Kultur

30 Jahre Asphaltkultur!

Mit neuem Schwung geht es wieder los: Die „Rotzfreche Asphaltkultur“ erobert Straßen und Herzen

„Traue keinem über 30!“ So lautet ein Motto, welches dem amerikanischen Free-Speech-Aktivisten Jack Weinberg zugeordnet wird und das es als Alltagsfloskel und Binsenweisheit in die meisten Jugendbewegungen der Welt geschafft hat. Dieses Motto stand auch symbolisch für das euphemistisch genannte „Erwachsenwerden“ der Grünen, als der Parteivorstand zum Jubiläum eine Lederjacke mit eben diesem Slogan darauf geschenkt bekam. Erwachsenwerden steht hier für eine Abkehr von den alten Idealen, wie z.B. dem Antimilitarismus oder sozialer Gerechtigkeit. Selbst Koalitionen mit den einstigen Lieblingskontrahenten der FDP und der CDU sind kein Tabu mehr und was einst aus den neuen sozialen Bewegungen, der Anti-AKW-Bewegung etc. entsprang, ist heute in der politischen Mitte angekommen. Traue keinem über 30 – a self-fulfilling prophecy!

Es geht aber auch anders!

Im gleichen zeitlichen und politischen Kontext entstand jedoch auch ein loses Bündnis politischer Straßen- und KleinkünstlerInnen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Straße und den öffentlichen Raum zur politischen Aufklärung zu nutzen. Was als Idee auf einem Bundeskongress der Bürgerinitiativen gegen Atomkraft 1978 begann, entwickelte sich fortlaufend zu einem immer größer werdenden Bündnis – die Rotzfreche Asphaltkultur (RAK) war geboren.

Die RAK sah sich von Beginn an als unkommerziell und in Opposition zur Massenkonsumkultur und dem Mainstream. Davon lebt sie bis heute. Hauptaugenmerk war schon immer der kontinuierliche Austausch von Stücken, Erfahrungen und Aktionsformen, denn die meisten KünstlerInnen haben ihre Kunst schon immer mit politischen Kämpfen verknüpft. Bei vielen war eine gewisse Praxisnähe zu dem, was sie sangen unverkennbar. So gab es in der Vergangenheit immer mal mehr und mal weniger regelmäßige Treffen, auf denen dieser Austausch in Form von Workshops, Diskussionen und gemeinsamen politischen Aktionen gepflegt wurde. Im Zuge solcher RAK-Treffen kam es dann oft zu gemeinsamen politischen Aktionen vor den Toren von AKWs, in Einkaufszentren, vor Kasernen etc. Mit diesen Aktionen wurden meistens regionale politische Kämpfe in der Veranstaltungsstadt unterstützt oder weitergeführt.

Die Inhalte der einzelnen Gruppen bewegten sich schon immer stark zwischen den großen politischen Themen, wie Krieg und Frieden, Rassismus, Umwelt, Ausgrenzung, Unterdrückung, etc., und den kleinen Alltagsgeschichten, wie Vereinzelung und Anonymität, Konsumverhalten in der Überflussgesellschaft, Arbeit, Utopien und Träume, Liebe etc. Die meisten Lieder hatten keinen festen Stil – aus Rock, Pop, Folk, Antifolk, Ballade und sogar Volksmusik war alles vertreten. Gesungen und gespielt wurde jedoch fast ausschließlich auf Deutsch, denn ein großes Anliegen war es, die Inhalte simpel und einfach zutransportieren. Was nützt ein Bob Dylan, der von Frieden singt, ein Donovan, der für gerechtere Arbeitsbedingungen singt, wenn deren Lieder in deutschen Fußgängerzonen kaum als politisch verstanden werden, da keiner so schnell den Text übersetzt?

Wichtig für das Selbstverständnis der RAKis war von jeher die Nähe und Barrierefreiheit zum Publikum. Auf der Straße gibt es keine erhöhte Bühne und kein festes Publikum, jeder kann zuhören wie es ihr oder ihm beliebt. Ein harter, aber auch dankbarer Job! Zudem wird ein Publikum erreicht, welches kaum auf politische Konzerte, Diskussionen oder Veranstaltungen gehen würde. Schwellenängste können auf behutsame Weise abgebaut werden.

