Weitere Überlegungen zu einer gewerkschaftlichen Strategie gegen Praktikumsausbeutung und Prekarisierung
In dieser Zeitung wurde schon des Öfteren darüber berichtet, wie schamlos junge Menschen von ihren Bossen ausgebeutet werden, und ebenso von der leider fehlenden Courage vieler PraktikantInnen, die sich dies gefallen lassen. Auch über einzelne Versuche von Gegenwehr war hier zu lesen, zuletzt im Zuge der Klage eines Mitgliedes der FAU Berlin gegen dessen ehemalige Arbeitgeberin. Doch diese Versuche, auf juristischem, also individuellem Wege gegen solcherlei Ausbeutung vorzugehen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich bisher kein umfassender Widerstand gegen diese Dreistigkeiten entwickeln konnte. Dieser Text soll einen Beitrag zu der Debatte leisten, wie die Profiteure und die Strukturen der Praktikumsausbeutung organisiert unter Druck gesetzt bzw. angegangen werden können. Er knüpft dabei unmittelbar an die Erfahrungen und Diskussionen der FAU-Kampagne „Keine Arbeit ohne Lohn!“ an, die es sich u.a. zur Aufgabe gemacht hat, gewerkschaftliche Strategien gegen Praktikumsausbeutung zu formulieren.[1]
In einer Studie des Bundesarbeitsministeriums vom Mai 2008 gaben 80 Prozent der befragten PraktikantInnen an, mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit als normale Arbeitskraft eingesetzt worden zu sein. 51 Prozent der Befragten erhielten überhaupt kein Geld für ihre Tätigkeit und 12 Prozent einen – nach Selbsteinschätzung – unangemessenen Lohn; nur 37 Prozent sahen sich angemessen vergütet. Nach dem Praktikum wurden nur 22 Prozent in eine Anschlussbeschäftigung übernommen, davon ganze 11 Prozent mit unbefristeten Verträgen. Bei den Befragten handelt es sich ausnahmslos um Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung.[2] Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, dass PraktikantInnen in Deutschland im großen Stil von Unternehmen als billige bis kostenlose Arbeitskräfte missbraucht werden. Ihre Chance, per Praktikum in die Nähe eines gesicherten Lohnarbeitsverhältnisses zu gelangen, ist relativ gering; der Zersetzungseffekt in Sachen Lohnstandards ist umso höher.
Allgemein wird die Einschätzung bis weit in bürgerliche Kreise hinein geteilt, dass diese Zustände – zumindest bezogen auf die Ausbeutung von (Hochschul-)Absolventen – skandalös sind und abgeschafft gehören. Es wurde viel geredet, geschrieben und gefordert, seit Matthias Stolz am 31. März des Jahres 2005 in der Wochenzeitung Die Zeit einen Artikel mit dem Titel „Generation Praktikum“ veröffentlichte, der einige publizistische Wellen schlug und den Begriff inklusive der dahinter verborgenen Problematik bekannt machte.
In den letzten Jahren bemühte sich die DGB-Jugend darum, Minimalstandards für Praktika zu etablieren. Demnach solle bei einem Praktikum das Lernen im Vordergrund stehen, nicht die Arbeitsleistung. Ein Praktikum dürfe keine reguläre Stelle ersetzen und müsse vertraglich geregelt sein. Zudem sollten PraktikantInnen ausreichend betreut werden und ein Zeugnis erhalten. Ein Praktikum habe außerdem mit mindestens 300 Euro entlohnt zu werden und nicht länger als drei Monate zu dauern. Hochschulabsolventen sollten grundsätzlich keine Praktika mehr absolvieren.
