Der Begriff wurde erstmals in New York um 1970 verwandt. Es war die Zeit, als sich in der Christopher Street Schwule gegen Polizeiübergriffe wehrten, als die Black Panther das revolutionäre Subjekt in den schwarzen Ghettos statt in der weißen Facharbeiterschicht fanden, als Feministinnen das Patriarchat auch in der Linken entdeckten und postulierten, dass das Private politisch sei. Klassismus (classism) und Sexismus (sexism) waren sprachliche Parallelbildungen zu Rassismus (racism). Die „Furies“, ein Kollektiv von Arbeitertöchtern, konnten mit diesem Begriff eine Diskriminierungs- und Unterdrückungsform benennen, die im subjektiven Erleben Ähnlichkeit mit Rassismus und Sexismus hatte. Sie konnten mit diesem Begriff Handlungsweisen und Strukturen markieren und eigneten sich parallel zu der jungen Bewegung der militanten Schwarzen-, Frauen- und Homosexuellen-Bewegung die Benennungsmacht über ihre Identität an. Unter anderem kritisierten sie mit dem Vorwurf „classism“ massiv das pseudorevolutionäre Gehabe ihrer GenossInnen aus reichem Elternhaus.
Klassismus heißt so viel wie Klassendiskriminierung, -abwertung, aber auch Ausbeutung und ökonomische Benachteiligung. Klassismus findet sich im Bildungsbereich, in der Abwertung von Geschmack und Lebensstilen, in der Gesundheitsversorgung, in der Frage, wer wen heiratet und wer mit wem zusammenwohnt, im Bereich des Wohnens, der Stadtpolitik, der Reisefreiheit, der Umweltpolitik, in der Justiz, beim Militär und in den Medien (Kontrolle, Inhalte, Zugang). Der Kapitalismus (die Art und Weise wie die Ökonomie strukturiert ist) ist durch und durch klassistisch, da hier die Klassen überhaupt erst hergestellt werden. Dass Menschen entsprechend ihrer Arbeitsbedingungen und aufgrund ihrer Herkunft arm oder reich sind, ist so selbstverständlich, dass dieser Umstand nicht als Benachteiligung oder Privilegierung wahrgenommen wird. Jemand, der arbeitslos ist, zugewandert oder „geringe Qualifikationen“ hat, verdient es angeblich nichts anderes als arm zu sein und ein hierarchisches Gebäude von Chefs über sich zu haben. Diese klassenspezifische Zuordnung haben wir derart verinnerlicht, dass ungleiches Vermögen bestenfalls dann als Benachteiligung oder gar Diskriminierung gewertet wird, wenn diese Benachteiligungen aufgrund von rassistischen, sexistischen oder behindertenfeindlichen Gründen stattfindet.
Der US-amerikanische Ökonom Chuck Barone möchte mit dem Begriff „Klassismus“ ökonomische Fragen in die Diskriminierungsdebatten einbringen. Dies gestaltet sich schwierig, da im Diskriminierungskontext klassenspezifische Fragen in der Regel ausgegrenzt werden. So wurden alle Klassenfragen aus den EU-Antidiskriminierungs-Richtlinien herausgehalten, obwohl dies nicht nur im Widerspruch zum Grundgesetz und zur EU-Charta steht, wo ausdrücklich erwähnt wird, dass niemand aufgrund seiner sozialen Herkunft benachteiligt werden darf, sondern auch zu aktuellen Erhebungen über Diskriminierung.
Eine Langzeitstudie aus Bielefeld zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit nahm nacheinander „Obdachlosenabwertung“ und „Langzeitarbeitslosenabwertung“ in ihre Untersuchung auf und stellte fest, dass Deutschland sich von einer Marktwirtschaft zu einer Marktgesellschaft entwickelt habe. Gruppenbezogene Abwertungen vollziehen sich demnach immer stärker anhand der vermeintlichen ökonomischen Nützlichkeit von Menschen. Menschen mit Behinderungen, Obdachlose und Arbeitslose seien daher stärker von Abwertungen betroffen als andere Gruppen.
Klassismus ist die allzu gern übersehene Diskriminierung, die Alltag, Beruf und Arbeitslosigkeit mindestens so sehr durchzieht wie Rassismus und Geschlechterdiskriminierung.
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