizient“ von den Bildungspolitikern befürwortet wurden. So lernt jeder das, was er muss. Es bleibt dem Studierenden wenig Zeit ein Privatleben zu führen oder einer Nebenbeschäftigung nachzugehen, um das Leben zu unterhalten.

Doch auch wir haben Macht. Keine finanzielle, aber eine nach Kräften. Dies stellten die Demonstrierenden unter Beweis und machten lautstark auf die Mißstände aufmerksam. Auch die Syndikate und Bildungsgruppen der FAU und der Anarchosyndikalistischen Jugend beteiligten sich vor Ort an den bundesweiten Protesten. Diese können jedoch erst der Anfang für weitere Aktionen sein, da die Woche des Streiks kaum Erfolge erringen konnte. Dennoch, die Anzahl der Streikenden kann als Anzeichen dafür gesehen werden, dass sich in Deutschland Widerstand regt gegen die gegenwärtige Bildungspolitik und den Abbau des Sozialsystems im Allgemeinen. Dies betrifft nicht nur die Bildung, sondern auch die nicht direkt mit der Lehre verbundenen Teile des gesellschaftlichen Gebildes Universität, so die MitarbeiterInnen in Mensen oder die Servicekräfte, wie Putzpersonal und HausmeisterInnen, welche nach und nach, der neoliberalen Mode entsprechend, „outgesourct“ wurden. Denn auch hier wird eingespart, was das Zeug hält. Und es wurde auch in diesem Sektor mit Aktionen auf die Misstände aufmerksam gemacht, wie an der TU Berlin gegen Leiharbeit, die damit verbundenen Niedriglöhne und die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen in und um die Universität.

… vielfältige Aktionen

Das Spektrum der Aktionen war durchaus breitgefächert. Es begann mit „Bildungscamps“, die auf den Universitätsplätzen aufgeschlagen und als Grundlage genutzt wurden, um die Streikwoche vorzubereiten und die Lernenden mit Informationen zu versorgen. In Duisburg befasste sich die Anarchosyndikalistische Jugend im Vorfeld des Protests mit den Bedingungen der „Schule im Schweinesystem“. Die ausgearbeiteten Ideen wurden dann schon in der Woche vor den bundesweiten Streiks teils umgesetzt und weiterentwickelt. So wurden zahlreiche Flashmobs ausgearbeitet und in und außerhalb der Lehrinstitutionen durchgeführt, sei es um schlafende StudentInnen und SchülerInnen aufzuwecken oder die Politiker in den staatlichen Institutionen direkt auf die Missstände aufmerksam zu machen. In Mainz wurde der Landtag gestürmt, in vielen Universitätsstädten wurden Räumlichkeiten der dortigen Lehranstalten besetzt und damit versucht, die Rektoren zum Handeln zu zwingen. Doch wie zu erwarten war, ging die Aktivität der Amtsinhaber nicht über Diplomatie und Verantwortungsübertragung von Körperschaft zu Körperschaft hinaus.

Nur der Staat handelte, allerdings gegen die Protestierenden. So wurden mehrere Besetzungen durch die Polizei aufgelöst, was an der Universität Heidelberg am deutlichsten sichtbar wurde, an jener Uni, dertrotz Einführung von Studiengebühren der Pleitegeier zuflog. Besetzt wurden allerdings nicht nur Institute des Bildungssektors, sondern auch Institutionen des Finanzsektors, sprich Banken. Bei „Banküberfällen“ in mehreren Städten stellten sich die Protestierenden gegen die Politik der Regierung, den finanziell am Abgrund stehenden Finanzhäusern Milliardenhilfen zu gewähren und gleichzeitig den Auszubildenden weismachen zu wollen, es sei kein Geld für Bildung vorhanden. Auch diese Besetzungen wurden mit freundlicher Unterstützung der lokalen Polizeidirektionen geräumt, Personalien von Streikenden aufgenommen und Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs gestellt.

Doch die Frage bleibt: Wem gehören die Universitäten, Schulen und das Geld in den Banken? 250.000 versuchten dies deutlich zu machen. Bisher ohne wirklichen Erfolg. Doch an den Umständen hat sich auch knapp drei Wochen danach nichts geändert.

Der Protest und die inhaltliche Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Zuständen muss fortgesetzt werden, um positive Ergebnisse zu erreichen. Bildungsstreik war gestern. Die Solidarisierung von SchülerInnen, StudentInnen und ArbeiterInnen im Bildungssystem heute ist wichtig für den Kampf gegen die Benachteiligungen in der Gesellschaft und für unsere Möglichkeiten morgen.

 

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