Kultur

Mit Folk & Country gegen die Nationalhymne

Gerd Dembrowski, Musiker, Künstler und Medienaktivist, traf sich mit DA-Kultur zum Gespräch

Es ist ein trüber Tag im Mai, und wir haben es uns gemütlich gemacht: bei Tee und Kaffee plaudern drei übernächtigte Menschen über Fußball, amerikanischen Folk und subversive Kunst. Jan-Hinnerk, der beim Kieler „Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender“ aktiv ist, hat Gerd Dembrowski von der am Vorabend stattgefundenen Veranstaltung an der Uni mitgebracht. Und jetzt sitzen wir im Gemeinschaftsraum des Wohn- und Kulturprojekts „Alte Meierei“ in Kiel, und die Gedanken fangen an, munter umher zu springen.

„Ich habe so zusagen diesen Spirit aus den USA aufgenommen, für neue musikalische Ausdrücke.“ Es geht um Gerds Programm „Fußball und Countrymusik“, das er diesen Abend in einer linken Kneipe in Kiel performen wird. Und seine langen, abenteuerlichen Streifzüge durch die Staaten. 35 davon hat Gerd an der Seite der anarchistischen Folk-Punk Band „Ghost Mice“ bereist, eine Band, die sich auch schon mal durch das heimliche Aufspringen auf Güterzüge fortbewegt. Überhaupt erinnerte die anarchistische US-Szene Gerd aufgrund ihres ausgeprägten DIY (Do-It-Yourself) Charakters an romantische Wildwest-Filme: Kollektives Leben in Zeltdörfern, Hardcore und Punkkonzerte, die unplugged gespielt werden und sich deshalb wie Country und Folklore anhören, und überall die Geschichtsschreiber, die den Aufbruch einer neuen Bewegung dokumentieren. Doch diese scheinbare, anarchistisch angehauchte Flower-Power-Neuauflage ist in Wirklichkeit Ausdruck der tief sitzenden sozialen Krise, die in den USA schon lange vor der Pleite von Goldman-Sachs und Lehmann Brothers Realität war. DIY, das ist nicht bloß ein Phänomen zivilisationsmüder Mittelständler, sondern eine notwendige Lebensform für viele US-AmerikanerInnen, die durch das kaum vorhandene soziale Netz gefallen sind. Doch diese Lebensformen werden zunehmend kollektiv gelebt und organisiert, und wo diese wachsenden Netzwerke in Konflikt mit dem Staat geraten, werden sie von der Bewegung verteidigt. Gerd fühlt, wie der Anarcho-Syndikalismus in den USA an „Mut und Kraft zum Durchstarten“ gewinnt.

Subversive Kunst nach dem Scheitern des „Konzepts Kommunikations-Guerilla“

Gerd Dembrowski, dieser Name steht in Deutschland für Provokationen vor allem gegen den möchtegern-spaßigen Fußball-Nationalismus. Als hierzulande das „Sommermärchen 2006“ gefeiert wurde, machte sich Gerd mit Freunden und KollegInnen daran, den von den MärchenerzählerInnen in Medien und Politik unerwähnten Horror der ganzen Geschichte ins Lampenlicht zu rücken. Mit Kampagnen wie der „Vorrunden-Aus 06“ wurde eine Form gewählt, die sich von der schon längst zur Popkultur avancierten „Kommunikations-Guerilla“ abgrenzte. „Um den aggressiven Nationalismus, der gerade mit dem medialen Jubelfeuerwerk zur WM einherging, sichtbar zu machen, brauchte es deutliche und krasse Aussagen. Wir wollten unsere impressionistischen Ausdrücke klar vermitteln; eine in den Diskurs eingebettete Guerilla-Taktik wäre da nutzlos gewesen.“ Und so wurde sich gut 2 Jahre auf den absehbaren Alptraum vorbereitet, den die „WM im eigenen Land“ mit sich brachte.

