Die rechtsextreme Gewalt in Russland fordert ein weiteres Todesopfer. Zudem wurden inzwischen erste des Mordes an Stanislaw Markelow und Nastja Barburowa Verdächtigte verhaftet. Ein Kommentar
Iwan Chutorskoj, ein legendärer Moskauer Antifa und Mitbegründer der dortigen RASH (Red + Anarchist Skinheads) wurde am Abend des 16. November im Eingang seines Wohnhauses mit zwei Genickschüssen ermordet. Er wurde nur 26 Jahre alt.
Iwan arbeitete zuletzt als Jurist in einer Hilfsorganisation für Straßenkinder. Seitdem sein Vater vor einem Jahr gestorben war, ernährte er seine Familie allein. Früher Punk, seit 1999 Redskin und libertären Ideen nahe stehend, sah er seine Aufgabe vor allem darin, die immer brutaler werdende Gewalt ultranationaler und rassistischer Gruppen zu bekämpfen. Dieser Kampf ist in erster Linie Selbstschutz, also Schutz der eigenen linken, anarchistischen und antifaschistischen Strukturen. Iwan (Spitzname Kostolom, d.h. Knochenbrecher) sicherte deshalb Konzerte, Pressekonferenzen und Treffen linker Gruppen und Organisationen.
Dass man als russischer Antifa gefährlich lebt, weiß jeder der Mitkämpfer. Kostolom war aktiver Kampfsportler, lehnte jedoch den Gebrauch von Waffen ab – seine Gegner nicht. Iwan selbst war schon mehrmals Opfer von Anschlägen auf sein Leben geworden, denn den Nazis war er verhasst wie kaum ein anderer. Aber weder Schläge, Rasierklingen über den Kopf, noch Messer im Bauch und Schraubenzieher im Hals jagten ihm Angst ein oder ließen ihn an der Richtigkeit seiner Überzeugung und der Notwendigkeit seiner Taten zweifeln. Das hat ihn das Leben gekostet.
Kurz vor dem Mord an Iwan gab es auch neue Entwicklungen im Fall des im Januar 2009 in Moskau auf die selbe Art ermordeten Rechtsanwalts Stanislaw Markelow (die Direkte Aktion berichtete in Nr. 192). Vor kurzem wurden die mutmaßlichen MörderInnen Markelows und der Journalistin Nastja Baburowa vom Inlandsgeheimdienst FSB der Öffentlichkeit präsentiert. Allerdings ist über die Hintergründe der Festnahme der zwei Angehörigen einer Moskauer Neonazizelle wenig bekannt und die Sicherheitsbehörden verschleiern die Umstände eher als dass sie darüber aufklären.
Auf den Straßen herrscht schon seit Jahren und täglich Krieg, ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückt dieser jedoch nur bei Morden. Und selbst dann nur, wenn die Opfer Russen sind. Zwar sind rechtsradikale Gruppierungen marginale Minderheiten (was an der mit Blick auf die eigene Geschichte immer noch vielen bewussten Absurdität von Faschismus in Russland liegen mag) –Ultranationalismus, Militarismus und Rassismus aber sind mehrheitsfähig. Das waren sie schon in der Sowjetunion, wo selbst in den Kreisen der Intelligenz rassistische Überzeugungen verbreitet waren. Die ethnische Zugehörigkeit wurde stets betont, besonders bei den Ernennungen in Parteistrukturen. War der erste Sekretär Uzbekistans ein Uzbeke, dann musste der zweite Russe sein. Darin lag die Gewähr des Interessenausgleichs im sowjetischen Imperium. Auch der Antisemitismus hat als staatlich propagiertes Massenphänomen Kontinuität.
Der neue, aber gewohnt zentralistische und brutale russische Staat, der sich seine Ideologie des „russischen Nationalstolzes“ zur Rechtfertigung der eigenen Herrschaft erst aus verschiedenen Bruchstücken der eigenen Geschichte zusammenbrauen muss, fördert Nationalismus und kann auch dessen radikale, rassistische Ausprägung gut gebrauchen. Er braucht nationalistische Stimmungen in der Gesellschaft als Blitzableiter, damit die Mehrheitsbevölkerung kaukasischen und chinesischen MigrantInnen oder JüdInnen, also den Anderen, die Schuld an der sozialen Lage zuschreibt und nicht dem System. Die russischen Sicherheitsdienste wissen zwar von allen faschistischen Organisationen und ihrer Tätigkeit. Allerdings werden diese benutzt, um Jugendliche von echten Missständen, gegen die man kämpfen müsste, abzulenken. Zudem zieht der Staat sich auch selbst „RussInnen“ heran, wie durch die Kreml-nahe Jugendorganisation Naschi, im Volksmund Naschisten genannt. Zu dieser unseligen Allianz trägt auch die überaus einflussreiche russische Kirche bei, die auf ihre Weise „Russentum“ fördert. In einem Kloster bei Moskau etwa werden Kinder in Uniform unter dem Dach der Kirche und unter den Augen orthodoxer Priester paramilitärisch erzogen – angeblich um sie von Kriminalität und Drogen fernzuhalten.
Der Boden für die Saat der Gewalt wird gezielt kultiviert. Unser Respekt und unsere Solidarität gelten allen, die dagegen kämpfen.
Andreas Loktjew
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…
Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.
Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…
Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.
Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“
Leave a Comment