Seit die Redaktion der Kulturseiten vor etwa zwei Jahren wechselte, befindet sich dieses DA-Ressort in ständiger Selbstfindung. Was ist der Gegenstand der redaktionellen Arbeit – das „Promoten“ von Veröffentlichungen der FAU und ihrem Umfeld?
Oder allgemein libertäre Kunst und Kultur – aber was wäre dann darunter zu verstehen? Hieße dies, die Redaktion müsste sich auf die Suche nach der Direkten Aktion, dem subversiven und revolutionären Aspekt in der Kultur begeben? Eine Diskussion zwischen DA-Kulturredakteur Marcus und den (im wahrsten Sinne des Wortes) freien Journalisten Klaus-Peter und Jorinde, deren regelmäßige Interviewbeiträge ein fester Bestandteil der DA-Kulturseiten geworden sind.
Es ist Samstagnachmittag, und die Sonne kämpft ihren üblichen Kampf mit den Hamburger Wolken, die durch eine steife Briese über die Hansestadt getrieben werden. Wir treffen uns vor dem immer noch nagelneu wirkenden Café des „Pudelclubs“auf St. Pauli, das von Möwen und Touristen umschwirrt wird. Klaus-Peter hat ein kleines Büchlein dabei, aus dem er dann auch zugleich das „Proletkunst-Manifest“ nach Kurt Schwitters zitiert: „Eine Kunst, welche sich auf eine bestimmte Klasse von Menschen bezieht, gibt es nicht, und wenn sie bestehen würde, wäre sie für das Leben gar nicht wichtig.“ [Kuwitter, Edition Nautilus, S. 67 ff]
Marcus: Wenn das stimmt und es folglich keine proletarische Kunst gibt, stellt sich die Frage, worauf wir auf den DA-Kulturseiten unser Auge noch werfen sollen. Schließlich ist die DA ja schon auch irgendwie eine Zeitung eben für eine bestimmte Klasse.
Klaus-Peter: Ich finde es wichtig, dass sich die Zeitung öffnet, dass sie inhaltliche Impulse setzt, gerade in der Diskussion mit Interessierten oder mit KünstlerInnen, Kulturschaffenden und kulturell interessierten Menschen. Der Rückzug und der Bezug auf die eigene Kulturszenerie führen ja auch nur dazu, dass man dann sehr schnell im eigenen Saft schwimmt, sich selbst bestätigt, aber dass man keine gesellschaftliche Relevanz hat bzw. bekommt.
Jorinde: Damit verbunden scheint mir die spannende Frage, ob und wie man überhaupt libertäre und/oder anarchistisch orientierte Kunst und Kultur definieren kann und möchte, wie eng oder weit. Bezieht sich das „Libertäre“ und „Anarchistische“ wesentlich auf den Inhalt oder hat es auch und gerade etwas mit Form, Verortung und Präsentation zu tun? So wie es einerseits Politik thematisierende Kunst und andererseits politisch agierende Kunst gibt, manchmal trifft beides zu, aber eben nicht notwendig.
Die Königsfrage
Klaus-Peter: Marcus, wen möchtest du, möchte die Redaktion ansprechen und erreichen? Diejenigen, die sich bereits auf libertäre bzw. anarcho-syndikalistische Positionen beziehen, also FAU-Mitglieder und SympathisantInnen, oder auch Leserinnen und Leser, die sich überhaupt erst einmal informieren wollen?
Marcus: Das ist die Königsfrage. Der Kurs ist noch nicht so gefunden, der Kulturteil soll eigentlich kein reiner „Werbeteil“ für FAU-Veröffentlichungen und die ihrer Mitglieder sein, daher ist es mir auch ein Anliegen, kein zu großes Übergewicht von Buchvorstellungen in der Zeitung zu haben – das ist mir am Anfang auch von anderen Redaktionen ans Herz gelegt worden. Dabei gilt es aber zu berücksichtigen, dass die Leserschaft nun mal zum größten Teil aus dem FAU-Umfeld kommt, und sich natürlich über FAU-Veröffentlichungen informieren will bzw. „ihre“ Zeitung, die die DA ja nun mal ist, auch für die Verbreitung ihrer Arbeiten nutzen will. Das gilt halt nicht bloß für Arbeitskämpfe, sondern ebenfalls für die vielen Bücher und Broschüren, die aus dem Spektrum der FAU heraus veröffentlicht werden. Die richtige Balance da zu finden ist manchmal ein Drahtseilakt.
