Über eine der größten proletarische Erhebungen der deutschen Geschichte
Die Novemberrevolution von 1918 brachte den Menschen besonders im Ruhrgebiet nur verhältnismäßig geringe Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Vor allem im Bergbau standen, im Rahmen der aufkeimenden „Sozialpartnerschaft“, die weitreichenden Zugeständnisse der großen Zentralgewerkschaften der Armut einer bei härtester Arbeit notleidenden Arbeiterschaft gegenüber. Die Enttäuschung darüber führte dazu, dass einerseits die Zentralgewerkschaften viele Mitglieder verloren, und dass andererseits, wie in Hamborn und Mülheim, die Syndikalisten großen Zulauf hatten. Es entstand eine starke Streikbewegung, die viele wilde Streiks und auch neue Aktionsformen hervorbrachte. Dem Kontrollverlust über die äußerst heterogene Masse der Arbeiterschaft versuchte die Reichsregierung mit militärischer Gewalt beizukommen. So waren die Menschen vom offenen Kampf und Hass auf das Militär geprägt, als am 13. März 1920 die Nachricht vom Rechts-Putsch eintraf.
In den Städten des Reviers reagierte die Arbeiterschaft auf den Putsch zunächst mit der Bildung von Aktionsausschüssen oder Vollzugsräten, um die örtlichen Behörden zu kontrollieren. In diesen meist aus Funktionären der Arbeiterparteien und Gewerkschaften zusammengesetzten Gremien bestand Einigkeit darüber, dass der Putsch mit dem jetzt durchzuführenden Generalstreik abgewehrt werden müsse. Darüber hinaus gab es jedoch sehr unterschiedliche Zielsetzungen: Reichspräsident Friedrich Ebert und der regierenden Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) lag an dem Erhalt der Weimarer Republik. Dem schlossen sich der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) sowie die Arbeitsgemeinschaft für Angestellte (AfA) und der Deutsche Beamtenbund an. USPD und KPD forderten dagegen den Rücktritt der Ebert-Noske-Regierung und die Machtübernahme durch die Arbeiterschaft, die „Diktatur des Proletariats“. Auch die FAUD machte ihren in der Streikbewegung stark gewachsenen Einfluss geltend und trieb insbesondere die sofortige Sozialisierung und Übernahme der Betriebe voran.
In vielen Städten kam es zu verstärkten Auseinandersetzungen der Arbeiterschaft mit der Polizei, den Einwohner- und Sicherheitswehren. Es entstanden bewaffnete Arbeiterwehren, die die Einwohnerwehren und die Polizei entwaffneten.
Am 14. März entsandte der für das Ruhrgebiet zuständige Befehlshaber der Reichswehr, General von Watter, Teile des Freikorps Lichtschlag in die Stadt Wetter, um dort eine vermeintlich ausgerufene Räterepublik und einhergehende Plünderungen zu stoppen. Der Führer der etwa 130 in Wetter eintreffenden Soldaten erklärte sich, wie viele andere militärische Verbände auch, für die Putschisten. Es kam zum ersten Kampf mit der örtlichen Arbeiterwehr, viele Menschen aus der Umgebung kamen zu Hilfe und die Soldaten wurden in kürzester Zeit entwaffnet.
Ähnlich verlief es am nächsten Tag in Herdecke und Kamen. Eine spontan in Hagen entstehende zentrale militärische Leitung der Arbeiterschaft sandte Kompanien Bewaffneter den Truppen entgegen: Die Rote Ruhrarmee.
Die Putschisten in Berlin kapitulierten am 17. März und die Regierung forderte noch am selben Tag den Abbruch des Generalstreiks. Da dies den Verzicht auf den weiteren bewaffneten Kampf bedeutet hätte und keine wirtschaftlichen und politischen Zugeständnisse gemacht worden waren, kamen die Streikenden dieser Aufforderung nicht nach. Stattdessen traten bis zum 29. März mehr als 330.000 Menschen in den Streik und die auf 80.000 bis 120.000 Menschen stetig gewachsene Rote Ruhr-Armee gliederte sich in mehrere Gruppen auf, die bis zum 23. März ein Gebiet noch über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus „eroberte“, indem sie Militär und Polizei entwaffnete und vertrieb.
