Hoch waren die Erwartungen an diesen Tag. 20 Jahre Rote Flora, ein Polit- und Kulturzentrum, das in der Debatte um Subkultur und Gentrifikation eine Vorreiterrolle einnimmt; endlich mal eine kulturkritische Diskussion vor breitem Publikum; und dann noch das Tocotronic-Konzert im Anschluss. Drei Stunden nach Betreten der Flora war diese Vorfreude einer Katerstimmung aus Kopfschmerzen und plötzlicher Müdigkeit gewichen; auch Tofu-Burger und Bier konnten hier kaum noch Abhilfe schaffen.
Das Konzept der Podiumsdiskussion war im Prinzip recht gut gedacht: Vier Kulturschaffende aus unterschiedlichen Bereichen mit unterschiedlichen Positionen gegeneinander antreten zu lassen, und das alles unter Einbindung des Publikums. Eingeladen waren Till Gathmann (Künstler, Leipzig), Rosa Perutz (antinationale Organisierung in der Kunst), Kerstin Stakemeier (Kunsthistorikerin, Berlin) sowie Autor und Filmemacher Stephan Geene (b_books, Berlin). Nach ihren Eingangsstatements, die meist eher einer Vergewisserung der eigenen rhetorischen Fähigkeiten als einer tatsächlichen thematischen Positionierung glichen, entspann sich eine haarsträubende Diskussion um ‚Form und Inhalt’ von Kunst. Ist es legitim, mit der bürgerlichen Ästhetik zu brechen? Ist Kritik an Hochkultur nicht per se rückwärtsgewandt? Kann ein Mensch, der nicht Chopin hört, überhaupt Kunstkritik äußern? Als Avantgarde setzten sich ReferentInnen und Publikum an diesem Abend selbst. Nicht ein einziges Mal wurde die eigene Stellung, geschweige denn die Funktion von Kunst in der Gesellschaft reflektiert. Künstlerische Tätigkeit und die Fähigkeit, darüber elaboriert debattieren zu können, galten anscheinend für sich schon als Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts. Und so konstruierte sich eine stolze ‚Bildungsoberschicht’ ihren Status, indem sie Belanglosigkeiten aus dem Kunststudium austauschte.
Allein von Seiten der Gruppe Rosa Perutz wurde im Laufe der Diskussion daran erinnert, dass es sich bei dem Ganzen doch um eine linksradikale Veranstaltung handeln sollte. Doch auch dieser Hinweis vermochte nicht, einen Bezug zur Realität oder gar zu einer eventuellen kunstpolitischen Praxis in die so genannte Diskussion zu bringen. Vielmehr trafen diejenigen ReferentInnen den richtigen Publikums-Ton, die sich am deutlichsten von jeglichen linken Umtrieben distanzierten. Der gesellschaftskritische Anspruch verkam zu einer Abrechnung mit linksradikaler Kultur und Praxis. Dies ist selbstverständlich mehr als legitim; da jedoch die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge komplett ausgeblendet wurden, erschien solch ein Ansinnen mehr wie ein snobistisches Naserümpfen denn als ernst gemeinte, geschweige denn konstruktive Kritik. Denn tatsächlich ging es doch an diesem Abend nie um „gesellschaftliche Emanzipation“. Die Frage, ob eine Kritik oder Ablehnung bürgerlicher Hochkultur nicht in Wirklichkeit reaktionär sei, offenbarte das tatsächliche Thema: Die Zurückweisung von Kapitalismuskritik und Fundamentalopposition als veraltete, verkürzte und im Kern anti-aufklärerische Gesinnung.
Ein Kommentar von Justus Janses
Siehe auch die vorangegangenen Beiträge der DA-Kulturdiskussion:
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