Observation!

Observation!

Am 20.Mai 2009 gab die Bundesagentur für Arbeit eine interne Weisung heraus: „Bei Verdacht auf besonders schwerwiegendem Leistungsmissbrauch” sind Observationen erlaubt. „Hartz IV- Betrüger dürfen beschattet werden“, freute sich die Bild-Zeitung. Noch vor 20 Jahren wurden sowohl die Observationen der hauptamtlichen Stasimitarbeiter als auch das Denunziantentum der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM’s) in der DDR skandalisiert. Heute heißen die Hauptamtlichen „Außendienst zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch”.

Gerade Wohngemeinschaften werden mit „Hausbesuchen” beglückt. So werden Schränke durchsucht, wenn „eine Sachverhaltsklärung sonst nicht möglich wäre”. Der Hausbesuch erfolgt im Beisein der Überprüften, auf Wunsch erhalten diese dann auch eine Kopie des Prüfprotokolls. Ja es geht alles „demokratisch“ zu. So manche/r wird sich beim Lesen des Prüfprotokolls allerdings fragen: gibt es weibliche und männliche Zahnbürsten?

Aber die Befugnisse der Außendienstmitarbeiter sind noch umfassender. Die „Ermittler” können Auskünfte jeder Art einholen sowie Zeugen und Sachverständige „vernehmen”. Es werden Gespräche mit Arbeitgebern, Nachbarn und Vermietern geführt und bei Banken und Versicherungen vorgesprochen. Oftmals sind es aber auch Nachbarn und Bekannte selbst, die den Behörden „Hinweise” geben und sich als Denunzianten betätigen. Als 2008 die Sendung „Gnadenlos gerecht” für Wirbel in der Boulevardpresse sorgte, gab die Bundesagentur für Arbeit selbst bekannt, dass „Missbrauch” bei nicht mehr als 0,6% aller Hartz IV-BezieherInnen auftritt, falsche Berechnungen der BA inklusive.

Der Druck wächst

Aber nicht nur die öffentliche Hetze und die Schnüffelei lasten auf den Hartz IV-BezieherInnen, es sind auch die Armut, das Damoklesschwert oftmals sinnloser Beschäftigungsmaßnahmen, das Chaos in den Ämtern und vor allem die Sanktionen(1).

Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es im Berichtsmonat Februar 2009 bundesweit 66.127 neu festgestellte Sanktionen, davon 55% wegen Meldeversäumnissen, 18% wegen Verletzungen der Pflichten des Eingliederungsvertrags und 16% wegen Verweigerung einer “zumutbaren” Arbeit.

Besonders rigide wird mit Jugendlichen (unter 25-Jährige) umgegangen. Bei ihnen wird bei einer Pflichtverletzung der Regelsatz gestrichen, bei einer wiederholten „Pflichtverletzung” entfällt alles – auch Miete und Krankenversicherung. Für ALG II-Beziehende über 25 ist ein „Drei-Stufen-Plan” vorgesehen: 30-60-100%. Bei „Meldeversäumnissen” sind es 10-20-30-40…%. Wer noch die Kraft hat, Lebensmittelkarten einzufordern, hat Glück gehabt, wenn das Jobcenter zustimmt. Und wer schon in dem Zustand ist, nicht mehr die Post zu öffnen, hat eben Pech gehabt. Auch als „Sozialschmarotzer” hast du zu funktionieren.

Der Abbau des Sozialstaates ist mit einem zügigen Ausbau des Polizei- und Überwachungsstaates verknüpft. Aktuelle Beispiele sind u.a. die zunehmende Videoüberwachung, die Vorratsdatenspeicherung und die Biometrie (elektronische Lohnsteuerkarte, zentrale Identifikationsnummer, elektronische Gesundheitskarte, biometrische Reisepässe). Aber nicht nur der Staat wird repressiver, in Teilen der sozial verunsicherten Bevölkerung wächst mit der Angst auch die Straflust.

Der Blick wird auf die „unwürdigen” Armen und die Stadtviertel mit einer Konzentration von Armen gerichtet. Die Mitte, die Abstiegsängste hat, aber auch ein Teil der Prekären, grenzen sich von der Unterschicht ab. Sie fürchten sich vor dem Virus, mit dem die Unterschicht sie, die Leistungswilligen, infizieren könnte. Dieser Virus sei die Kultur der Armut. Die Unterschicht sei faul, hätte keinen Aufstiegswillen, trinke und rauche zu viel, sitze nur vor dem Unterschichten-TV, habe ein geringes Bildungsniveau, ernähre sich falsch und erziehe die Kinder zu Hartz IV-BezieherInnen. Die Gesellschaft wird wieder nach sozialdarwinistischer Art in Höherwertige (= Leistungsträger) und Minderwertige (= unwürdige Arme) eingeteilt. Und was machen jene, die sich bereits in der „Zone der Entkopplung” (Castel (2)) befinden? Oft sind sie resigniert und fatalistisch.

