Die Landarbeitergewerkschaft SOC organisiert Widerstand gegen die Ausbeutung von Migranten
Rund um den Globus zählen MigrantInnen wohl zu denjenigen Beschäftigten, die dem stärksten Ausbeutungsdruck ausgesetzt sind, und das nicht erst seit dem Beginn der Krise vor mehr als zwei Jahren. In europäischen Gefilden ist das in den Sektoren der Pflege, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft seit Jahrzehnten zu beobachten. Charakteristisch für die Arbeitsverhältnisse in diesen Branchen ist die relative rechtliche Schutzlosigkeit der Lohnabhängigen und die daraus resultierende Abhängigkeit vom Gutdünken der ArbeitgeberInnen. Dabei wird auch aus der Unsicherheit und Unkenntnis der mitunter undokumentiert Arbeitenden Kapital geschlagen. Sozialabgaben oder gleich der ganze Lohn werden einbehalten, selbst minimale Sicherheitsstandards am Arbeitsplatz werden ignoriert. Dadurch wird migrantische Arbeit vergleichsweise kostengünstig. Staaten richten ihre steuerlichen oder migrationspolitischen Maßnahmen darauf aus und spekulieren geschickt mit der Ware illegaler migrantischer Arbeitskraft, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Als positives Beispiel für migrantische Selbstorganisation gegen diese Politik kann die Gewerkschaft SOC (span.: Gewerkschaft der LandarbeiterInnen) dienen, die im südspanischen Andalusien tätig ist und vor allem den ArbeiterInnen im Gemüseanbau zur Seite steht. Die Beratungstätigkeit der SOC ist umfassend und betrifft insbesondere Migrations- und Arbeitsrecht. Gemeinsam mit den Geprellten werden dabei mitunter hohe Summen erstritten – Zehntausende von Euro für eine einzelne Person sind keine Seltenheit.
Entscheidend ist dabei, dass die GewerkschafterInnen der SOC mit ihrer permanenten Präsenz im Feld, oder besser gesagt in den Gewächshäusern und den „Chabola-Siedlungen“ mutig in Arbeitskonflikte intervenierten und sich niemals in ihre Büros zurückziehen. Somit wurde ein gewerkschaftlicher Ansatz gefunden, der wirksam und unerlässlich ist, um die vollkommen marginalisierten ArbeiterInnen in der Region zu erreichen.
Die Tatsache, dass die hauptamtlichen SOC-GewerkschafterInnen meist selbst einen Migrationshintergrund haben – sie kommen beispielsweise aus Marokko, dem Senegal oder Argentinien – ist eine der Gründe des Erfolgs der Gewerkschaft: Weil sie die Sprachen der ArbeiterInnen sprechen und zudem selbst, oft über Jahre, in den Gewächshäusern geschuftet haben. Dieser Umstand ist entscheidend, weil die AktivistInnen der SOC nicht nur die Erfahrung gemacht haben, mittels ihrer Arbeitskraft zum Spekulationsobjekt geworden zu sein. Sie wissen auch, was es heißt, dass migrantische ArbeiterInnen unterschiedlicher Herkunft am Arbeitsmarkt gezielt gegeneinander ausgespielt werden.
Spätestens seit dem Jahr 2002 hatten die ArbeitgeberInnen der Region auf die Tatsache, dass sich die vor allem aus Ländern des Maghreb stammenden Ernte-ArbeiterInnen organisierten, mit Anwerbekampagnen in osteuropäischen Ländern wie Polen oder Rumänien reagiert. Seither wurde das System der Rekrutierung immer perfider: Mittlerweile werden über sogenannte „contratos en origen“, also „Verträge im Herkunftsland“ ArbeiterInnen aus dem Senegal angeworben. Durch die Krise verstärkte sich der Konkurrenzdruck, spätestens seit der Saison 2008 drängen viele spanische ArbeiterInnen aus dem darnieder liegenden Bausektor zurück in die Landwirtschaft. In derselben Saison wurden erstmalig 12.000 marokkanische Arbeiterinnen für die Erdbeerernte in Huelva – westlich von Sevilla – angeworben. Die Kriterien für die Anwerbung spotteten jeglicher Beschreibung: Die Antragstellerinnen mussten zwischen 18 und 40 Jahre alt, verheiratet und Mutter von Kindern sein; letzteres, um zu garantieren, dass die Frauen nach dem Ernteeinsatz zurück nach Marokko gehen.
Vorrangiges Ziel der SOC ist, es die Spaltung der Arbeiterklasse in Almería entlang von „ethnischen“ und sexistischen Kriterien zu verhindern. Dass sie sich dabei weit aus dem Fenster lehnt, ist den lokalen politischen Verhältnissen geschuldet. Über der Region liegt in Bezug auf die miserable Situation von MigrantInnen nach wie vor ein „Mantel des Schweigens“ und die großen Gewerkschaften, wie die CC.OO und die UGT, stehen in vielen Fragen der Migrationspolitik oft gegen die SOC.
Öffentlichkeitsarbeit sowie die Organisierung von Kundgebungen und Demonstrationen soll die Anwesenheit der migrantischen ArbeiterInnen sichtbar machen. Dabei wird auch auf Unterstützung aus dem europäischen Ausland gesetzt. Über den Zeitraum von mittlerweile zehn Jahren wurde in Ländern, die zu den Hauptabnehmern von Gemüse aus Almería zählen, politischer Druck aufgebaut, wenn es zu Repression oder rassistischen Angriffen gegen Mitglieder der SOC kam. Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass Deutschland schon seit langem größter Importeur von spanischem Gemüse ist. Im Jahr 2008 wurden laut Eurostat unter anderem 201.000 Tonnen spanische Tomaten in die Bundesrepublik geliefert. An der Kampagne beteiligten sich hauptsächlich Soli-Gruppen aus der Schweiz und Frankreich, aber auch aus Deutschland und Österreich. Kritik am herrschenden Landwirtschafts-Modell sowie Solidarität mit der SOC wurden vor dem Hintergrund formuliert, dass es billiges Wintergemüse nach wie vor nur um den Preis der konsequenten Missachtung von Arbeiterrechten in Almería und anderen Intensivanbau-Regionen gibt. Die Rechte der Beschäftigten sind aber auch an jeder einzelnen Station der oft zitierten Wertschöpfungskette unter Druck: in den Abpackbetrieben, in den Logistik-Unternehmen, beim LKW-Transport und schließlich bei Lidl an der Kasse.
Damit steht fest, dass Ausbeutung nicht nur an der Produktionsstätte selbst bekämpft werden sollte, sondern auch an den Orten, an denen die Produkte abgesetzt werden. Ein Grund mehr, Arbeiterrechte transnational zu verteidigen.
Alexander Vilotic
Mehr Infos in der Broschüre „Peripherie & Plastikmeer. Globale Landwirtschaft, Migration, Widerstand“ (Hg. Europäisches BürgerInnforum und NoLager Bremen, 2008. 114 Seiten), im Internet: no-racism.net/article/2548/
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