-RAK Heute-

2009 kam es nach Funkstille innerhalb der RAK zu einem Revival-Abend in Braunschweig, auf dem sich mehrere Generationen von Kulturschaffenden aus der Rotzfrechen Asphaltkultur trafen – vor allem sich selbst zu feiern. Es war ein schöner, vielfältiger und bunter Abend, der jedoch einen politischen Anspruch vermissen ließ. Kein Wunder, denn viele Alt-RAKis haben sich aus dem politischem Aktivismus verabschiedet. Trotzdem gab es dort auch eine nicht gerade geringe Anzahl an jüngeren, derzeit aktiven Gruppen. So zeichnete sich schon dort ab, dass man sich bald wieder treffen wollte. Ein solches Treffen, so wurde sich gewünscht, sollte aber wieder mehr zum gegenseitigen Austausch beitragen, bzw. mehr sein als ein bloßes Happening. Und so wuchs die Idee von einem neuen RAK-Treffen 2010 in Kiel.

Heute gehören Gruppen und MusikerInnen wie Revolte Springen, Früchte des Zorns, Bambule, Teds’n Grog, Schall und Rauch, Yok, Geigerzähler u.v.m. zum aktiven RAK-Umfeld. Genau lässt es sich nicht sagen, wie viele Gruppen es derzeit gibt, da vieles auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl beruht.

-RAK Treffen Kiel-

In der Zeit zwischen dem 27.und dem 30. Mai reisten an die 40 MusikerInnen und KleinkünstlerInnen aus ganz Deutschland in die Fördestadt, um sich gemeinsam auszutauschen und zu vernetzen. Die Stimmung im viel zu kleinen Vorbereitungskreis war bis zum Eintreffen der ersten KünstlerInnen am Donnerstag schon ein bisschen angespannt: „Es war einfach schwer abzuschätzen, was da genau auf uns zukommen würde“, beschreiben die KielerInnen ihre leichte Nervosität vor dem Treffen. „Zum Teil hing ja vieles bis fast alles an nur einer Person“ – also die Einladungen, die Ankündigungen per Plakat, die Finanzierung, die Unterbringung der Künstler und Künstlerinnen, die Verpflegung und vieles mehr. „Wir haben uns dann immer, bevor das Gefühl ‚Das Schaffen wir nie‘ aufkam, gesagt: Hey, das ist ein selbst organisiertes DIY-Festival, das von den Teilnehmenden selbst gestaltet wird. Was wir in der Vorbereitung nicht schaffen, das machen die MusikerInnen und KünstlerInnen dann schon selber. Schließlich soll ja gerade das dieses Treffen ausmachen.“ Und genau so kam es dann auch.

Noch am Donnerstagabend glich das RAK-Treffen eher einem musikalisch-familiären Zusammenkommen guter Freunde als einem bundesweiten Treffen und Festival. In den Räumen der „Alten Meierei“ trudelten so um die 15 Leute, unter ihnen z.B. Revolte Springen oder Konny aus Berlin, ein und planten und musizierten bei Vokü und ein paar kühlen Bieren zusammen bis spät in die Nacht. So kamen die Unterstützenden aus Kiel in den Genuss eines kleinen „hoch exklusiven“ Live-Konzerts, was schon mal für vieles entschädigte. Doch richtig losgehen sollte es dann am Freitag.

Die RAK in und für Kiel aktiv gegen Nazi-Gewalt und das Schweigen der Öffentlichkeit

