Deutschland drückt die Einkommen der Masse, um andere Länder niederkonkurrieren zu können. Die Gewerkschaften tragen diese nationalistische Wirtschaftspolitik mit
Wer während der deutschen Hetze gegen die „Pleite-Griechen“ zwischen den Zeilen las, konnte die implizite Botschaft an die eigene Bevölkerung nicht übersehen. Die Griechen, gleich einem „Volkskörper“, müssten als Kollektiv zusammenstehen, die verursachte Schuldenmisere gemeinsam ausbaden und dafür Opfer bringen; Proteste und Streiks seien da nur kontraproduktiv – ein etwas schräger Appell zur Solidarität der Armen mit den Reichen, mit dem auch gleich die hiesige Bevölkerung mental auf ein Sparszenario vorbereitet werden sollte. Bis es auch bei uns soweit ist, sollte jeder wissen, dass Stillhalten und Verzicht das Gebot der Stunde sind.
Ganz ohne Aufregung konnte die Bundesregierung dann aber doch nicht das geplante Sparpaket (im Umfang von 80 Mrd. Euro in vier Jahren ab 2011) verkaufen, das Anfang Juni vorgestellt wurde. Es sei einseitig, treffe vorwiegend die mittleren Einkommen und sozial Schwachen, und diejenigen, die gemeinhin als Verantwortliche der Krise gelten, müssten kaum in die Tasche greifen, war hier und da in den Medien zu hören. Das Sparpaket würde den vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ausgemachten Trend, dass Deutschland die Mittelschicht wegbröckele, nur verstärken; ein politischer Extremismus der Mitte und politische Instabilität seien die Folge. Schon zuvor hatte der Spiegel „harte Verteilungskämpfe“ in Deutschland prophezeit. Kommen da etwa lebendige Zeiten auf die Bundesrepublik zu?
Aus dem Spardiktat allein dürften derlei Kämpfe sicher nicht erwachsen. Denn das wurde von der Bundesregierung bewusst so strukturiert, dass sie sich quasi an den Protesten vorbeisparen würde. Es trifft vor allem die, die ohnehin am wenigsten Widerstand leisten können: die Erwerbslosen und Prekären – mit der Streichung des Elterngelds, Ermessens- statt Pflichtleistungen, Rentensenkung für Langzeitarbeitslose, Streichung der Heizkostenzuschüsse usw. usf. Vor allem bei den Erwerbslosen den Rotstift anzusetzen, hatte zuvor Arbeitgeberpräsident Hundt gefordert. Er bekam, was er wollte. Und eine Verfassungsänderung, die das verfassungswidrige Regiment der Bundesarbeitsagentur wieder rechtskonform macht, lieferte die Regierung gleich mit. Jetzt sollen die Erwerbslosen noch stärker bluten, als ob die zuletzt festgestellten psychischen Erkrankungen und der schlechte Gesundheitszustand vieler Erwerbloser sich noch steigern ließen. Ohne Frage, das Feindbild des Sozialschmarotzers eignet sich auch heute noch perfekt, um von den eigentlichen Schweinereien abzulenken.
Es wäre mitunter die Aufgabe der Gewerkschaften, organisierte Arbeitermacht zur Abwehr solch reaktionärer Sozialpolitik ins Feld zu führen. Doch wie schon bei der Agenda 2010 verweigern sie glatt ihren Job – trotz aller Protestrhetorik. Sie streiken einfach: gegen die Armen. Und selbst in den Betrieben nehmen sie ihre Rolle als Widersacher des Kapitals nicht mehr wahr. Neuestes Beispiel: Opel. Um vermeintlich einen Großteil der Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern, gibt man dort die Zusage, in den nächsten fünf Jahren auf Löhne, Urlaubs- und Weihnachtsgelder in Höhe von über einer Milliarde Euro zu verzichten. Zum ersten Mal werden damit bei einem großen Autobauer in Deutschland die Einkommen für einen längeren Zeitraum unter den Flächentarif gesenkt, und das in einer der verbliebenen „Hochburgen“ der Gewerkschaften.
Der Fall Opel ist symptomatisch für die Logik der deutschen Gewerkschaften in der Krise. Hatte man vor wenigen Jahren – nach einer bescheidenen Serie kämpferischer Streiks, unter anderem bei Opel – noch den Eindruck, die hiesige Zurückhaltungstradition könnte ein Stück weit aufbrechen, scheint dieses zarte Pflänzchen fast schon wieder erstickt. Co-Management und Verzichtsbereitschaft blühen seitdem erst so richtig auf. Die Gewerkschaften hoffen, gesamtwirtschaftliche Negativeffekte auffangen und zumindest das Beschäftigungsniveau für ihre Klientel stabil halten zu können. Die Ratio eines gelben Werkvereins, sich dem Wohl des Betriebs unterzuordnen, wird dabei auf ein ganzes Land, die Betriebsgemeinschaft, angewendet. Und dieses Kalkül ist insofern schlüssig, als die Standorte anderer Länder dadurch ins Hintertreffen geraten, wenn deren ArbeiterInnen und Gewerkschaften nicht ganz so duckmäuserisch sind.