Der Verein Fairwork e.V. wiederum versucht sich öffentlich als Lobbyorganisation der PraktikantInnen zu profilieren und sein „Fairworkprädikat“ zu etablieren, welches Unternehmen auszeichnet, die sich darum verdient gemacht haben, die Minimalstandards einzuhalten. Außerdem wurde von Fairwork e.V. und von Seiten der DGB-Jugend wiederholt Werbung für eine rechtliche Besserstellung von PraktikantInnen gemacht, was durch die SPD-Linke auch aufgegriffen wurde, aber gegen die Konservativen in der eigenen Partei und gegen den Koalitionspartner nicht durchgesetzt werden konnte.
Dies ist alles andere als verwunderlich: Die deutsche Wirtschaft profitiert durch die Ausbeutung von PraktikantInnen enorm und setzt sich dementsprechend energisch über ihre Lobbyisten in den verschiedenen Parteien und Verbänden dafür ein, dass der Status Quo erhalten bleibt. Nicht zuletzt verfügen die Unternehmer über ökonomische Macht, um ihren Interessen Gehör zu verschaffen; der Bundesverband der Arbeitgeber (BdA) droht z.B. offen damit, dass im Falle gesetzlicher Neuregelungen die Ausbildungsangebote drastisch reduziert würden. Eine politische Reform in diesem Bereich scheint bei den gegenwärtigen Machtkonstellationen somit illusorisch. Auch die vermeintlichen Entscheidungsträger selbst scheinen kein großes Interesse an einer Veränderung zu haben. „Bei einem Praktikum muss es eine angemessene Vergütung geben“, meinte Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) im März 2008. Im Dezember des gleichen Jahres stellte sich heraus, was er damit meinte: In seinem Ministerium arbeiten pro Jahr ca. 100 unbezahlte PraktikantInnen.[3]
Immerhin sorgten einige juristische Prozesse im letzten Jahr für Aufsehen, in denen ehemalige PraktikantInnen beispielhafte Erfolge gegen ihre Bosse erzielen und hohe Lohnnachzahlungen für ihre Arbeit durchsetzen konnten. So erstritt eine ehemalige Praktikantin im Sommer 2008 in Baden- Württemberg eine Nachzahlung von über 7.000 Euro durch ihren Arbeitgeber, eine Agentur. Die Diplom-Ingenieurin organisierte Veranstaltungen für das Unternehmen und bekam dafür 375 Euro brutto. Das Landesarbeitsgericht entschied, dass dies „Lohnwucher“ sei; die „Zwangslage“ der Praktikantin sei ausgenutzt worden.
Im Januar 2009 ging ein anderer Fall durch die Medien. Ein Jugendlicher hatte ein Jahr in einem Altenheim geschuftet. Status: Praktikant. Stundenlohn: 1,30 Euro. Versprochen worden war ihm ein Ausbildungsvertrag nach dem Praktikum. Der Boss hielt sich nicht an das Versprechen, der Praktikant klagte auf 10.317 Euro Lohnnachzahlung – und gewann. Das Arbeitsgericht Kiel argumentierte damit, dass der Betreiber des Heimes „nichts dazu vorgetragen habe, welche Fähigkeiten der Kläger erlernen musste. Das Vertragsverhältnis sei somit kein Ausbildungs-, sondern ein Arbeitsverhältnis gewesen. Den Forderungen des Praktikanten wurde in vollem Umfang statt gegeben.“[4]
Dass diese medienwirksam aufbereiteten Fälle aber nicht unbedingt als allgemein gültiger Standard anzunehmen sind, musste im Februar 2009 das Berliner FAU-Mitglied Agnes M. feststellen. Sie hatte gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin geklagt, weil sie mehrere Monate in einer Kita allein die Betreuung einer gesamten Kindergruppe übernehmen musste, während sie nur ein mageres Praktikumssalär von 400 Euro erhielt.[5] Hier verwarf die Richterin die Klage. Die Klägerin habe nicht lückenlos nachweisen können, dass sie die entsprechende Verantwortung getragen und damit dem Berufsprofil, auf das in der Klage (zwecks Lohneingruppierung) rekurriert wurde, vollständig entsprochen habe.
