Die griechische Regierung gerät von oben und unten unter Druck
Nach den Unruhen zum Jahrestag der Ermordung des 15jährigen Aléxandros Grigorópoulos, am 6.12.2008 durch Polizeibeamte in Athen, gerät die sozialdemokratische Regierung Griechenlands in der EU immer stärker unter Druck. Das Gerücht eines bevorstehenden Staatsbankrotts hält sich so hartnäckig, dass es der Vorsitzende der Eurogroup und Ministerpräsident Luxemburgs, Jean-Claude Juncker, explizit dementieren musste. Finanzexperten warnen vor Liquiditätsproblemen des Staates, falls Athen keine „ökonomischen Reformen“ durchführt, sprich Kürzungen der Sozialausgaben gegen die Bevölkerung durchzieht. Auch der Chef der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet zeigt sich besorgt und fordert „harte Maßnahmen“ von der Regierung. Immer wieder ist die Befürchtung zu hören, Griechenland destabilisiere Europa und die gemeinsame Währung. Die Rating-Agentur „Standard and Poors“ setzte die Regierung in Athen noch zusätzlich unter Druck, indem sie aufgrund der desolaten Finanzlage die Kreditwürdigkeit des griechischen Staates herabsetzte. Was zur Folge hat, dass Athen auf den internationalen Geldmärkten höhere Zinsen zu zahlen hat. Für Geld, das es zur Deckung der öffentlichen Ausgaben, wie die Unterhaltung der Krankenhäuser, die Auszahlung der Renten und Staatsgehälter oder des Arbeitslosengelds, dringend benötigt. Die seit Oktober regierende sozialdemokratische Pasok unter Ministerpräsident Giórgos Papandréou setzt die arbeitnehmerfeindliche Politik ihrer konservativen Vorgängerin Néa Dimokratía (ND) fort. Geplant ist die Erhöhung des Renteneintrittsalters, ein dreijähriges Einfrieren der Löhne und Renten und die Privatisierung von Staatsbetrieben. Während derartige Maßnahmen unter der ND zu Protesten der von Pasok-Mitgliedern dominierten Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY geführt hatten, halten die sich nun vornehm zurück. Statt Druck auf der Straße aufzubauen, setzt die Gewerkschaftsspitze auf „Verhandlungen unter Sozialpartnern“. Widerstand gibt es trotzdem. So bei den Kämpfen gegen weitere Privatisierungen wie die der Wasserversorgungsbetriebe Thessaloníkis oder bei der ebenfalls von der ND-Regierung „geerbten“ Auseinandersetzung mit den Hafenarbeitern von Piräus. Ein Treffen mit den seit Anfang Oktober Streikenden hatte Loúka Katséli, die Ministerin für Wirtschaft, Wettbewerb und Handelsschifffahrt, am 5.11.2009. Die Arbeiter verlangen einen bereits unterzeichneten Vertrag des griechischen Staates mit der staatlichen chinesischen Firma Cosco rückgängig zu machen, der Cosco für 35 Jahre die Nutzungsrechte für den wichtigen Verladekai 2 im Hafen von Piräus überträgt. Dort hatten sich bis November rund 10.000 nicht abgefertigte Container angesammelt. Papandréou hatte vor der Wahl angekündigt, dass der Vertrag „geändert“ werden müsse. Der Vorsitzende der Athener Industrie- und Handelskammer, Konstantínos Michálos, klagte, dass der Streik täglich drei Millionen Euro koste, worauf das Verwaltungsgericht in Piräus die Kampfmaßnahmen am 10.11.2009 für illegal erklärte.
Anfang Dezember trat die Müllabfuhr Athens für höhere Löhne und die Festanstellung von 200 KollegInnen mit Zeitverträgen in den Ausstand. Die Streikenden ließen sich auch nicht von Innenminister Giánnis Rangoúsis unter Druck setzen, der den Abtransport des Mülls verlangte, damit dieser nicht zum Barrikadenbau bei den Demonstrationen zum Todestag von Grigorópoulos benutzt werden könne. Die von der stalinistischen KKE dominierte Gewerkschaftsfront Pame hatte schon im November einen Generalstreik für den 17.12.2009 vorgeschlagen, was von der Gewerkschaftsspitze bei GSEE und ADEDY abgelehnt wurde. Pame mobilisierte deshalb in knapp 60 Städten zu eigenen Streiks und Demonstrationen, wobei allein in Athen mehrere tausend AnhängerInnen auf die Straße gingen.
Unterdessen kam es in Thessaloníki zu einem neuen Fall von so genanntem Boss-Terror. Auf den Wagen der Basisgewerkschafterin Venetía Monalopoúlou, die als Reinigungskraft am Flughafen arbeitet, wurde Ende November ein Säureanschlag verübt. Dies wird allgemein als Warnung für die kämpferische Aktivistin verstanden und erinnert fatal an den Mordanschlag auf Konstantína Koúneva in der Nacht des 23.12.2008. Koúneva war von beauftragten Schlägern mit Säure überschüttet und gezwungen worden diese auch zu schlucken. Wochenlang schwebte sie in Lebensgefahr, auf einem Auge ist sie erblindet und noch immer werden ihre inneren Verätzungen behandelt. Der Mordversuch hatte während der Dezemberunruhen 2008 zu einem Aufschrei in weiten Teilen der Bevölkerung gesorgt. Bestärkt durch die weiterhin kämpferische Haltung und die physische und psychische Stärke Koúnevas, kam es in der Folge zu verstärkten Arbeitskämpfen im prekären Bereich. Vor allem der Kampf der – meist migrantischen – Putzfrauen erfährt viel Solidarität aus der anarchistischen Bewegung und Teilen der Arbeiterschaft. Seit einem Jahr kommt es immer wieder zu Gebäudebesetzungen bei Arbeitskämpfen und zu Anschlägen auf Leiharbeitsfirmen. Darüber hinaus bildeten sich viele kleine Gewerkschaften, die dem Beispiel der PEKOP (Basisgewerkschaft der Reinigungskräfte Athens) folgten und Arbeitskämpfe unabhängig von den staatstragenden Gewerkschaften begannen. Monalopoúlou ist eine derjenigen, die sich organisierten und spielt eine wichtige Rolle in den Kämpfen des Reinigungspersonals am Flughafen. Zu Streiks der Reinigungskräfte kam es ebenso in Krankenhäusern Athens, an der Universität in Thessaloníki, in der städtischen Verwaltung von Vólos und in den zentralgriechischen Knästen. Selbstorganisierte Arbeitskämpfe begannen in Callcentern, im Buchhandel, bei KurierfahrerInnen, den ArchäologInnen des Kulturministeriums und den Stahlarbeitern, die wiederholt die Autobahn südlich Athens blockierten. Überall im Land finden seit Sommer Aktionen der beim Staat angestellten ZeitarbeiterInnen für feste Verträge statt.
Am 12.12.2009 besetzten die 250 ArbeiterInnen der Elite-Schuhfabrik in Athen die Firma, um die Auszahlung der seit Monaten fälligen Löhne und eine Arbeitsplatzgarantie zu erzwingen. Papandréou hat also die Wahl – entweder Stress in Brüssel oder brennende Barrikaden in Athen, wahrscheinlich bekommt er beides.
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