Mit einem europaweiten Streik am 1. März hatten Migrantinnen und Migranten unter dem Motto „un jour sans nous“ auf sich aufmerksam gemacht. Dem Aufruf wurde vor allem in Italien und Frankreich gefolgt. Die migrantischen Kämpfe in Italien haben dabei weit weniger Tradition. Auch wenn es seit Jahren Komitees und Vereine gibt, die sich der misslichen Lage der Migrantinnen und Migranten annehmen – und sogar Hausbesetzungen zur Schaffung von adäquatem Wohnraum organisieren – sind hierzulande über die Kämpfe von Menschen mit Einwanderungshintergrund (wenn überhaupt) nur wenige Schlaglichter bekannt.
Der Wind weht von rechts
Nicht ganz unschuldig an dieser Situation ist sicherlich der enorme Rechtsruck, der Italien in den letzten Jahren erfasst hat. Die Etablierung (post-)faschistischer Parteien und deren Parteigänger sowie deren jahrelange Regierungsbeteiligung hat das politische Klima Italiens nachhaltig vergiftet. Unter dem Deckmantel (angeblich) besserer Sozialpolitik, mehr Föderalismus und Demokratie hat das rechte ’68 den Marsch durch die Institutionen geschafft. Versüßt werden damit der vulgäre Ton in der Regierungspolitik, die Korruption und nicht zuletzt die immer drastischer werdende soziale Lage in Italien. Nach oben Buckeln und nach unten Treten scheint dabei die Primärtugend zu sein, die sich die italienische Regierung für ihr Volk wünscht. Die Leidtragenden sind, wie sollte man es anders erwarten, die Schwächsten der Schwachen: die Migrantinnen und Migranten. Völlig nachrangig scheint dabei die Tatsache, dass die über vier Millionen Migrantinnen und Migranten mittlerweile zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor im Land geworden sind, die nach einigen Schätzungen allein 20 % der jährlichen Wirtschaftsleistungen Italiens erbringen (andere Quellen geben 9,7 % des BIP für das Jahr 2007 an). Es sind diejenigen, die die am unterbezahltesten und schlechtesten Jobs übernehmen: auf dem Bau, in den Häfen, in Krankenhäusern, in der Gastronomie und in der Reinigungsbranche. Daran ändern auch beinahe absurd anmutende Kampagnen extrem rechter Splittergruppen nichts, die dafür werben, dass ein ordentlicher Italiener gefälligst auch den miesesten Job übernehmen solle.
Rechts ist da, wo der Daumen links ist?
Zu einem Rechtsruck gehören jedoch auch stets diejenigen, die ihn mitmachen. Und hier hat sich auch die italienische Linke nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Nicht nur, dass einige der Verschärfungen des Einwanderungsgesetzes bereits unter der Mitte-Links-Regierung unter Prodi eingeführt wurden. Sondern nicht zuletzt mit der Entstehung der Demokratischen Partei (PD) und einer weiteren Spaltung der Kommunisten wurde munter dem von der Rechten propagierten Credo des „Endes der Ideologien“ hinterhergelaufen. Darüber, dass sich hinter diesem „Ende der Ideologien“ letztlich nichts anderes als ein vermeintliches Ende aller anderen, nicht aber der rechten verbarg, las man wenig in italienischen Zeitungen. Umso mehr las man hingegen über von Ausländern begangene Verbrechen. Dabei wurden nach Angaben des italienischen Innenministeriums im Jahre 2006 lediglich 26 % der Verbrechen von Ausländern begangen, von welchen wiederum 70 % kleine Delikte wie Taschen- oder Ladendiebstahl und lediglich 3 % schwerere Delikte wie Raub waren. Dass die restlichen 74 % aller Straftaten folglich von Einheimischen begangen wurden, verdeutlicht die wahre Bedeutung von Medienberichten, die jede einzelne der schwereren von Ausländern begangenen Straftaten über Seiten hinweg ausschlachten.
Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: ein verbreiteter Rassismus, der sich zunehmend in Hetze und Gewalttaten ausdrückte. Man erinnere sich nur an die Bilder ganzer Kolonnen von Rumänen, die nach dem Mord an der Ehefrau eines Offiziers in Rom im Frühjahr 2008 mit gepackten Koffern vor Bussen warteten, um in ihr Land zurückzukehren. Weitere Angriffe, unter anderem auf Camps von Roma, folgten. Erst nach einem mit Messern verübten Angriff auf einen jungen, römischen Antifaschisten sah sich auch die PD gezwungen, ein wenig Farbe zu bekennen und sich als antifaschistisch zu „outen“.
Ein langer Marsch
Es sollte an diesem Punkt eines zur Unerträglichkeit mutierten Klimas sein, dass die Dinge sich zu bewegen begannen. Während von der einen Seite mit den sog. ronde zunehmend eine Art Bürgerwehren zum Schutz der Sicherheit im eigenen Viertel organisiert wurde, mobilisierte die andere im Oktober 2008 erstmals zu einer landesweiten antirassistischen Demonstration in Rom. Bemerkenswert hieran war vor allem, dass die Demonstration zunächst allein von migrantischen Kollektiven, antirassistischen Stadtteilkomitees, humanitären Organisationen und kleinen Basisgewerkschaften getragen wurde. Die etablierten, politischen und gewerkschaftlichen Organisationen wurden wegen ihrer scheinheiligen Politik bewusst außen vor gelassen.
Es sollte jedoch noch einige Zeit und der Gelegenheit eines gemeinsamen Vorgehens auf europäischer Ebene bedürfen, um es bis zum ersten migrantischen Streik kommen zu lassen. Ein wichtiger Wendepunkt vor allem nach den Morden in Castel Volturno und den Auseinandersetzungen in Rosarno, bei denen afrikanische Saisonarbeiter ihrer Wut über ein Leben geprägt von halb versklavter Arbeit, untergebracht in leeren Fabrikhallen und in ständiger Bedrohung durch Strafexpeditionen der lokalen Mafia Luft machten.
Doch auch wenn sich die italienische Linke beeilte, direkt mit zu den Protesten zum 1. März aufzurufen, scheint dies nicht viel mehr als ein neuerliches Feigenblatt in der eigenen politischen Krise zu sein.
So wurde die Bewegung lediglich in einigen wenigen Städten wie Trento, Triest und Modena (von den insgesamt 60 Orten, in denen Proteste organisiert wurden) tatsächlich zum Streik. Die von unten an die Führung der großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL herangetragene Bitte, die Aktionen mit der Erklärung eines Generalstreiks offiziell zu legitimieren, wurden mit Verweis auf den eigenen Streik am 12. März – in dem es auch um migrantische Belange ginge – ignoriert. Lediglich lokal deckten einige Basisgewerkschaften den Streik.
Das hierzu vorgebrachte Argument, migrantische und einheimische Arbeiterinnen und Arbeiter sollten sich gemeinsam für ihre Belange einsetzen, mag an sich durchaus gerechtfertigt sein. Im Falle Italiens wirft es aber dennoch auch berechtigte Zweifel auf. Zwar leiden migrantische und italienische Arbeiter unter den selben wirtschaftlichen Bedingungen, sterben auf den selben Baustellen und in den selben Fabriken und sollten sich gerade jetzt nicht gegeneinander ausspielen lassen. Doch auf offener Straße umgebracht werden bislang allein die Migranten. Und gerade die Tatsache, dass zunehmend Teile der arbeitenden Bevölkerung Parteien wie die rassistische Lega Nord wählen, spielt den Ball den Gewerkschaften zu: Es sind nicht die Migranten, die auf die Gewerkschaften zugehen müssen. Sondern die Gewerkschaften, die den Migranten den Raum zur Verfügung stellen müssen, sich Gehör zu verschaffen.
Lars Röhm