Betrieb & Gesellschaft

Optimieren wir uns doch selbst!

Toyota war Vorreiter, asiatische Autobauer zogen nach, nun reformiert der VW-Konzern seine Produktionsprozesse

Es hört sich nach einer weiteren harmlosen Luftnummer an: der „Kontinuierliche Verbesserungsprozess“. Hat doch Volkswagen alle vier bis fünf Jahre neue lustige Umstrukturierungsversuche für seine Beschäftigten parat. Uns ArbeiterInnen lässt das mittlerweile kalt, bleiben doch die Arbeitsinhalte dieselben. Es ändern sich die Gesichter der Vorgesetzten, die Abteilungskürzel, und wenn es hochkommt noch ein wenig die Organisation. Unbeeinflusst bleiben für uns zumeist die geforderte Leistung sowie der Lohn.

Mit dem Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (kurz: KVP) kündigt der Konzern allerdings mehr als nur eine Umstrukturierung an. Unternehmensberater fanden die Arbeitsweise bei Toyota irgendwie effektiv und empfahlen die Strukturen der VW-Leitung. Diese erfindet den Volkswagen-Weg und indoktriniert alle MitarbeiterInnen weltweit über mehrere Wellen mittels eigens geschaffener, psychologisch und rhetorisch geschulter Truppen.

Die Inhalte entsprechen exakt den Qualitäts- und Organisationsregeln, die in den 50er Jahren erfunden, bei asiatischen Unternehmen umgesetzt und seit den 80ern zur allgemeinen Lehre auch an deutschen Unis und Fachhochschulen wurden: Fehler vermeiden, Verschwendung abschaffen und einfache Arbeitsabläufe gestalten. Das sind die Schlagwörter, welche nun durch die alten Gemäuer einer offensichtlich längst überholten Automobilindustrie geistern.

Wo ist da der Haken?

Selbst bei dem Thema Ergonomie, das den ArbeiterInnen gesundheitsunbedenkliche Handgriffe verspricht, ist für die Belegschaft erstmal kein direkter Nachteil zu erkennen. Dass es aber nur um Kostenreduzierung, nicht um den Menschen geht, sollte in diesem System inzwischen klar sein. Die Umsetzung an den einzelnen Maschinen sieht beispielsweise so aus: ein Werker, der Teile einlegt, wartet während eines Arbeitsganges etliche Sekunden bis die Maschine den Einlegebereich wieder freigibt. Das macht den Werker traurig, denn er kann ja nicht Wert schöpfend für das Unternehmen arbeiten. Nach KVP stehen ca. fünf Maschinen um unseren Werker herum, die er allesamt bedient. Während der Bearbeitungsphase einer Maschine wendet er sich einer anderen zu. So dreht er sich im Kreis und hat zu jeder Zeit mindestens einen Handgriff (beidhändiges Bedienen wäre noch effizienter) zu verrichten. Das freut ihn, denn nun ist er Wert schöpfend.

Und alle ziehen mit

Die Ironie dabei ist leider kein Witz. Gefährlich an diesem ganzen Spiel ist die Mitbestimmung von uns Arbeitern selbst. Zum ersten Mal im langen VW-Leben ist unsere Meinung zum Arbeitsprozess gefragt. Wir selbst geben die Optimierungen vor.

Volkswagen kalkuliert hier mit der Begeisterung für das Produkt und damit der Identifikation mit dem Unternehmen. Plötzlich dürfen wir selbst in einem Team verschiedener Fakultäten unseren Prozess gestalten, somit die Wertschöpfung am Produkt steigern und infolgedessen direkt zur Gewinnmaximierung der Aktionäre beitragen.

Damit wir völlig und nachhaltig verblendet werden, schenkt VW uns eine Gewinnbeteiligung. So steigt in harten Zeiten die Arbeitsleistung, denn dass Netto ist direkt vom werten Befinden des Unternehmens abhängig.

Ein weiteres Beispiel beschreibt den Planungsprozess für neue Produktionslinien. Zusammen mit unseren PlanerInnen basteln wir mit billigsten Mitteln, das sind Pappe, Schere sowie Klebeband, unseren zukünftigen Arbeitsplatz. Dabei nehmen Kollegen mit Stoppuhren die Zeit des simulierten Prozesses an den Papp-Maschinen. Nach einer Woche haben wir uns soweit optimiert, dass wir zum Einen mehrere Arbeitsplätze zusammengefasst und zum Anderen jede Sekunde in einen Handgriff unserer zukünftigen Tätigkeit umgesetzt haben. Darüber hinaus haben wir den Intelligenzanspruch an uns selbst reduziert: Statt wirrer Teilenummern der für den Prozess benötigten Materialien tragen diese nun den Namen von Fußball-Vereinen. Bei der Ausstattungsvariante „Schiebedach“ greife ich nun intuitiv nach „Werder Bremen“ statt dem bisherigen numerisch gelisteten Teil.

Die Zukunft ist nicht ungewiss!

So funktioniert schemenhaft der Volkswagen-Weg. Einzelne Raffinessen zur Kontrolle und Überwachung der individuellen Arbeitsleistung werden an dieser Stelle mal ausgeblendet.

Ziel des Ganzen kann ja nur die Kostenreduzierung sein. Unternehmens- und Gewerkschaftsleitung bestreiten in diesem Zusammenhang zwar offiziell einen angestrebten Abbau von Arbeitsplätzen, aber die Realität ist schnell zusammengereimt. Allein unser erstes Beispiel setzt vier Stellen frei. Rechnet man die einzelnen Rationalisierungen auf die jeweilige Größe des Betriebes um, so ergibt sich eine Anzahl von Stellen, die nicht einfach umorganisiert werden kann. Zumal alle Produktionshilfsbereiche, wie z.B. Logistik, gar nicht mehr von der eigenen Belegschaft besetzt sind. Und dort können wir aktuell beobachten, wie unsere geliehenen KollegInnen konsequent gefeuert werden, allein 8000 LeiharbeiterInnen werden bei VW nicht mehr beschäftigt.

Die Absatzsituation in der Automobilindustrie wird sich in nicht allzu ferner Zukunft eher weiter verschlechtern als verbessern. Die Flexibilität der „atmenden Fabrik“ Volkswagen ist durch die schon getätigten Entlassungen der LeiharbeiterInnen stark reduziert, auch Kurzarbeit und flexible Arbeitszeitkonten stoßen an ihre Grenzen. Es ist allzu offensichtlich, dass es danach nur uns treffen kann. Wenn wir dann zusehen, wie KollegInnen neben uns einfach vom nächsten Tag an nicht mehr erscheinen, können wir auch keinerlei Hilfe von ihnen erwarten, wenn es uns selbst an den Kragen geht. Wir sollten anfangen, die laufenden Optimierungsprozesse zu hinterfragen, uns zusammensetzen und darüber diskutieren. Volkswagen sagt uns offen, die Zukunft sei ungewiss. Holen wir uns doch die Gewissheit, dass wir zusammen stehen und uns nicht von den Produktionsoptimierungen noch weiter vereinzeln lassen.

Hagen Weber

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

Share
Veröffentlicht von
Redaktion

Recent Posts

Syndikalismus für das 21. Jahrhundert II

Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.

13. November 2024

Syndikalismus für das 21. Jahrhundert

Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…

23. Oktober 2024

Aber es braucht viele.

Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.

9. Oktober 2024

Arbeiter:innen für die Zukunft des Planeten

Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…

2. Oktober 2024

Back to Agenda 2010?!?

Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.

31. August 2024

Marxunterhaltung und linker Lesespaß

Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“

24. August 2024