Jorinde: Soll das so bleiben? Wäre es nicht eine Chance, den Kulturteil so überraschend und brennend-attraktiv zu gestalten, dass Leser sich die DA wegen des Kulturteils holen?
Marcus: Es gibt immer mehr Anfragen von anderen libertären Kulturprojekten nach Partnerschaften mit der DA, wie etwa der libertären Buchmesse in der Schweiz. Es gibt über so etwas die Möglichkeit, den Fokus zu erweitern. Die DA-Kultur ist jedenfalls dabei, die Trennung zwischen anarcho-syndikalistischen und anarchistischen Szenerien ähnlich wie bei der Graswurzelrevolution zu überwinden, d.h. sie ist inhaltlich nicht so begrenzt. Gerade eure Interviews mit bekannteren KünstlerInnen führen ja möglicherweise dazu, dass sich deren Fans die Zeitung kaufen. Daher sollte die Kulturredaktion einen breiteren Blickwinkel haben. Außerdem gibt es ja schon länger das Bestreben, Veranstaltungen unter dem Label „Da Kultur“ durchzuführen. Selber Kultur machen – das wäre sicherlich ein gutes Mittel, um anarcho-syndikalistische Vorstellungen zu vermitteln und um Berührungsängste abzubauen.
Jorinde: Wichtig wäre dabei aber, aus der stereotypischen Anarcho-Ästhetik herauszukommen. Das Bild des„Schwarzen Blocks“ ist ja für viele Menschen entweder abschreckend oder im Gegenteil geradezu beschwichtigend, weil ihr Klischee bestätigt wird. Zu Klischees und Kitsch verkommene Protestformen schläfern ein, statt Neugierde zu wecken und wachzurütteln. Mit Protestformen meine ich alle erdenklichen, noch unerdachten oder neu zu bedenkenden Ausdrucksmöglichkeiten, von optisch-visuellen bis zu akustisch-auditiven und situationistischen. Hier muss noch viel getan werden, um das Potenzial einer quicklebendigen „Ästhetik des Widerstands“ nutzbar zu machen. Entscheidend dabei ist, dass Kunst und Kultur keine Alibifunktion übernehmen, als Eye- oder Ear-Catcher für die „eigentlichen“ politischen Belange. Scharf gesagt: Politik ist künstlerisch-kulturell, Politik ist kunstvoll – oder sie ist nicht.
Klaus-Peter: Ich sehe ein, dass es wichtig ist, Räume zu haben, wo man unter und für sich ist. Wichtiger finde ich aber, raus aus den autonomen Zentren hinein in die Gesellschaft zu gehen, so wie es die Dadaisten, Surrealisten, Situationisten und der positive/konstruktive Teil der Punk-Bewegung gemacht haben. Denn was nützt es, wenn man nur unter sich bleibt als verschwindend kleine Minderheit? Gerade Bands wie z.B. die Sex Pistols, die sich auf das Erbe des Situationismus bezogen, haben ja gezeigt, wie man in die Gesellschaft hineinwirken kann. John Lydon, den wir live bei einer Pressekonferenz im französischen Bobital erleben konnten, nutzt kongenial die medialen Möglichkeiten, seine Anarchy-Message zu kommunizieren. Die Tatsache, dass der englische Guardian über die Beerdigung von Malcolm McLaren titelte: „Anarchy rules as Malcolm McLaren funeral draws punk glitterati”, spricht für sich.