Inzwischen waren aus dem gesamten Reich Truppen in Richtung Ruhrgebiet unterwegs. Teile der Reichstagsfraktion bestanden auf einer Verhandlungslösung dieser Situation, also wurden Vertreter der am Aufstand beteiligten Gruppen zu einer Konferenz nach Bielefeld eingeladen, um über Möglichkeiten der Beendigung des bewaffneten Kampfes zu verhandeln. Am 24. März wurde mit Vertretern einiger Gruppen ein Abkommen getroffen, das zunächst einen Waffenstillstand vorsah, weiterhin die Pflicht zur Waffenabgabe der Arbeiterschaft, das Versprechen zur Auflösung der Putschtruppen, Garantien für die Inangriffnahme der Sozialisierung der dafür reifen Betriebe sowie die Pflicht zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Zustände im Revier bis zum 31. März. Hier begann die niemals einheitliche Bewegung zu zerbrechen. Während z.B. die Hagener Zentrale auf der Einhaltung des Abkommens bestand, wollte man in Mülheim den Kampf mit allen Mitteln fortsetzen. In der Kürze der Zeit war eine Einigung und somit eine Einhaltung des Bielefelder Abkommens nicht möglich.
Auf Befehl der Reichsregierung marschierten am 1. April Soldaten und Söldner in das Ruhrgebiet ein. Darunter waren auch jene Freikorps und Reichswehreinheiten, die kurz zuvor in Berlin den Putsch unterstützt hatten. Die Militärs gingen mit äußerster Brutalität vor, darunter besonders die Freikorps. Durch das Erschießen „Flüchtiger“, durch Standgerichte, Verstümmelungen und Ermordungen kamen weit mehr Menschen ums Leben als in den gesamten vorherigen Kämpfen: Der „weiße Terror“.
Bis zum 19. April war das gesamte Gebiet wieder in der Hand der Regierungstruppen.
Das Besondere dieses Aufstands sind die Versuche, das Leben nach der Vertreibung Militär und Polizei selbst neu zu organisieren.
Zunächst seien hier die Aktionsausschüsse und Vollzugsräte genannt: Zu deren selbstgestellten Aufgaben gehörte die Übernahme der lokalen Verwaltung, die Bewaffnung der Arbeiterschaft, die Entwaffnung der reaktionären Bürger und in den ersten Tagen auch die Verhaftung und Vernehmung der bekannten Mitglieder der Einwohnerwehren und Freikorps, die sich besonders brutal am Kampf gegen die Arbeiterschaft beteiligt hatten. Des Weiteren musste die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, die Entlohnung der Vollzugsräte und der Arbeiterwehren und vieles mehr organisiert werden.
Schon zu Beginn der Kämpfe hatten die Aktionsausschüsse in einigen Städten wichtige Hoheitsrechte der Verwaltung übernommen. Dies erforderte nicht nur Fachwissen, vor allem trafen hier verschiedene Vorstellungen aufeinander. Der Mülheimer Vollzugsrat bezeichnete es als seine Aufgabe, den alten reaktionären Beamtenapparat zu reorganisieren. Die Vertreter der Betriebsbelegschaften wurden aufgerufen, nur solche GenossInnen in den Vollzugsrat zu wählen, welche in den Unterkommissionen ihre Posten ausfüllen könnten und sich durchzusetzten verständen. Die große Zahl der Kommissionen, welche der Vollzugsrat gründete (unter anderem Kommissionen für die städtischen Betriebe, die Schulen, Polizeifragen, Wohnungs-, Gesundheits- und Wohlfahrtswesen) zeigt, dass er seine Aufgaben darin sah, das gesamte gesellschaftliche Leben neu zu gestalten.
Die Löhnung der Mitglieder der Vollzugsräte erfolgte in der Regel über die Stadtkassen. In Mülheim und Oberhausen mussten die Unternehmenskassen für die aus ihren Betrieben stammenden Vollzugsräte aufkommen.
Der Hagener Aktionsausschuss besetzte einige Räume des Rathauses und leitete die Beschlagnahmung von Gütern wie Lebensmitteln, Autos, Benzin, Waffen und Munition ein, ordnete Hausdurchsuchungen an und verhaftete und verhörte stadtbekannte Einwohner, die nachweislich in Kontakt zum Militär standen. Zwar sollte auch weiterhin die politische Kraft vom Aktionsausschuss ausgehen, doch war dieser vermutlich von der Übernahme der Verwaltung überfordert und überließ diese bald wieder den ursprünglichen Beamten. Ähnliche Übereinkünfte gab es auch an anderen Orten, so dass die Verwaltung insgesamt, um einige bekannte reaktionäre Beamte erleichtert, unter der politischen Kontrolle der Arbeiterschaft bzw. ihrer Beauftragten unbeirrt weiterarbeitete.
