Die Unruhe nach dem Sturm

Sieben Monate sind seit dem Aufstand in Folge des Polizeimordes an dem 15-jährigen Aléxandros Grigorópoulos am 6. Dezember ’08 vergangen. Die damals zerstörten Schaufenster der noblen Einkaufstraße Tzimiskí in Thessaloníki sind längst repariert, auch ausgebrannte Banken sind nicht mehr zu sehen. In den Cafés an der Strandpromenade herrscht Hochbetrieb und ganz Griechenland, so scheint es, wartet auf die allsommerliche Touristeninvasion. Dass sich seit Ende letzten Jahres dennoch etwas verändert hat, ist wenige hundert Meter entfernt in der Venizèlous-Straße, mitten im Zentrum der Stadt zu sehen. Hier haben verschiedene anarchistische Gruppen und Einzelpersonen ein großes, dreistöckiges, unter Denkmalschutz stehendes Gebäude gemietet und Anfang Juni das neue soziale Zentrum eröffnet. “Wir haben soviel Zulauf”, erzählt Thànos von der Antiautoritären Bewegung (AK) Thessaloníki (siehe DA 191), “dass wir dringend mehr und größere Raume im Stadtzentrum brauchen. Wir müssen es nach dem Aufstand einfach schaffen, uns als Anarchisten fest in der griechischen Gesellschaft zu verankern.” Dass dies gelingen kann, war vom 27. – 31. Mai in Athen zu spüren. Die von AK herausgegebene Monatszeitschrift Babylonía hatte zu einem internationalen anarchistischen Kongress geladen. Mehrere tausend Menschen aus Griechenland, west- und osteuropäischen Ländern, den USA und aller Welt haben die Chance genutzt, um fünf Tage intensiv miteinander zu diskutieren und zu feiern.

Solidarität mit Konstantina Kuneva

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Ein Schwerpunkt von AK ist seit dem Mordanschlag auf die bulgarische Basisgewerkschafterin Konstantina Kuneva (siehe DA 190), der Schriftführerin des Syndikats der Reinigungskräfte und Haushaltshilfen in Athen (PEKOP), am 23. Dezember ’08, eine breit angelegte Kampagne gegen Zeitarbeitsfirmen. Zusammen mit anderen anarchistischen und linken Gruppen, Basisgewerkschaften und den AnarchosyndikalistInnen der ESE werden Aktionen gegen griechische (Oikomet) und multinationale (u.a. Adecco) Firmen durchgeführt, die Reinigungsarbeiten im öffentlichen Sektor übernehmen und ihre größtenteils migrantischen Arbeitskräfte brutal ausbeuten. Mittlerweile haben die Mobilisierungen zu ersten Ergebnissen geführt. So hat der Rektor der Aristoteles-Universität Thessaloníki nach der dreiwöchigen Besetzung des Verwaltungstraktes der Hochschule erklärt, die Verträge mit Oikomet zu kündigen. Ähnliches wurde durch die Besetzung der ISAP, der Verkehrsbetriebe Athens, wo Kuneva bis zum Anschlag arbeitete, erreicht. Ziel ist es, das Verleihen von Menschen zuerst im öffentlichen und in der Folge auch im privaten Sektor zu ächten.

Polizei und Faschisten Hand in Hand

Auch militant agierende Gruppen haben Zulauf. Kaum ein Tag und vor allem kaum eine Nacht vergehen, ohne dass in Athen und Thessaloníki irgendetwas zerstört, angezündet oder in die Luft gesprengt wird. Die Ziele der Anschläge sind in erster Linie Polizeiwachen, Banken, Büros und Kraftfahrzeuge von Leiharbeits- und Securityfirmen oder staatliche Gebäude. Die Verantwortung übernehmen meist linksradikale und anarchistische Gruppen, die mittlerweile auch in Kleinstädten wie Xánthi, Ioánnina, Pátras oder Iráklion aktiv sind. Das immer dreistere Auftreten organisierter Faschisten, oftmals in offener Zusammenarbeit mit brutal agierenden Polizeitruppen – wie bei dem Versuch von 150 Anhängern der faschistischen Organisation Chrisí Avgí Mitte Mai in Athen, ein von MigrantInnen zu Wohnzwecken besetztes ehemaliges Gerichtsgebäude zu stürmen – führt darüber hinaus immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen wie Straßenschlachten mit der Polizei und zu Festnahmen von AktivistInnen. Zuletzt kam es dazu am 9. Juni im Athener Stadtteil Ágios Panteleímonas, wo ein rassistisches Bürgerkomitee seit Wochen versucht, migrantische Kinder und ihre Eltern von einem Spielplatz zu vertreiben. Während einer antirassistischen Kundgebung wurde ein vom Bürgerkomitee angebrachtes Gittertor entfernt, um allen Kindern freien Zugang zum Spielplatz zu ermöglichen. Nach dem Ende der Aktion griffen Sondereinheiten der Polizei und Faschisten die abziehenden AntirassistInnen mit Tränengas, Blendschockgranaten und Steinwürfen an. Bei den darauf folgenden Auseinandersetzungen waren Verletzte und fünf vorläufige Festnahmen zu beklagen. Der Erfolg der rechtspopulistischen, rassistischen “Orthodoxen Sammlungsbewegung” – Laos, mit 7,1 % bei den Europawahlen, deutet auf eine weitere Zuspitzung solcher Auseinandersetzungen und das Auseinanderdriften der griechischen Gesellschaft hin.