Für diesen Tag stand die lokale und politische Komponente des Treffens explizit im Vordergrund. Kiel ist – wie seit der lebensbedrohlichen Attacke auf einen Tänzer im letzten Jahr und den scharfen Schüssen auf die Alte Meierei Anfang dieses Jahres in linken Kreisen überregional recht gut bekannt ist – seit geraumer Zeit trauriger Schauplatz kontinuierlicher Nazi-Gewalt. Das RAK-Treffen wollte hier politisch intervenieren. Schon die Veranstaltungsorte waren von dem Vorbereitungskreis im Bezug auf die anhaltende Nazi-Problematik gewählt worden: Neben dem allgemeinen Anlaufpunkt im autonomen Kultur- und Wohnprojekt Alte Meierei wurde das offene linke Kommunikationszentrum und ebenfalls Wohnprojekt „Hansa 48“ für den Gala-Abend am Samstag gewählt. Dem Kinderladen (!) der Hansa 48 waren in den letzten drei Jahren wiederholt von Nazis die Scheiben eingeworfen worden. Um die Fülle und Dauer der Gewalt von rechts, die sich in erster Linie gegen die linke Szene in Kiel richtet, deutlich zu machen, beschäftigte das RAK-Treffen am Freitag vor allem die öffentliche Aufarbeitung und Analyse der Geschehnisse. Ausgestattet mit der Chronik der Attacken und einem allgemeinen Wissen um die Verhältnisse in Kiel strömte am späten Vormittag die mittlerweile schon etwas größere Gruppe der RAKis aus, um in der Kieler Innenstadt an den Straßen und Plätzen mit Musik, Information und einem deutlichen Zeichen gegen rechts und des „Sich-nicht-einschüchtern-lassens“ die RAK-Tage sozusagen „offiziell“ zu eröffnen. Außerdem luden die KünstlerInnen zur am Abend in der Alten Meierei stattfindenden Veranstaltung ein. Die „Autonome Antifa Koordination Kiel“ war vom RAK-Vorbereitungskreis dafür gewonnen worden, eine tiefergehende Darstellung und Analyse der Naziszene in und um Kiel zu präsentieren. An diesem Abend strömten dann auch viele Leute in die Halle der Alten Meierei, während der Raum nebenan beim Plenum der nun fast kompletten RAK aus allen Nähten platzte. Der Ansatz der Aufklärung, den die RAK hinsichtlich der Nazi-Thematik gewählt hatte, war, wie auch von Antifa-Seite bekräftigt wurde, aufgrund des Totschweigens und Verharmlosens der rechten Gewalt durch die Monopolpresse der Kieler Nachrichten und der Politik im Rathaus, ein guter und richtiger Akt der Solidarität.

Der Gala Abend: Groß, Bunt, Wild

„Im Nachhinein“, so der noch immer sichtlich beeindruckte Vorbereitungskreis, „sind wir immer noch sprachlos. Was an diesem Samstag in der Hansa 48 los war, ist einfach unfassbar“. Angeblich sollen über den Abend über 400 bis sogar 500 Menschen in die proppevollen Räumlichkeiten geströmt sein. „Die armen MitarbeiterInnen der Hansa waren auch total überrascht und zum Teil etwas überfordert mit dem Ansturm. Damit hat aber auch kaum jemand gerechnet“. Das in einem Plenum nur kurz vor Beginn des Gala-Abends abgesteckte Programm reichte bis tief in die Nacht und bot neben den bekannteren KünstlerInnen um ‚Früchte des Zorns‘ oder der deutsch/sorbisch singenden Kombo ‚Berlinska Dróha‘ auch vielen Unbekannteren eine große Bühne. Die anschließende Abschlussparty musste dann irgendwann mit Rücksicht auf die feierabenddurstigen MitarbeiterInnen des Hansa-Kollektivs schließlich beendet werden. Zufrieden und geschafft verteilten sich die RAKis schließlich auf die WGs und Projekte, bei denen sie für die Tage Unterschlupf gefunden hatten.

Tschüss und bis zum nächsten Jahr!

Am letzten Tag fanden sich übermüdete und zum Teil auch etwas verkaterte RAKis zum Abschlussplenum in der Alten Meierei ein. Neben einer Rückschau über die Tage wurde die aktuelle Situation der RAK und natürlich das „Wie weiter“ besprochen. Mogli von ‚Früchte des Zorns‘ brachte es auf den Punkt: „Ich hab’ so das Gefühl, dass diese neuen RAK-Treffen wie so ein kleines Kind sind, um das wir uns kümmern müssen, damit es heranwächst. Lasst uns dranbleiben und Strukturen schaffen, damit es weitergeht!“ Genau das ist, wie allen TeilnehmerInnen anzusehen war,ein großer gemeinsamer Wunsch.

Lukas Johannsen und Marcus Munzlinger

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Lukas Johannsen und Marcus Munzlinger

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