Die Versorgungslage war schon vor dem Putsch im Ruhrgebiet sehr schwierig. In allen Städten gab es Nahrungsmittelrationierungen. Durch einen Boykott der Lebensmittellieferungen ins Ruhrgebiet verschärfte sich die Situation noch weiter. Neben der Beschlagnahmung hatten einige Aktions- und Vollzugsausschüsse die Idee, in Holland und Belgien Kohlen gegen Lebensmittel zu tauschen.
Vielerorts wurden alle ab dem 9. November 1918 politisch Inhaftierten freigelassen und aus den Kassen der Betriebe, in denen sie zur Zeit der Verhaftung gearbeitet hatten, für die Haftzeit und den Verdienstausfall entschädigt. In Duisburg und Essen gab es Ansätze zu Gefängnisreformen, die den nicht politischen Gefangenen zu Gute kommen und ihnen durch die Mitarbeit in Gefangenenräten Mitsprache erlauben sollten.
Aus Elberfeld wird über einen bemerkenswerten Versuch einer Justizreform berichtet: Man ließ das Amts- und Landgericht schließen, um zunächst über eine neue Rechtsordnung zu beschließen. Ein daraufhin in einer großen öffentlichen Versammlung gewählter „Volksbeauftragter für die Sozialisierung der Justiz“ veröffentlichte Folgendes: „Der Erziehungsgedanke hat an die Stelle des Strafgedankens zu treten. Die gedankenlose Einsperrung armer, schwacher Menschen, die den rechten Weg nicht kannten oder sich darauf nicht halten konnten, in Zuchthäusern und Gefängnissen widerspricht der Menschenwürde, ebenso die Todesstrafe.“ Trotz seiner Wahl beugte der Beauftragte sich dem u.a. seiner fehlenden Parteizugehörigkeit wegen eingelegten Widerspruch des Aktionsausschusses.
Zwei Tendenzen unterschiedlicher Vorstellungen wurden im Laufe des Aufstands deutlich: Während USPD und KPD glaubten, grundlegende Eingriffe in die Führung der Betriebe erst dann verantworten zu können, wenn der endgültige militärische Sieg des Aufstands errungen sei, waren die Anarchosyndikalisten der FAUD gegenteiliger Ansicht. Genau diese beiden Positionen standen sich 16 Jahre später in der spanischen Revolution wieder gegenüber, und genau wie dort fanden sich Beispiele, wie erfolgreich die Strategie der Anarchosyndikalisten auch in größerem Maßstab sein konnte. Gegenüber der Befürchtungen seitens USPD und KPD, dass sofortige Veränderungen in den Betrieben die Fortführung der Produktion gefährden, und dass Sozialisierungen den Kampf der bewaffneten Arbeiterschaft schwächen würden, stand das Beispiel der FAUD, das etwas anderes zeigte: Nachdem in Mülheim und Hamborn die Leitung der Thyssen-Werke durch die Betriebsräte übernommen worden waren, vermutete ein Mitglied der Thyssen-Familie, dass dies, da alles so reibungslos verlaufen war und die Produktion eben nicht einbrach, von langer Hand geplant gewesen sein musste.
Ein großer Unterschied zwischen den Ereignissen im Ruhrgebiet von 1920 und der Revolution in Spanien 1936 ist die kulturelle Basis, auf der beides stattfand. So fehlte in Deutschland im Vergleich jene „Übung“ in Fragen der Selbstverwaltung, Solidarität und Utopie. Die meisten Arbeiterorganisationen – Gewerkschaften, Parteien, Kultur- und Sportvereine – führten die Traditionen von Hierarchie und dem Vertrauen auf Führung von oben weiter. Die Gefahr solcher Traditionen für eine Gesellschaft zeigte sich nicht zuletzt mit dem Ende der Weimarer Republik und dem Aufschwung des Nationalsozialismus.
Nico Katanek
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