Kultur

Peter Hein: „1789 hat der Welt besser getan als 1989“

Fehlfarben haben mit ihrem aktuellen Album „Glücksmaschinen“ einen erfrischend-punkigen und wütenden Soundtrack zur Zeit hinbekommen. Mit Peter Hein sprachen wir über seine Vorlieben und Befindlichkeiten

Gibt es heute in Düsseldorf noch eine Punk-Szene wie vor dreißig Jahren?

Weiß ich nicht. Ich gehörte zu dieser Szene ja nur bis 1978. Mittagspause, die Band, in der ich vor den Fehlfarben spielte, war ja schon kein Punk mehr…

Was hat Punk für dich damals bedeutet?

Ganz am Anfang einfach nur wie bei den meisten: geile Mucke mit schrägem Aussehen, Eltern ärgern, Leute blöd gucken lassen. Natürlich umfasste es bald noch mehr: sich Gedanken über die Zustände zu machen. Nicht, dass man zum Denker geworden wäre. Es ging darum, Missstände zu erkennen und anzuprangern oder sich zumindest über sie lustig zu machen sowie Grenzen auszureizen. Ganz entscheidend war die Musik, nämlich die richtige! In dieser Hinsicht war ich diktatorisch bis größenwahnsinnig…

Welches war denn die richtige Musik?

Das ging 1976/77 von den Damned über die Clash bis zu den Jam. Halt das richtige klassische Drei-Akkord-Geschrammel. Das war genial. Nach dieser Phase, die ja nur knapp ein Jahr dauerte, kamen elektronische Bands wie Cabaret Voltaire oder Human League. Die waren irgendwie immer noch Punk, aber absolut kein Punk mehr, auch wenn sie immer noch so dastanden. Das war eher Kunst aus einer Zeit, die man nicht kannte. Dann in Lederjacke Jazz-oder Chanson-Platten kaufen, z.B. von Jacques Brel. Oder die Sachen vom Modern Jazz Quartett. Das konnte man auch keinem vorspielen, aber das war klasse!

„Glücksmaschinen“ als Soundtrack zur aktuellen, wirtschaftlich-gesellschaftlichen Situation, die noch verschärfter ist als vor zwanzig, dreißig Jahren….

Ja, unsere Platten waren und sind immer als Soundtrack zur Zeit gedacht. Das wird nur nicht so wahrgenommen. Nicht nur der Klang ist wichtig, sondern auch immer die Wörter…

In euren neuen Songs ist eine unheimliche Wut, die du jetzt im Gespräch so gar nicht ‚rüber bringst, nicht von der Stimme her, aber vom Ausdruck, da ist ein wütendes Singen…

Ja, bei den Sachen, bei denen es sich anbietet. Vom Gewollten ist es, da muss ich mal ganz weit ausholen, seit jeher so gewesen. Auch als ich noch in Bands spielte, mit denen ich nichts aufgenommen habe.

Eine normale Platte von uns, hätten wir sie selbst produziert, enthielte sicherlich noch drei weitere, halt ruhigere Stücke, auf denen ich nicht so schreien würde. Aber unser Produzent Moses Schneider war für eine Verknappung. Er hat gesagt, das reiche, wir machen jetzt nicht weiter. Man schreit ja nicht den ganzen Tag ‚rum, oder!?

Diese Frage bezog sich ja auf die Intensität des Wollens und Sagens, vor dem Hintergrund der von den Situationisten aufgeworfenen Frage, wie man ohne Revolution über die Runden kommt. Dieses Bedürfnis, einfach aufzuschreien….

Es ist nicht jetzt mehr gewollt als sonst…. Von der Intention gewollt war das bei den Fehlfarben nicht immer. Bei Family Five haben wir das gemacht, alle immer alles lauter, aber gleichzeitig. So ist klassischer Punk-Rock. Das bringt‘s nicht.

Aber dieses Aufschreien, dieses drauf los Meckern, einfach, ja, Scheiße Scheiße nennen, mehr ist es ja nicht wirklich. Ich biete ja nicht groß etwas an. Ich sag ja nur, da ist die Kacke am Dampfen. Das ist ja schlimm genug, dass es nicht mehr viele Bands machen. Mich erstaunt es, dass man mit so wenig so weit kommt. Das war beim Punk-Rock schon immer so. Wir haben nur blöd ausgesehen, und sind fast verprügelt worden…..

Es ist erschreckend, deshalb mache ich das, sonst könnte ich nur Lyrik schreiben. Wir haben natürlich auf Platten in der Vergangenheit auch besonnen-besinnliche Stücke drauf, da sind Beziehungskisten-Problemstücke drauf, wo auch nicht geschrien wird, wo auch mal halbwegs gejammert wird …. Das hat sich jetzt einfach nicht ergeben…

Aber lyrisch sind deine Songs doch, wütend-lyrisch!

Ja, ja….. Das lyrische Protestlied und das politische Liebeslied, das sind meine beiden Grundthemen. Mehr kann ich nicht.

Immerhin, das kannst du gut!

Eben. Eben das. Deshalb habe ich mich nicht um das dritte Lied gekümmert. Beim dritten, dem lustigen Sportlied, bin ich gescheitert. Auch die lustigen Sportlieder sind bei mir immer Protestsportlieder, und die gehen schon. Man kann sich als Fußballfan durchaus lustig machen und den Feind anprangern.

Kommen wir noch mal zur CD „Knietief im Dispo“. Da ist ja der Song „Die Internationale“ drauf. Das ist doch ein politisches Statement, mal zu überlegen, wie man gegen kapitalistische Zustände revoltieren kann…

Ja, und vor allem, dass im überhöhten Gehalt bestimmter Herrschaften ein gewisses Risiko abgegolten wird. Da ist natürlich immer eine leichte Satire dabei. 1789 war einfach besser als 1989 und hat der Welt besser getan. Das kann ich jetzt nicht theoretisch groß untergraben. So sehe ich das.

Wahrscheinlich nicht nur du?!

Aber wahrscheinlich nicht allzu viele.

Das ist ja das Dilemma.

Das ist ja eh das Dilemma.

Jorinde Reznikoff / Klaus-Peter Flügel

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Die Redaktion der Direkten Aktion.

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