Deutschland setzt auf Verzichtskonkurrenz, und kommt so (zumindest vorübergehend) relativ glimpflich durch die Krise – wobei die ArbeiterInnen anderer Länder gleich mit unter Druck gesetzt werden. Die Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst&Young stellte unlängst fest, dass Deutschland sich in der Krise zum attraktivsten europäischen Wirtschaftsstandort für internationale Topmanager gemausert habe. Denn hier seien die Verhältnisse am stabilsten, sei das „Investitionsklima“ wegen geringer Streikquoten und niedriger Löhne attraktiver als in den anderen Ländern. Die Gewerkschaften tragen diese national-fokussierte Wirtschaftspolitik mit, ganz so, als wäre das 20. Jahrhundert komplett an ihnen vorbeigegangen, als hätte man nichts aus der nationalen Spaltung der Arbeiterbewegung gelernt. Nach dem DGB-Kongress Mitte Mai, der den sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs nochmals bestätigte, und nun auch der Fraternisierung mit den Arbeitgebern zur Einschränkung des Streikrechts (siehe „Unheilige Allianz“) besteht keine Hoffnung auf Besserung.
Dabei steht die Politik der Bundesregierung und der deutschen Gewerkschaften auch international unter Beschuss. Das französische Wirtschaftsministerium appelliert dringend an die Bundesregierung, die einseitige Exportorientierung und die permanente Absenkung der Lohnquote zu beenden. Dem schloss sich nicht nur die US-Administration an, sondern sogar der Internationale Währungsfonds, der ein Ende des deutschen Egoismus forderte, mit Niedrigstlöhnen den Rest Europas auf dem Exportmarkt niederzukonkurrieren. Tatsächlich: In Deutschland lag der Lohnzuwachs zwischen 1995 und 2006 bei gerade mal 9% – das bedeutet einen Reallohnverlust (von 2000 bis 2008 um 0,8%). In demselben Zeitraum stiegen die französischen Löhne um 49%, die in Großbritannien um 128%. Während die Inlandsnachfrage in diesen beiden Ländern simultan um 29% bzw. 43% angehoben wurde, stieg sie in Deutschland nur um 9%.
Die Bundesrepublik setzte im letzten Jahrzehnt alles auf den Export. In der internationalen Konkurrenz ging das eben nur mit der Reduzierung der Lohnstückkosten, durch Reallohnkürzung eben – verwirklicht auch durch die Gewerkschaften, die die Streiktage und Lohnforderungen so niedrig halten wie in kaum einem anderen Land. Diesen Kurs setzt man in der Krise unerbittlich fort. Dadurch wird nicht nur die deutsche Lohnarbeiterschaft weiter prekarisiert und die Binnennachfrage bzw. Kaufkraft zerstört; zahlreiche Ökonomen warnen auch, dass das deutsche Sparpaket jeden Aufschwung in Europa gefährden würde. Und letztendlich werden damit auch die ArbeiterInnen in anderen Ländern dank Sachzwang zum Verzicht gebracht. So gibt der US-amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Paul Krugman an, dass etwa Griechenland und Spanien ihre Löhne um 30% senken müssten, um wieder mit Deutschland mithalten zu können.
Die New York Times befand neulich, dass sich Deutschland in der Krise „nationalistischen Illusionen“ zuwenden würde. Gewerkschaften, die solch einer Wirtschaftspolitik die Rückendeckung geben, müssen als eben das bezeichnet werden: als nationalistisch. Während der DGB hierzulande heuchlerisch von der Einheit der ArbeiterInnen spricht, hat er auf internationaler Ebene schon längst dutzende Keile zwischen sie getrieben und sie in eine Elendskonkurrenz zueinander gesetzt.
Wenn die Teppichetagen nun davor warnen, eine rücksichtlose Lohnpolitik gefährde die Wirtschaft und damit das Wohl aller, dann irren sie sich in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist ihre volkswirtschaftliche Analyse selbst unter realpolitischen Vorzeichen schieflastig: Mit ihrer Verzichtslogik verstärken sie das Außenhandelsdefizit und pflanzen damit nur den Keim für die nächste Krise. Jeglicher Vorteil für die deutsche „Volkswirtschaft“ verpufft spätestens dann, wenn unter dem selbst erzeugten Druck auch in den anderen Ländern der Lohnverzicht einsetzt und die Binnennachfrage zusammenbricht. Zum anderen löst Bescheidenheit keine Wirtschaftskrise. Wenn die kapitalistische Wirtschaft stockt, dann läge es in der Verantwortung der Gewerkschaften, die Systemfrage zu stellen. Denn wenn eine offensive Lohnpolitik tatsächlich dazu führen würde, dass Beschäftigungs- und Produktionsniveau zusammenbrechen, dann ist die Notwendigkeit, die Gesellschaft nach anderen Wirtschaftsformen zu reorganisieren, offensichtlich. Das Mindeste wäre es, durch Verteilungskämpfe den Staatsbankrott zu erzwingen. Dann wäre dem Slogan „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ immerhin Genüge getan.
Holger Marcks
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