Das Problem für viele PraktikantInnen ist, dass ihnen bei einer Klage die Nachweispflicht obliegt. Meist ist es aber schwer vor Gericht zu beweisen, an welcher Stelle im Betriebsablauf genau welche Verantwortung übernommen wurde. Generell gehören solche Eingruppierungsklagen zu den kniffligsten Bereichen im deutschen Arbeitsrecht und erfordern versierte Anwälte. In der Regel sind klagende PraktikantInnen deshalb auch auf das Wohlwollen der RichterInnen angewiesen, darauf, dass diese die Sachlage in ihrem Sinne interpretieren, wie im Kieler Fall. Das Recht auf eine angemessene Entlohnung und angemessene Arbeitsinhalte ist somit relativ. Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit, dass RichterInnen im Sinne der KlägerInnen entscheiden, mit jedem weiteren positiven Präzedenzfall.
Festzuhalten bleibt also, dass der Griff zu juristischen Mitteln es in einzelnen Fällen zwar vermochte, PraktikantInnen nachträglich zu ihrem Recht kommen zu lassen, diese Klagewege aber schwierig bleiben und das ökonomische System der Praktikaausbeutung kaum ins Wanken bringen mögen. Außerdem kann eine ausschließlich juristisch organisierte Gegenwehr zwar in Einzelfällen eine individuelle Genugtuung erwirken, diese allein ermöglicht aber keine Entwicklung von kollektivem Widerstand und ist nicht in der Lage, über das Punktuelle hinaus dauerhafte Verbesserungen zu erwirken. Über die Zustände als Ganzes wurde in den letzten Jahren zwar viel geredet, an den Regelungen und Strukturen hat sich aber wenig bis nichts geändert. Die wenigen Organisationen, die sich real um eine Verbesserung der Lage bemühten – wie Fairwork e.V. oder die DGB-Jugend –, beließen es bei der Definition von Minimalstandards, symbolischen Aktionen und moralischen Appellen an die Regierungsparteien und Unternehmen, in deren Kreisen eine klare Mehrheit kein Interesse an der Veränderung der Situation hat. Es wird deutlich, dass nur eine gewerkschaftliche Praxis, die über die Formulierung von Fürbitten an Politik und Wirtschaft hinausgeht, uns in die Lage versetzt, Druck auf eben diese auszuüben, um die Situation zu verbessern.
Wie aber könnte das Konzept für ein solches kämpferisches Handeln im Kampf gegen die Ausbeutung durch Praktika aussehen? Zunächst müssen wir dabei feststellen, dass die Ausbeutung von PraktikantInnen ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Deshalb ist es wichtig, sich die breiteren sozioökonomischen Verhältnisse anzuschauen, um sich somit sowohl über die eigenen Stärken und Schwächen als auch die der Gegenseite klar zu werden. Hierbei können soziologische Theorien hilfreiche Instrumente sein, mit denen wir komplexe gesellschaftliche Mechanismen beleuchten und verständlich machen können.
Der amerikanische Soziologe Erik Olin Wright[6] unterscheidet zwei verschiedene Quellen der Arbeitermacht: strukturelle Macht und Organisationsmacht. Die strukturelle Macht basiert auf der Stellung der ArbeiterInnen im ökonomischen Prozess, auf deren spezifischen, strategischen Positionen. Über eine hohe strukturelle Macht verfügen zum Beispiel Lokführer bei der Bahn oder – etwas bedingter – Filmvorführer im Kino. ArbeiterInnen, die an diesen Positionen im Arbeitsprozess tätig sind, verfügen über eine solche strukturelle Macht, weil sie in der Lage sind, einen großen Druck auf die Bosse auszuüben, selbst wenn sie aus einer Minderheitenposition heraus agieren. Ohne sie ist der Arbeitsprozess nicht durchführbar, und sie sind oft nur schwer ersetzbar.
