Kultur

David Thomas sieht überall nur Mère und Père Ubus

Interview

Noch vor Punk gründete David Thomas in Cleveland/Ohio die Neopost-Punkband „Pere Ubu“, inspiriert von Alfred Jarrys absurd-skurrilem Theaterstück „Ubu Roi“, das 1896 (!) bei seiner Uraufführung in Paris für einen veritablen Skandal sorgte: Dada, Surrealismus und Punk-Avantgarde vorwegnehmend. In diesem Jahr veröffentlichte die Band das Album „Long Live Père Ubu“, welches sie live als kongeniales Spektakel zu Jarrys Oeuvre inszenierten.

Du sollst gesagt haben, Eure neue CD „Long live Père Ubu“ sei Eure erste richtige Punk-Platte seit 30 Jahren…

Nein, es ist die einzige Punk-CD seit 1979 überhaupt! Es kommt natürlich drauf an, wie du Punk definierst. Punk verkam sehr schnell zur bloßen Mode, zum bedeutungslosen netten Accessoire. Alle waren auf der gleichen Linie und wiederholten noch und noch dieselben Gedanken auf eine sehr jugendliche, wenn nicht gar pubertäre Weise.

Unsere CD ist deshalb besonders, weil sie ganz Alfred Jarry ist. Denn er hatte eine jugendlich-absurde Punk-Attitüde. Dies Ding attackiert jeden, geht harte Themen an wie Weltverbesserei, diesen alles beherrschenden Glauben der westlichen Zivilisation, und besagt, dass Weltverbesserei richtig schlimm ist. Habt ihr Weltverbesserer in Deutschland? Weltverbesserer sind Leute, die sich in das Leben anderer einmischen mit dem naiven Ziel, sich selbst dabei besser zu fühlen.

Uns fällt auf, dass heute verstärkt über Dada, Surrealismus und Punk reflektiert wird, dass auch viele Gruppen von vor dreißig Jahren wieder auftauchen.

Ich denke, sie sollten gar nichts sagen. Wenn du versuchst, noch im Jahr 2009 Punk zu sein, dann sollte es lieber als Reflektion darüber sein, dass seit 1979 dreißig Jahre vergangen sind. Da gibt es nichts zu wiederholen. Du solltest dich weiter entwickeln. Das erste Mal tat es jeder eben am besten. Das ist wie mit dem 60er Rock: Die damaligen Bands konnten das einfach besser. Es gibt keinen Grund zurückzuschauen. Das ist das gleiche mit Dada, Surrealismus und all diesen Sachen. Du kannst dieses Spiel einfach nicht aufrechterhalten. Es mag nostalgisch oder historisch informativ sein, aber ich brauche mir die verdammten Bilder nicht anzugucken. Ich habe die Ideen von vor fünfzig, sechzig Jahren aufgesogen. Der Surrealismus ist eine fundamentale Idee. Wenn du den Surrealismus nicht kennst, verstehst du absolut nichts von der modernen Welt. Auf der anderen Seite gibt es keinen Grund dafür, das alte Zeug endlos wiederzukäuen. Die Kernidee muss voran getrieben werden. Es gibt viel zu viele Leute, die so tun, als hätten sie die Idee gerade erst entdeckt.

Du nimmst ja klaren Bezug auf den fantastischen Alfred Jarry, der Dada und Surrealismus regelrecht vorweg genommen hat. Was kann man denn mit dem Potential von damals heute machen?

Ich bin seit 1975 immer wieder danach gefragt worden, ob ich nicht eine Adaption von Alfred Jarrys „Ubu Roi“ machen wolle. Ich sagte immer nein, hatte keinen Bezug dazu, das war mir alles zu nostalgisch. Jetzt, als ich nach Ideen für mein neues Album suchte, dachte ich mir, wenn nicht eine Adaption, so könnte es doch eine gute Inspiration sein. Denn ich konnte so mehrere Intentionen kombinieren. Ich wollte eine Platte produzieren, wo der Sound selbst eine narrative Stimme ist. Ich war es leid, diese übliche Art von Album zu machen, wo ein Song dem anderen folgt. Daher die Idee einer zusammenhängenden Erzählung. Außerdem wollte ich die ganze Band involvieren: Die Show ist unglaublich radikal. Keine andere Band hat je zuvor absolut alles selber gemacht, vom Spielen der Charaktere über Tanzeinlagen bis hin zur Musik.

Natürlich hatte ich dabei Jarrys Ideen und Theorien von vor hundert Jahren im Kopf, schließlich hatte ich meine Band nach Jarrys Stück „Ubu Roi“ benannt, denn „Ubu Roi“ klingt besser als „Jarry“. All das kristallisierte sich zu dem Projekt, das ein Mühlstein an meinem Hals geworden ist. Die Persönlichkeit von Ubu hat aber auch Jarrys Leben zerstört und das kann auch mir passieren. Dies ist das unkommerziellste, dümmste, verschwenderischste Projekt, das ich je in meinem Leben verfolgt habe. Das ist mein Waterloo… Aber ich musste es tun. Ich verstehe Alfred Jarry so: Alles, was ihr im Fernsehen seht: Überall ist Père Ubu und Mère Ubu. Jeder Politiker, jeder Analytiker, jeder Weltverbesserer…

Vielleicht könnten die Père und Mère Ubus im Fernsehen dich verstehen?

Nein, die können mich nicht verstehen. Das ist hoffnungslos. Ich kümmere mich nicht mehr darum, was die Gesellschaft denkt. Ich bin frei …

Jorinde Reznikoff / Klaus-Peter Flügel

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Die Redaktion der Direkten Aktion.

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