Die Rechnung geht nicht auf

Hier und da ein nettes Wort macht das Leben erträglich. Die Gewissheit etwas „Gutes“ getan zu haben, gibt dem Leben einen Sinn. Leider füllt es jedoch nicht den Tisch. In der Behindertenassistenz wird weiter an der Sparschraube gedreht, da die Assistenzdienste selbst weiter unter Druck geraten, der auf die Beschäftigten abgewälzt werden soll. Die moralische „Entlohnung“ soll die materielle ersetzen. Die Folge sind Zeitverträge, Streichung von Zuschlägen und Lohndumping sowie keinerlei Anpassung der Löhne an die Inflation.

Lohndumping bei den Berliner „ambulanten diensten“

Die Geschäftsführung des ambulanten dienste e.V., die die Gehälter ab Januar 2008 um ganze 20% gesenkt und die darauf folgenden Proteste ausgesessen hatte, sucht nach neuen Einsparmöglichkeiten. Diesmal sollten die Bezüge des siebenköpfigen Bereitschaftsdienst-Teams dafür herhalten. Dieser hat nachts und am Wochenende telefonisch erreichbar zu sein, um bei einem Notfall an den jeweiligen Einsatzort vermittelt zu werden. Die Bezahlung wird in Form einer Pauschale mit Zuschlägen abgerechnet. Obwohl der Pauschalbetrag nur einen Stundenlohn von 5,13 Euro umfasst – und das bei Schichten von 16–18 Stunden! –, entschied die Geschäftsführung im Dezember, die Zuschläge zu streichen, so dass das Gehalt des BSD-Teams nun rund 50% des allgemeinen AssistentInnen-Lohns beträgt. Die Vergütung für Mehrarbeit und Weggeld sollte kurzerhand wegfallen. Das BSD-Team suchte daraufhin das Gespräch mit der Geschäftsführung, das nur mithilfe des Betriebsrats zustande kam. Die Geschäftsführung ließ jedoch nicht mit sich reden und die BSDlerInnen nahmen den Hut.

In der kurz nach der Kündigung veröffentlichten Stellenausschreibung war dann alles wieder beim Alten: Mehrarbeitszuschläge und Weggeld werden weiter als Anreiz für den BSD verwendet. Jetzt weiß wohl auch die Geschäftsführung, dass sich sonst nur schwer neue Team-Mitglieder locken lassen.

Lernen“ von der Altenpflege

Im Prozess einer umfassenden Prekarisierung des Pflegewesens geraten auch die Assistenzdienste, die lange noch verhältnismäßig geordnete Arbeitsbedingungen boten, immer mehr unter Druck. Im Zuge der Einführung des Arbeitgebermodells in der persönlichen Assistenz, das die Assistenz weitestgehend dezentralisieren und die AssistentInnen noch weiter vereinzeln wird, erscheinen diejenigen Assistenzdienste mit Lohnfortzahlung, Wahrung des Arbeitsrechts und Unterstützung von AssistenznehmerInnen, nicht mehr wirtschaftlich genug.

DA199_BuG_Persoenliche-Assistenz_Bild1.jpg

Die Altenpflege gibt einen Vorgeschmack darauf, was „wirtschaftlich“ ist: In Altenheimen schuften schlecht bezahlte und völlig überlastete PflegerInnen. Da die notwendige Pflege so nicht zu gewährleisten ist, streben immer mehr Menschen an, ihre Angehörigen in deren Wohnungen versorgen zu lassen. Eine intensive Betreuung ist aber sehr zeitaufwändig und somit teuer, was zum häufigen Einsatz von Pflegekräften aus Osteuropa führt. Diese leben für einen begrenzten Zeitraum in den Haushalten der Pflegebedürftigen und stehen rund um die Uhr zur Verfügung, obwohl sie teilweise nur als Haushaltshilfen geführt werden, die nicht über acht Stunden arbeiten und keine pflegerischen Tätigkeiten verrichten dürfen.

Die ständige Verfügbarkeit und niedrige Vergütung erinnern an sklavenähnliche Arbeitsbedingungen. Es ist davon auszugehen, dass neben der rechtlichen Grauzone als „Haushaltshilfe“ oder in Scheinselbstständigkeit, auch undokumentierte Arbeitsverhältnisse verbreitet sind.

McPflege für alle

In der Behindertenassistenz ist diese Entwicklung bislang noch nicht angekommen. Allerdings zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Behinderten, die autonom leben können, steht die Möglichkeit des Arbeitgebermodells offen, und somit die Option der Verwirklichung der Selbstbestimmung auf den Schultern von BilligjobberInnen. Gerade Behinderte, die sich vor die existenzielle Entscheidung zwischen einem Leben im Heim und der Ausbeutung von Pflegekräften zu Dumpinglöhnen gestellt sehen, werden dem Kostendruck wenig entgegensetzen können. Denjenigen, die nicht in der Lage sind, ihre Assistenz selbst zu organisieren, z.B. aufgrund von degenerativen Erkrankungen, Sprechstörungen oder mangels Organisationstalent, steht diese Option nicht offen, was in der Debatte um das Arbeitgebermodell oft „vergessen“ wird.

In Berlin dürfte der Sparzwang weiter zunehmen. Denn in diesem Jahr stehen wieder Verhandlungen der Ambulanten Dienste mit der Senatsverwaltung an. In Anbetracht der leeren Hauptstadtkassen ist eine Verbesserung unwahrscheinlich, zudem die Erfahrung gezeigt hat, dass die Geschäftsführung den Druck eher auf die Beschäftigten abwälzt, als offensiv mehr Geld herauszuholen.

Allerdings zeigt das Beispiel des BSD-Teams, dass sog. „Einsparmaßnahmen“ auch abgeändert werden können, wenn die Rechnung nicht aufgeht. Und gerade in Anbetracht der relativ großen Gruppe von Betroffenen, sollte es möglich sein, zusammen für eine würdige Entlohnung und Gewährleistung der Assistenz einzutreten.

 

Die Direkte Aktion berichtete bereits über Lohnkürzungen und Widerstand bei den Berliner Ambulanten Diensten (DA #188), eine Klage gegen sittenwidrige Löhne eines Rostocker Assistenzdienstes (DA #197) und die Folgen des Arbeitgebermodells in der Behindertenassistenz (DA # 198).

Schreibe einen Kommentar