Eine Gewerkschaft, die einen hohen Organisationsgrad von ArbeiterInnen mit starker struktureller Macht innerhalb eines Betriebes organisiert hat, ist sehr gut aufgestellt im Klassenkampf. Leider kämpfen immer mehr Berufsgruppen mit hoher struktureller Macht in Deutschland nur für ihre eigenen Interessen, wie die Ärzte im Marburger Bund oder die Lokführer in der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Dem gingen allerdings Jahrzehnte voraus, in denen diese ArbeiterInnen in den DGB-Gewerkschaften, oder in Tarifgemeinschaften mit ihnen, organisiert waren, ohne dass diese deren strukturelle Macht wirklich in die Waagschale geworfen hätten.
Andere Faktoren, welche die strukturelle Macht von Lohnabhängigen bestimmen, sind die Situation auf dem Arbeitsmarkt und die individuelle Qualifikation: Es versteht sich von selbst, dass ArbeiterInnen, die über eine rare Qualifikation verfügen, nur schwer ersetzbar sind und somit potentiell über eine hohe strukturelle Macht verfügen. Denn generell ist es der Aspekt der (kurzfristigen) Austauschbarkeit von Lohnabhängigen, der den Grad an struktureller Macht bestimmt. Das heißt aber, dass eine gut aufgestellte Gewerkschaft auch in Bereichen mit Arbeitskräften geringer Qualifikation strukturelle Macht selbst herstellen kann, wenn es ihr gelingt, deren Austauschbarkeit zu unterminieren, z.B. indem sie weitgehende Regelungen in Fragen der Einstellung und Kündigung erkämpft.[7]
PraktikantInnen verfügen in der Regel über sehr geringe strukturelle Macht. Auch wenn sie systematisch im Produktionsprozess ausgebeutet werden, verrichten sie oft Arbeiten, die schnell erlernt werden können, denn sie bleiben nur wenige Monate im Betrieb. Sie sind leicht austauschbar und somit nur schlecht in der Lage, Druck auf die Bosse auszuüben. Es gibt nicht wenige Betriebe, die zwischenzeitlich sämtliche einfachen Tätigkeiten an PraktikantInnen vergeben haben, so zum Beispiel im Bereich der politischen Stiftungsarbeit. Gravierende Fälle von Praktikantenausbeutung finden sich aber auch in Regionen des Arbeitsmarktes, in denen eine große Konkurrenz zwischen hochqualifizierten AbsolventInnen besteht. Deren eigentlich ihrer Qualifikation innewohnende Macht wird hier durch die Konkurrenzsituation reduziert. Würden sich PraktikantInnen in einem solchen Betrieb organisiert zu einem günstigen Zeitpunkt – zum Beispiel kurz vor der Abgabefrist für ein wichtiges Projekt – zur Wehr setzen, könnten sie durchaus ein relevantes Maß an Macht entfalten und Forderungen durchsetzen. Sie könnten dann ihre unterlaufene strukturelle Macht durch Organisationsmacht wieder herstellen und sie schließlich multiplizieren.
Jene Organisationsmacht basiert – nach Wright – auf dem Zusammenschluss von ArbeiterInnen zu kollektiven Organisationen. Das können Gewerkschaften oder auch autonome Betriebsgruppen sein. Je nachdem wie verbindlich und diszipliniert diese organisiert sind, wie hoch ihr Organisationsgrad ist und über welches Maß an struktureller Macht die in ihnen organisierten ArbeiterInnen verfügen, sind sie dazu in der Lage, einen Machtfaktor im Betrieb oder auch darüber hinaus darzustellen und die Interesse der ArbeiterInnen gegen die Bosse durchzusetzen.
