Der Kampf der mexikanischen ElektrizitätsarbeiterInnen dauert an
„Was hier in Mexiko passiert, ist schlimm, aber es ist kein Einzelfall. Gewerkschafter auf der ganzen Welt werden aufgrund ihrer Arbeit entlassen, kriminalisiert und eingesperrt“, erklärt Antonio Almazen, ehemaliger Sekretär für auswärtige Beziehungen der Gewerkschaft der Mexikanischen ElektrizitätsarbeiterInnen (SME). Seit das staatliche Stromunternehmen Luz y Fuerza im Oktober vergangenen Jahres per Dekret geschlossen wurde, kommt der pensionierte Gewerkschafter wieder jeden Tag in das Hauptquartier der SME in Mexiko-Stadt. Hier werden nun T-Shirts gedruckt, Demonstrationen organisiert und Versammlungen abgehalten. Im alten Theater des Gebäudes kochen ehemalige Arbeiterinnen und Arbeiter jeden Tag für rund 2000 Menschen. Vor dem Gebäude werden Flugblätter verteilt und Devotionalien verkauft, eine Kinderbetreuung ist eingerichtet und ein medizinischer Dienst versorgt Notfälle. Einige der Gewerkschafter schlafen sogar in den Büros und Gängen des Gebäudes. „Ich bin hier groß geworden“, lacht Almazen, der seit 40 Jahren Mitglied der SME ist, „und hier werde ich auch alt. Ich bin mir sicher, dass wir diesen Kampf gewinnen werden.“
Gegen die Schließung des Unternehmens geht die Gewerkschaft mittlerweile gerichtlich vor. „Die haben einfach auf die Verfassung geschissen und den Laden dicht gemacht. Das ist nicht legal. Wir sind im Recht“, stellt Almazen klar. Neben dem juristischen Weg wirbt die SME aber auch für mehr Solidarität in der Bevölkerung. Vor allem aus dem Ausland kam bisher viel Unterstützung. Ab dem 16. März ruft die SME nun gemeinsam mit anderen Gewerkschaften zum Streik und zu zivilem Ungehorsam auf. Beispielsweise werden bereits Flugblätter an die Haushalte verteilt, in denen dazu aufgerufen wird, die Stromrechnungen bis auf Weiteres nicht mehr zu bezahlen.
Schon jetzt hat die SME eine Mahnwache auf dem zentralen Platz in Mexiko-Stadt, dem Zócalo, eingerichtet, den sie bis zur Beendigung des Konfliktes besetzt halten wollen. Von hier aus sind zahlreiche Aktionen und Kundgebungen geplant. Wer durch die Schließung des Unternehmens Probleme mit seiner häuslichen Stromversorgung hat, bekommt hier ebenfalls Hilfe. Klagen über die momentane Versorgungssituation scheint es reichlich zu geben. Anfang Februar gab es im ganzen Land wetterbedingte Stromausfälle, die zahlreiche Haushalte bis zu drei Wochen im Dunkeln sitzen ließ. Eine Panne, die laut SME mit qualifiziertem Personal nicht passiert wäre.
In den mexikanischen Medien wird die unabhängige Gewerkschaft hingegen stets als korrupt und geldgierig dargestellt. Die hohen Löhne und Renten seien verantwortlich für die Pleite des Stromunternehmens. Für Antonio Almazen ist das ein Skandal: „Wir haben keine überhöhten Löhne bekommen. Die Gewerkschaft hat uns ein würdiges Leben ermöglicht und das auch als Rentner.“
Luz y Fuerza arbeitet seit der Entlassung von 44.000 Arbeiterinnen und Arbeitern nun mit Subunternehmern zusammen, die ungelernte und schlecht bezahlte Arbeitskräfte aus Mexiko und Mittelamerika beschäftigen.
Die Geschichte der mexikanischen Gewerkschaften ist seit fast hundert Jahren von einem starken Korporativismus geprägt. Lange Zeit mussten Gewerkschaftsmitglieder auch in die Partei der institutionalisierten Revolution (PRI) eintreten, die Mexiko 70 Jahre lang regierte. Unabhängige Gewerkschaften waren hingegen immer die Ausnahme. „Seit dem Regierungswechsel im Jahr 2000 begannen sich einige Gewerkschaften zu demokratisieren. In diesem Prozess spielte die SME eine wichtige Rolle“, erklärt Dolores González Saravia, Direktorin des Menschenrechtszentrums Serapaz in Mexiko Stadt, die besondere Stellung der Gewerkschaft. Insbesondere in der Debatte um Privatisierungen im öffentlichen Sektor ist die SME seither diskursführend.
Für Dolores González Saravia ist somit klar: „Die Schließung des Unternehmens ist als ein direkter Schlag gegen die SME zu werten.“ Im Gegensatz zu unternehmerfreundlichen Gewerkschaften habe die SME stets gute Verträge für ihre Mitglieder ausgehandelt und verfüge über einen sehr hohen Organisationsgrad im Unternehmen. Der neoliberalen Politik von Präsident Felipe Calderón stehe eine starke Gewerkschaft daher eher im Wege. Die Absicht der Regierung, die Energieversorgung des Landes in absehbarer Zeit zu privatisieren, sei ein offenes Geheimnis.
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