Nicht erst seit dem Aufstand vor Weihnachten gilt die Polizei als ineffektiv, überaus brutal und als kaum in der Lage, für die Sicherheit der “anständigen Bürger” zu sorgen. Ein peinliches Beispiel ist die Sprengung einer Filiale der Eurobank im Athener Stadtteil Argyrópolis in den frühen Morgenstunden des 12. Mai. Als die Besatzung eines Streifenwagens zwei behelmte Männer vor einer Bank anhalten will, zieht einer von ihnen eine Waffe und bedroht die Beamten, die sich daraufhin zurückziehen. Kurze Zeit später fliegt nach einem Warnanruf bei der Tageszeitung Eleftherotypía die Bank in die Luft. Von den Tätern, laut Polizei Mitglieder der bewaffneten Organisation Epanastatikós Agónas (EA, Revolutionärer Kampf), fehlt jede Spur. EA hatte zur Jahreswende Polizisten unter anderem mit Schnellfeuerwaffen beschossen, was heftige Kritik aus Teilen der radikalen Linken und der AK Athen zur Folge hatte.

Die staatliche Repression indes richtet sich mit massenhaften Personalienkontrollen, Festnahmen und Abschiebungen vor allem gegen MigrantInnen und Angehörige der anarchistischen Bewegung. So wurde am 16. Mai im nordgriechischen Xánthi der anarchistische Aktivist Níkos Kountardás inhaftiert, da er angeblich gegen seine Meldeauflagen verstoßen hatte. Kountardás, seit Jahren im Visier der staatlichen Repressionsorgane, wurde in der Vergangenheit wiederholt inhaftiert und befand sich gegen Meldeauflagen bis zum Prozess wegen eines Brandanschlags auf eine Bank – den er bestreitet – auf freiem Fuß. Mit einem Hungerstreik erkämpfte er Mitte Juni seine Freilassung, gegen 3.000 Euro Kaution. Schon Ende März hatte Bundesanwalt Giórgos Sanidás die Staatsanwaltschaften in Athen, Thessaloníki und Vólos angewiesen, gegen die BewohnerInnen der besetzten Häuser zu ermitteln. Den Eigentümern – Banken und staatliche Institutionen – drohte er mit rechtlichen Schritten, sollten sie hinsichtlich etwaiger Räumungen nicht kooperieren. Doch die BesetzerInnenszene ist stärker denn je. Unter dem Motto “Wagt es nicht, auch nur daran zu denken! Solidarität mit den besetzten Häusern”, demonstrierten Ende April mehr als 1.500 Menschen in Thessaloníki rein prophylaktisch gegen eventuell geplante Räumungen. Und es geht auch um andere, im Zuge der Dezemberereignisse erkämpfte Freiräume. Im zubetonierten Athener Stadtzentrum haben die BewohnerInnen des Stadtviertels Exárchia eine Fläche von 1.500 qm zum Park gemacht. Auf dem Grundstück, das direkt an dem Ort liegt, wo Grigorópoulos erschossen wurde, ist seit 20 Jahren ein Park geplant. Trotzdem wurde es immer als Parkplatz genutzt und sollte jetzt bebaut werden. Eine Nachbarschaftsinitiative nahm die Sache in die Hand, besetzte den Platz, riss den Beton auf und bepflanzte ihn.

Ralf Dreis, Thessaloniki

FAU beendet die Spendensammlung für Konstantina Kuneva:

Ende Mai haben wir noch einmal 743,- Euro nach Athen überwiesen. Insgesamt kamen somit seit Ende letzten Jahres 3.743,- Euro für Konstantina zusammen! Wir bedanken uns bei allen, die dazu beigetragen haben und übersenden herzliche Grüße und eine großes Danke von Konstantina und der PEKOP.

 

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