Es macht für PraktikantInnen durchaus Sinn, sich zu organisieren, denn die meisten ArbeiterInnen in den Betrieben verfügen über eine höhere strukturelle Macht und Durchsetzungsfähigkeit wie sie. Gleichzeitig haben auch diese objektiv ein Interesse daran, den inflationären Missbrauch von Praktika zu stoppen, sind es doch nicht zuletzt auch ihre Arbeitsbedingungen, die in Frage gestellt werden, wenn einfache Tätigkeiten zunehmend von un- oder extrem niedrig bezahlten PraktikantInnen erledigt werden. Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse strahlt immer auf alle ArbeiterInnen aus, weil sie die Konkurrenz unter ihnen innerhalb einer Abwärtsspirale anheizt. Es ist deshalb von immenser Wichtigkeit, dass PraktikantInnen, LeiharbeiterInnen und (noch) Festangestellte sowie andere Statusgruppen innerhalb der Betriebe gemeinsame Handlungs- und Verhandlungseinheiten bilden, wollen sie nicht stattdessen darum konkurrieren, wer unter den miesesten Bedingungen arbeiten darf.
Ein grundsätzliches Problem für eine gewerkschaftliche Offensive gegen die Ausbeutung von PraktikantInnen ist die Tatsache, dass diese in der Regel nur vorübergehend in einem Betrieb arbeiten. Sie haben nicht wirklich die Möglichkeit, sich sozial in die Belegschaft zu integrieren, was die Entwicklung von persönlichen Beziehungen erschwert, aus denen gemeinsamer Widerstand entstehen könnte. Ein weiteres Problem ist der Umstand, dass viele PraktikantInnen sich erklärbarerweise nicht besonders stark mit ihrem Status identifizieren und sich nur vorübergehend in dieser Rolle sehen, was ja meist auch stimmt. Übersehen wird hierbei aber, dass dieses Arbeitsverhältnis fortdauernd besteht, auch wenn die Personen, die es ausfüllen, wechseln. Die negative Wirkung für die Betroffenen besteht somit auf Dauer, nur eben in einer abstrakteren, weniger greifbaren Art und Weise. Die ehemaligen PraktikantInnen mögen dies spätestens dann merken, wenn sie keine Anstellung oder nur eine prekäre und mies bezahlte finden, weil viele Arbeiten auch von PraktikantInnen oder prekär Beschäftigten erledigt werden können.
Es handelt sich bei dem vorliegenden Problem also um ein allgemeines, welches alle Lohnabhängigen betrifft. Dementsprechend muss auch die Gegenwehr statusgruppenübergreifend organisiert werden. Der Kampf gegen prekäre Arbeitsbedingungen kann nicht nur von den Prekären geführt werden, soll er erfolgreich sein. Er darf sich nicht defensiv darauf beschränken, gegen die unsicheren Verhältnisse vorzugehen, sondern muss sich offensiv an den Bedingungen orientieren, die wir gemeinsam erkämpfen wollen. Nur eine solche, offensive Perspektive ermöglicht ein gemeinsames (Klassen-)Bewusstsein und ein kollektives Vorgehen für die gemeinsamen Ziele aller Lohnabhängigen.
Eine Offensive gegen Praktikumsausbeutung muss sich auch deshalb auf einen überbetrieblichen Ansatz stützen, um jene Strukturen und ihre Auswirkungen allgemein sichtbar zu machen und die Vereinzelung im Arbeitsprozess zu überwinden. Eine solche Kampagne müsste zunächst einmal vermitteln, dass wir es hier nicht – wie schon bekannt – nur mit einem allgemeinen Phänomen zu tun haben, sondern auch, dass Widerstand möglich und unbedingt nötig ist. Es muss Wissen über die Ansatzpunkte von Widerstand vermittelt und bereitgestellt werden. Außerdem ist es sehr wichtig, dass Kontakte geknüpft werden.