Marcus: Wenn es um das Hineintragen von Kultur in die Gesellschaft geht, muss ich sagen, dass ich es schade finde, dass es kaum libertäre Kulturzusammenhänge gibt. Beim DGB, der SPD und der Linkspartei ist kulturelle Arbeit ja hoch professionalisiert und wird stark bezuschusst, oft auch, um sie in eine finanzielle Abhängigkeit zu drängen …
Klaus-Peter: Wir sind ja Mitglieder der Erich-Mühsam-Gesellschaft. Ausdrücklich möchte ich gerade Libertäre ermuntern, sich hier stärker mit einzubringen. Ich frage auch, warum die FAU und die DA sich nicht sichtbar wie die Jungle World und die Zeitschrift Opak als Medienpartner an den von Thomas Ebermann organisierten Erich-Mühsam-Abenden beteiligen? Dies als Beispiel für Partizipationspotenziale, wo sich die DA inhaltlich gut positionieren und möglicherweise neue LeserInnen ansprechen könnte.
Marcus: Um noch mal auf das Thema „proletarische Kultur“ zu sprechen zu kommen: Meint ihr nicht, dass es so etwas nicht vielleicht doch als Gegenstück zur Hochkultur der Eliten, die dieses Feld ja durch hohe Preise und Verhaltenskodexe für sich erobert haben, gibt?
Gegen Illusionen und Klischees
Jorinde: Also zuerst: Ich glaube nicht daran, dass Kunst, zum Propaganda-Mittel reduziert, irgendetwas erreichen kann. Wahrhaft revolutionäre Kunst bricht meiner Meinung nach eingefahrene Strukturen auf, und da wäre der Elitegeist in der sogenannten Hochkultur die erste Adresse. Mozart oder Beethoven waren keine Freunde der Eliten und wollten nicht explizit „Hochkultur“ als Kultur der Besserverdienenden produzieren; sie waren vielmehr aufmüpfige Querköpfe. Wenn eine bestimmte Schicht, vor allem die wirtschaftliche „Elite“, eine bestimmte Kunstform für sich beansprucht, muss diese Okkupation entlarvt werden.
Klaus-Peter: Viele Künstler, die aus dem Umfeld der Autonomen Zentren wie z.B. der Roten Flora kommen, müssen sich ja häufig, wenn sie erfolgreich werden, den Vorwurf anhören, sie würden die Bewegung verraten und sich an das kapitalistische System verkaufen. Was natürlich Blödsinn ist, denn es gibt in diesem System kein Innen und kein Außen, und wenn, dann ist es eine Illusion …..
Jorinde: Das erinnert mich an die zwei ganz großen Klischees: Zum einen das künstlerische Genie, das durchgefüttert werden muss, weil seine/ihre Kunst in dieser Welt noch nicht richtig gewürdigt wird – und zum anderen die tragischen emanzipatorischen KünstlerInnen, die an ihren Idealen zerbrechen … Diese Bilder haben die Leute einfach in den Köpfen und staunen dann, wenn die Wirklichkeit ganz anders aussieht.
Klaus-Peter: Ich möchte zum Schluss noch mal auf ein ganz praktisches Beispiel hinweisen, an dem die subversive Kraft der Kunst sehr gut veranschaulicht wird. Der französische Sänger Damien Saez wollte in den Pariser Metrostationen sein Album mit folgerndem Bild bewerben: Eine nackt-erotisch, cool-gestylte Frau räkelt sich in einem Einkaufswagen. Über dem Bild-Motiv klein gedruckt die Worte „J’accuse“ – „Ich klage an“.
Der Werbekontrollausschuss erkannte den darin transportierten Angriff auf den sexistischen Normalzustand in den Werbeplakaten, die sonst in den Metrostationen zu sehen sind – und verhinderte, dass Saez mit diesem Bild werben konnte. Saez wollte die Methode der Werbung nutzen, um gegen die Werbung selbst anzugehen – und die Werbeindustrie sah sich genötigt, dies durch Zensur unmöglich zu machen. Letztendlich aber hat Saez dadurch eine gesellschaftliche Diskussion bis hinein in sämtliche Szenezeitschriften und Feuilletons angestoßen.
Klaus-Peter Flügel, Jorinde
Reznikoff, Marcus Munzlinger