Der Kampf illegalisierter Migrantinnen und Migranten für reguläre Aufenthaltsgenehmigungen hat gerade in einem Land mit einer kolonialen Vergangenheit wie Frankreich lange Traditionen. Bereits 1980 gab es erstmalige Streiks in der Pariser Textilindustrie. Damals mit Unterstützung der Gewerkschaft CFDT. Größere Bedeutung bekamen die Kämpfe allerdings erst ab 1996 mit der Verschärfung der Aufenthaltsgesetze und dem Entstehen der über Frankreichs Grenzen hinaus bekannt gewordenen Bewegung der „sans-papiers“. Diese hat die jetzige Streikbewegung erst ermöglicht. Bereits damals wurden wichtige Erfahrungen durch konkrete Aktionen gewonnen sowie die für heute so wesentliche Vernetzungsarbeit geleistet werden. Waren die Migrantinnen und Migranten zuvor lediglich „Illegale“, hat sich in dieser Zeit ein Bewusstsein und eine Identifikation als „sans-papiers“ herausgebildet. Entscheidend war hierbei die Tatsache, dass nicht nur in den migrantischen Kollektiven, sondern auch innerhalb der französischen Gesellschaft ein Bewusstsein dafür entstand, dass es sich bei den MigrantInnen um einen integralen, arbeitenden und Steuern zahlenden Teil der Gesellschaft handelt, der allein auf Basis bestimmter Gesetze seiner Rechte beraubt war.
Während die „sans-papiers“ 2005 vorwiegend um ihre Anerkennung als Eltern französischer Kinder und damit um ihre Wahrnehmung als Teil der Gesellschaft kämpften, verstehen sie sich seit 2007 zunehmend auch als Arbeiterinnen und Arbeiter. Auch wenn ihre Arbeitsverhältnisse in der Regel in prekären Bereichen wie der Gastronomie oder dem Reinigungssektor angesiedelt sind, bedeutet das nicht, dass es sich um Schwarzarbeit handelt: Sie haben Arbeitsverträge, zahlen Beiträge zur Sozial- und Rentenversicherung sowie Steuern. Der Bezug von Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder gar Rente bleibt ihnen jedoch verwehrt. Das einzige Recht, in dessen Genuss sie allerdings kamen, war – als Arbeiterinnen und Arbeiter – das französische Streikrecht. Wo vormals besetzte Kirchen geräumt werden konnten, können die bestreikten Arbeitsplätze gehalten werden.
Die Wahl des Streiks als Mittel – und zwar nicht nur für die unmittelbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sondern gleichzeitig für die Legalisierung ihres Aufenthaltes – ist somit zum Bindeglied zwischen MigrantInnen und Gewerkschaften geworden. Auch wenn diese Verbindung nicht immer reibungslos verlaufen ist (siehe Direkte Aktion Nr. 197), führte sie nicht nur zum Schutz der migrantischen Streiks, sondern sollte auch positive Effekte für die Gewerkschaftsbewegung selbst haben. Während die migrantischen Arbeiterinnen und Arbeiter erstmals seit 1996 die Möglichkeit hatten, sich öffentlich Gehör und Respekt zu verschaffen, konnten sich die Gewerkschaften neuen Themen wie Migration und prekären Arbeitsverhältnissen – also Bereichen, in denen sie vorher wenig vertreten waren, – öffnen. Auch hat die Bewegung die teils verkrusteten Strukturen der Gewerkschaften aufgebrochen, zur Dezentralisierung des Apparates sowie zum Bruch mit dem oftmals vorherrschenden Branchenegoismus geführt und das Augenmerk von einem ehemals rein anti-rassistischen hin zu einem eher integrativen Klassenstandpunkt geführt.
Die Bewegung bringt einiges an wichtigen Neuerungen mit. Jedoch bleibt die Lage der französischen Migrantinnen und Migranten weit davon entfernt, die Defensive verlassen zu können, allein schon aufgrund neuerlicher gesetzlicher Verschärfungen, die in nächster Zeit verabschiedet werden sollen. Zwar hat sich der Streik als notwendiges und wichtiges Mittel in der Auseinandersetzung um die „Legalisierung“ migrantischer Arbeiterinnen und Arbeiter gezeigt, aber der Kampf der Migrantinnen und Migranten in Frankreich wird – so sich die Streikbewegung in Europa nicht ausweitet – angesichts der gemeinsamen europäischen Migrationspolitik ein Kampf Davids gegen Goliath bleiben.