Für eine Gewerkschaft wie die FAU muss es in diesem Zusammenhang zu den absoluten Selbstverständlichkeiten gehören, dass ihre Betriebsgruppen dieses Thema im Betrieb auf den Tisch bringen und, wenn möglich, eine Bezahlung oder gar Festanstellung der vermeintlichen PraktikantInnen durchsetzen. Außerdem muss kontrolliert werden, dass die Bosse die tatsächlichen PraktikantInnen nicht fest in die Arbeitsabläufe einplanen. Oft finden sich aber besonders prekäre Arbeitsbedingungen in Betrieben, in denen es keine oder nur eine schwache gewerkschaftliche Organisierung gibt oder nur zahme, unternehmerfreundliche Gewerkschaften aktiv sind. Mittelfristiges Ziel einer überbetrieblichen Offensive wäre es deshalb auch, in eine möglichst große Anzahl solcher Betriebe einen Fuß zu bekommen, die Lage zu sondieren und sie auf allen Ebenen (juristisch und gewerkschaftlich) anzugreifen, auf denen dies erfolgsversprechend ist.
Die erste Phase einer solchen Kampagne würde aus einer bundesweit koordinierten Pressearbeit bestehen, welche dadurch flankiert wird, dass z.B. die FAU ihre Möglichkeiten zum Widerstand in den Betrieben nutzt, in denen sie vertreten ist, indem die konkreten Praxen der Bosse veröffentlicht werden, präzise Forderungen erarbeitet, gegebenenfalls juristische Prozesse angestrengt und gewerkschaftliche Gegenmaßnahmen getroffen werden. Darüber hinaus müssten zunächst einige wenige und allgemeine Slogans und Forderungen – wie zum Beispiel „Keine Arbeit ohne Lohn!“ oder „Gegen die Ausbeutung von PraktikantInnen!“ – so transportiert werden, dass ein Wiedererkennungseffekt eintritt und die Initiative so bekannt wie möglich wird. Entscheidend dabei ist die offensive Aufforderung an die Betroffenen, nicht nur eigene Erfahrungen zu kommunizieren, sondern auch selbst aktiv zu werden. Letzteres wäre die Voraussetzung dafür, damit die Offensive in eine zweite Phase eintreten kann.
Schon mit dem derzeitigen Informationsstand ist klar, dass es einige überregional und sogar international vertretene Konzerne gibt, die PraktikantInnen systematisch ausnutzen. Wo Kontakte zu Betroffenen existieren, die in einem solchen Betrieb arbeiten, wo es eine gewerkschaftliche Verankerung gibt, ist es an der Zeit, ein Exempel zu statuieren. Die Slogans und Forderungen sind dann zu konkretisieren und auf das beispielhafte Unternehmen abzustimmen (z.B.: „Schluss mit der Ausbeutung von PraktikantInnen bei Möbel Schmidt!“, „Volles Geld für volle Arbeit bei Möbel Schmidt!“). Nun sollten alle verfügbaren Kräfte im Organisationsgebiet der FAU und bestmöglich darüber hinaus auf die Durchsetzung der konkreten Forderungen in diesem greifbaren Betrieb konzentriert werden. Für den Fall, dass es gelingt, sich hier durchzusetzen, wäre ein positives Beispiel gesetzt, welches allgemein ausstrahlen könnte, vielen Menschen Mut macht und im besten Fall eine Eigendynamik in Gang setzt, die dem Problem den Garaus macht, es zumindest aber stark vermindert. Besonders wichtig ist hierbei – aus schon genannten Gründen –, dass nicht nur PraktikantInnen angesprochen werden, sondern die Ausstrahlung der Zustände auch auf andere Statusgruppen im Betrieb speziell und auf dem Arbeitsmarkt allgemein hervorgehoben wird. Im Idealfall wird dies schon praktisch dadurch verdeutlicht, dass der Arbeitskampf von Lohnabhängigen aus verschiedenen Statusgruppen gemeinsam getragen wird.