Wie Erwerbslose gegenhalten

Es gibt verschiedene Wege mit der eigenen schwierigen Lage um- und dagegen anzugehen. Durch die Vereinzelung ist es für Erwerbslose oft schwer, sich kollektiv zu organisieren. Aber sie wehren sich individuell, schreiben Widersprüche und Klagen. Die Tafeln werden genutzt, um die Armut zu lindern. Manche mit zuviel Untertanengeist treten in der Not nach unten, statt gegen die Obrigkeit zu revoltieren. Doch es gibt immer Alternativen, und in den letzten Jahren haben sich vor Ort vielfältige dezentrale Selbsthilfeprojekte gegründet (als ein Beispiel mag die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (3) genügen), die zeigen, dass gegenseitige Hilfe weiterbringt.

Die aktiven Erwerbslosen bieten als Basis oft Beratung für andere Erwerbslose an. Zudem erstellen sie Internetplattformen mit vielfältigen Informationen, um ihre „KollegInnen“ zu unterstützen. Sie organisieren sich in Stadtteilen und bauen Erwerbslosentreffpunkte auf. Statt der karitativen Tafeln, werden eigene selbstverwaltete Versorgungsmöglichkeiten ins Leben gerufen, wie das Sozialwerk DSP in Leipzig (4). Beratung und Frühstück, Internet oder Broschüren, das reicht natürlich nicht aus. Die aktiven Erwerbslosen machen deutlich, wo die Ursachen liegen und führen Kampagnen gegen Ein-Euro-Jobs und Sanktionen durch. Sie tragen ihren Protest in die Jobcenter, so in Köln beim „Zahltag“ und in Berlin mit dem „Jobcenterbegleitservice“. Erwerbslose und ArbeiterInnen in der FAU engagieren sich gegen Hartz IV, wie in der Agenturschluss-Kampagne 2005, und gegen die Beschäftigungsindustrie, wie beim Arbeitskampf gegen ZIM (5) dieses Jahr in Berlin. Zu gegebenen Anlässen gründen sich immer wieder Bündnisse, die den Protest auf die Straße bringen. Protestformen sind auch Spaßaktionen, wie die Verleihung des Goldenen Tretstiefels ans Sozialamt Berlin-Neukölln, und Ein-Euro-Spaziergänge. Und Anfang der achtziger Jahre gab es viele Aneignungsaktionen der „Schwarzen Katze“, einer autonomen Jobber- und Erwerbsloseninitiative. Das bedeutet, der Kampf kann sich radikalisieren. Und Erwerbslose, die kämpfen, sind keine wehrlosen Opfer mehr. Sie emanzipieren sich vom Objekt der Arbeitslosenverwaltung zum Subjekt, das sich das eigene Leben zurückholt. Aber nicht nach den Vorgaben und Maßstäben anderer, sondern selbstgewählt, selbstbewusst und solidarisch.

Bereits jetzt deutet sich in der Debatte um die Mehrwertsteuererhöhung an, dass nach der Bundestagswahl 2009 die Herrschenden die Lasten auf die Lohnabhängigen abwälzen und der Druck auf dem Arbeitsmarkt sich verstärken wird. Dann werden auch ALGII-BezieherInnen die Krise zu spüren bekommen, sie haben ja jetzt schon wenig zu verlieren. Und mit neuen Zumutungen, ob die Herrschenden es nun Hartz V, Agenda 2020 oder sonstwie nennen, verschärft sich die Wut, die raus aus der Vereinzelung auf die Straßen drängt. Da wir Hartz IV nicht verhindern konnten und wohl weitere Kämpfe bevorstehen, ist eine Strategiedebatte in der Erwerbslosenbewegung unbedingt nötig. Meine Erfahrungen besagen, dass es um eine Vielfalt der Protestformen gehen muss. Nur gemeinsam sind wir stark!

Anmerkungen:

(1) Weitere Infos zur Sanktionspraxis in der Broschüre „Wer nicht spurt, kriegt kein Geld”: www.hartzkampagne.de

(2) Robert Castel, ein französischer Soziologe, versucht zu verstehen, wie die Lohnarbeit, die einmal eine sozial verachtete Position war, nach und nach zum Modell wurde, zu einem sozialen Status mit einer bestimmten Identität. http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Castel

(3) Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg: http://www.also-zentrum.de

(4) Demokratie und Soziale Politik (DSP) Sozialwerk, Eisenbahnstr. 109, 04315 Leipzig

(5) siehe DA #192 (März/April 2009)

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