Reif für die Insel

Zum Start der WM inszenierte Gerd seine Flucht vor dem nationalen Party-Wahn auf eine Insel – eine Flucht, die es in Wirklichkeit nie gegeben hatte. Von seinem Exil, so schien es, kommentierte er nun die Geschehnisse in Deutschland. Und zu thematisieren gab es vieles: Etwa die Anstrengungen, die CDU und Springerpresse unternahmen, um mit der GEW eine Gewerkschaft, die sich der verordneten Massenekstase widersetzte, exemplarisch alle Widerspenstigen an den nationalen Pranger zu stellen. Die von der „Naturfreunde Jugend Berlin“ getragenen Kampagne „Vorrunden-Aus 06“ konnte noch viel extremere Hasstiraden aus dem nationalistischen Mob auf sich laden – was natürlich genau dem Konzept entsprach. Schon der simple Wunsch, dass die deutsche Elf doch so früh wie möglich ausscheiden möge, reichte, um als „Verräterschwein“ mit Todesdrohungen konfrontiert zu werden. Die Fassade vom „positiven Nationalismus“ ließ sich mit erschreckender Einfachheit einreißen. „Die Medien haben systematisch nationalistische Gewalttaten während der WM verschwiegen.“ Die Kampagne Kick It! und eine antirassistische Demo in Berlin waren Versuche, sich diesem Schweigen entgegenzustellen. Angesichts der prominenten nationalen Einheitsfront von Sönke Wortmann über MIA bis zu Günther Grass und Martin Walser ein äußerst schwieriges Unterfangen.

„Fußball ist ja so eine Art Trainingsfeld für kapitalistische Herrschaftsformen.“

Gerd spielt damit auf die Transformationen von prägenden Elementen des modernen Fußballs wie auch der Gesellschaft an: Rassismus, Sexismus, Kommerz und Gewalt. Gerade Deutschland stellt sich heutzutage gerne als ein verwundetes Opfer dar, das vom Rest einer nachtragenden Welt angefeindet wird, sich aber trotzig seinen eigenen Patriotismus gegen die Missgunst der Anderen herausbildet. Die EM 2008, so Gerd, habe dies ganz deutlich gezeigt: Völlig an der Realität vorbei stellte das Fernsehen die friedfertig feiernden Deutschen auf der einen, aber randalierende türkische, niederländische und russische Horden auf der anderen Seite dar. Wider besseren Wissens wurde der Eindruck erzeugt, „Wir“ seien ja nicht so. Eine soziologische Studie deutscher Stadien fördert anderes zutage: Nach der brachialen Durchkommerzialisierung der ersten Bundesliga, in der alles auf die Bedürfnisse der Fernsehsender und Sponsoren zurechtgeschnitten wurde, werden weniger gut betuchte Menschen genauso in die unteren Ligen abgeschoben, wie sie schon lange in die verarmten Ränder der Großstädte umgesiedelt wurden. Und genau wie dort schlägt die Brutalität gesellschaftlicher Ausgrenzung auch hier oft genug in nackte Gewalt um. Identifikation und Hass, das sind zwei Seiten der selben Medaille einer von oben entpolitisierten Unterschichtenkultur. Fußball als Massenphänomen bewegt sich immer in diesem Feld. Und ist somit auch nicht vollends kontrollierbar. Auf der Suche nach neuen Wachstumsfeldern soll Fußball zunehmend weibliche Konsumentinnen ansprechen; doch der aggressive Fußball-Sexismus, er ist trotz aller Weichspülbemühungen kaum zu bändigen. Und so ist auch heute nur jede siebte Person in einem deutschen Fußballstadion eine Frau.

Vor allem aber steht Fußball, wie Gerd zum Ende unseres Gesprächs hinzufügt, für die Verwirklichung einer Gefahr, vor der schon Rudolf Rocker warnte: „Der Nationalismus ersetzt die Religion.“

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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