Wer als Flüchtling den Landkreis bzw. das Bundesland, in dem er wohnt, ohne Erlaubnis verlässt, macht sich strafbar. Bei Zuwiderhandlung drohen Geld- und Gefängnisstrafen. Diese rassistische Praxis der Residenzpflicht wurde trotz jahrelanger Proteste schließlich im Jahr 2007 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt. Nun bröckelt die in Europa einzigartige Residenzpflicht doch noch. Diesmal allerdings nicht ausgehend von Straßburg, sondern von Bayern.
Seit Januar 2010 kämpfen über 250 Flüchtlinge in zehn bayerischen Lagern gegen die miserablen Lebensbedingungen in den Unterkünften. Sie verweigern die Annahme der Essenspakete, mit denen sie versorgt werden. Auch im Saarland gibt es mittlerweile Proteste. Sie werden dabei von Gruppen, wie etwa der Karawane München, dem Passauer Bündnis für Flüchtlingsrechte, der Bürgerinitiative Asyl Regensburg und dem Bayerischen Flüchtlingsrat, unterstützt, die zurzeit noch eine Notversorgung durch Geldspenden aufrecht halten. „Aufgrund des finanziellen Engpasses müssen wir jedoch die Unterstützung im Laufe der nächsten Wochen herunterfahren“, befürchtet ein Sprecher von der Karawane München.
Eine zentrale Forderung der Flüchtlinge ist es, die Sachleistungen durch Geld zu ersetzen, damit sie ihre Ernährung selbst bestimmen können. Um ihre Lage zu verbessern, fordern sie zudem eine Arbeitserlaubnis, freie Wohnungswahl und die Aufhebung der Residenzpflicht. Denn gemeinhin sorgt die schlechte Situation der Asylsuchenden dafür, dass sie einer „freiwilligen Rückführung“ schneller zustimmen. Diese Strategie der Zermürbung wird von Flüchtlingsorganisationen seit Jahren skandalisiert. „Die Flüchtlinge wollen auf ihre miserable Situation hinweisen. Das soll natürlich die Bevölkerung und die Presse erreichen – und natürlich, das im Moment wohl wichtigste, die Parteien“, erklärt der Karawane-Sprecher.
Wie öffentlichkeitswirksam der Boykott ist, hat sich jüngst gezeigt. Eine Neuregelung der bayrischen Residenzpflicht wurde von den Regierungsfraktionen der FDP und CSU bereits am 18. März beschlossen. Die Bewegungsfreiheit für Asylsuchende soll damit auf den gesamten Regierungsbezirk und die angrenzenden Landkreise benachbarter Regierungsbezirke ausgeweitet werden. Bisher durften sie sich nur in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt bewegen.
Der Bayerische Flüchtlingsrat begrüßt diese Neuregelung, fordert aber das Innenministerium auf, weiterzugehen. Denn an der Residenzpflicht für die geduldeten Flüchtlinge – der anderen Betroffenengruppe neben den Asylsuchenden – ändert sich vorerst nichts. Der Rat fordert deshalb, dass sie sich, wie im Aufenthaltsgesetz vorgesehen, im ganzen Bundesland frei bewegen dürfen. Auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist eine grundsätzliche Überprüfung der Residenzpflicht vereinbart worden. Die Innenminister der Länder zieren sich bislang allerdings noch, über eine entsprechende Lockerung zu entscheiden, und geben dabei, wie im Fall von Berlin/Brandenburg, vor, juristische Einwände zu befürchten.