Parallel zu diesen kollektiven Aktivitäten sollten sämtliche juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um zusätzlichen Druck auszuüben und zumindest die Herstellung der Minimalstandards nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BG) zu gewährleisten. Wie schon erwähnt, sind sehr viele der vermeintlichen Praktika gar keine im Sinne des BG, sondern eigentlich normale Arbeitsverhältnisse. Dies gilt insbesondere für Praktika, die nach dem Studium absolviert werden (siehe Definition des Bundesarbeitsgerichtes in der Randspalte). Die rechtlichen Möglichkeiten sollten auch deshalb so weit wie möglich ausgeschöpft werden, um mehr positive Präzedenzfälle zu schaffen. Dass dies kein Selbstläufer sein wird, wurde schon erörtert. Deshalb sollten sich innerhalb der Kampagne KoordinatorInnen darauf spezialisieren, diese juristischen Prozesse zu koordinieren, Kenntnisse weiter zu geben und fähige Rechtsanwälte zu vermitteln. Sie müssen in der Lage sein, den Betroffenen konkrete Hinweise darauf geben zu können, wie wahrscheinlich ein juristischer Erfolg im jeweiligen Falle wäre und genau wissen, welche Vorgehensweise jeweils angemessen ist.
Eine abgestimmte Kombination dieser Aktivitäten könnte eine Dynamik in Gang setzen, die die schwache strukturelle Macht von PraktikantInnen durch die Optimierung von Organisationsmacht erhöht, indem eine kollektive Betroffenheit herausgestellt und die Sinnhaftigkeit von Widerstand durch praktische Beispiele verdeutlicht wird.
Im Kleinen haben verschiedene Lokalföderationen der FAU schon mit einer Umsetzung begonnen. Die Kampagne „Keine Arbeit ohne Lohn!“ der FAU Region Ost ist dafür ein Beispiel; die Tarifforderungen der FAU-Betriebsgruppe im Berliner Kino Babylon Mitte ein anderes: Letztere beinhalten, dass PraktikantInnen nur mit Ausbildungsvertrag beschäftigt und nicht in die tägliche Verrichtung der Arbeit eingeplant werden dürfen. Außerdem sollen sie eine Aufwandsentschädigung von ca. 600 Euro erhalten. Dies zeigt: Die FAU ist durchaus in der Lage, Impulse auf den Weg zu bringen. Das dafür nötige Wissen, die Erfahrungen und die entsprechende Wut wachsen von Tag zu Tag.
Robert Ortmann
[1] Vgl. Marcks, „Warum in die Ferne schweifen?“, in: DA, Nr. 193 (Mai/Juni 2009).
[2] Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Was ist gute Arbeit? Anforderungen an den Berufseinstieg aus Sicht der jungen Generation, Auszüge aus dem BMAS-Forschungsbericht Nr. 375, vorgelegt im Rahmen der Konferenz „Praktika stärken – Mißbrauch verhindern“ am 7. Mai 2008 im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin.
[3] Siehe Hoffmann, „Für 80 Euro pro Woche bei der SPD“, in: Tageszeitung, 30.04.2009.
[4] „Ausbeutung im Altenheim. Praktikant erhält 10.000 Euro Nachzahlung“, Spiegel-Online, 08.01.2009, http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,599680,00.html.
[5] Siehe Marcks, Ein Tanz auf dem Drahtseil, in: DA, Nr. 192 (März/April 2009).
[6] Vgl. Wright, „Working Class Power, Capitalist Class Interests, and Class Compromise“, in: American Journal of Sociology, Bd. 105, Nr. 5 (2000), S. 957-1002.
[7] Das Closed Shop-Prinzip aus dem angloamerikanischen Raum war z.B. ein Mittel, um diesem Problem entgegenzutreten, indem nur noch Gewerkschaftsmitglieder eingestellt werden dürfen und somit keine Aushöhlung der Belegschaftsmacht stattfinden kann.
„Praktikant ist, wer sich für eine vorübergehende Dauer zwecks Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit und Ausbildung, die keine systematische Berufsausbildung darstellt, im Rahmen einer Gesamtausbildung unterzieht, weil er diese für die Zulassung zum Studium oder Beruf, zu einer Prüfung oder anderen Zwecken benötigt.“ (Az. 6 AZR 564/01)
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