Betrieb & Gesellschaft

In den heiligen Hallen des Kapitals

Seit mehr als 35 Jahren suchen KonzernkritikerInnen Aktionärsversammlungen heim

In den Hauptversammlungen
zelebrieren die Aktiengesellschaften alle zwölf Monate ihre Heilige Messe: Sie verteilen
Sakramente in Form von Dividenden und beten die Zahlen ihrer Geschäftsberichte
herunter. Fällt die Bilanz positiv aus, so erhalten die Konzerne von ihren AktionärInnen
die Absolution, fehlen die Firmen aber bei der Ausbeutung, so müssen sie
bußfertig geloben, dem Götzen Mammon im nächsten Jahr mehr zu opfern.

Aber bereits
seit mehr als 35 Jahren geht das Ritual nicht mehr so glatt über die Bühne.
1980 suchte die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) erstmals eine
Hauptversammlung der BAYER AG heim. Und bald schon beschränkte sie sich nicht mehr
bloß auf Proteste vor dem Eingang, sondern meldete sich in der Halle lautstark
zu Wort. Das Aktienrecht machte es möglich: Die Coordination erwarb einfach ein
paar Aktien des Leverkusener Multis – und damit zugleich das Rede- und Stimmrecht
für sich und andere Organisationen. Formal als BAYER-Anteilseigner zum letzten
Geschäftsjahr sprechend, konnte die CBG durch diesen Coup den
Vorstandsvorsitzenden, den Vorstand, den Aufsichtsrat und Tausende von
BesucherInnen direkt mit den Folgen der gnadenlosen Profitjagd konfrontieren.

So standen auf einmal nicht nur
Zahlen auf der Tagesordnung, sondern im Gegenteil das, was das Rattenrennen um
Renditen an Desastern hervorbrachte: Umweltschäden en masse, soziale
Verwerfungen, gesundheitsgefährdende Medikamente, ungenügend gesicherte Anlagen
und vieles mehr.

Und da ein global agierendes
Unternehmen diese Missstände produzierte, sah es sich auch beizeiten schon
einer globalen Konzernkritik gegenüber. Blumenarbeiterinnen aus Kolumbien etwa konfrontierten
die AktionärInnen mit den verheerenden Folgen der BAYER-Pestizide, ein durch
Blutprodukte des Pharma-Riesen mit HIV infizierter US-Amerikaner forderte eine
Entschädigung, norwegische Umweltschützer prangerten die PCB-Kontamination des
Osloer Hafens an, eine Gruppe US-amerikanischer Juden mahnte einen angemessenen
Umgang des Konzerns mit seiner Nazi-Vergangenheit an und ein portugiesischer
Ex-Beschäftigter von BAYER legte Zeugnis über gekaufte MedizinerInnen ab. Zudem
entwickelte die Coordination die Aktionsform „HV-Besuch“ zur Serienreife und
brachte die Gründung des „Dachverbandes der kritischen Aktionärinnen und
Aktionäre“ mit auf den Weg.

Natürlich hat der Global Player
das alles nicht klaglos über sich ergehen lassen. In den 1980er Jahren hob er
die „Bürgerinitiative: Malocher gegen Schmarotzer“ aus der Taufe.
Zusammengestellt aus Werkschutz-Leuten und anderem Personal aus den eigenen
Reihen, sollte die Truppe auf den HVs den „ehrlichen Arbeiter“ gegen
dahergelaufene „Berufsdemonstranten“ und „rote Vögel“ in Stellung bringen. Aber
den ClaqueurInnen des Kapitals war kein rechter Erfolg beschieden. Also änderte
der Konzern sein Konzept und staffierte seine Mannen mit DKP-Fahnen aus, um die
tausenden anreisenden BAYER-AktionärInnen und insbesondere die berichtenden
Medien unter Rotschock zu setzen und sie so gegen die KonzernkritikerInnen zu
immunisieren. Und seit Neuestem übt sich das Unternehmen darin, die Proteste vor
Beginn der Versammlung mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit
stattfinden zu lassen. Unter Berufung auf das Hausrecht versucht er, die Coordination
gegen BAYER-Gefahren und die anderen Gruppen mit ihren Transparenten und
Plakaten durch Absperrgitter und rot-weiße Verkehrshütchen möglichst weit vom
Eingang der Kölner Messehallen wegzudrängen, um die AktionärInnen unbehelligt
ins Innere leiten zu können. In der HV selber wendet der Agro-Gigant dann
ähnlich brachiale Methoden an. Der die Zusammenkunft leitende
Aufsichtsratsvorsitzende unterbricht die KritikerInnen nicht nur regelmäßig, er
schaltet ihnen auch schon mal das Mikrofon ab und lässt den Rest von den
OrdnerInnen erledigen. „Bitte begleiten sie diese Herren zurück zu ihren
Plätzen“, hieß es etwa 1995 einmal, woraufhin 30 Mann nach vorne stürmten, Kritische
AktionärInnen von der Redebühne holten und aus dem Raum schleiften.

Aber die CBG und ihre
MitstreiterInnen haben sich von dieser Spielart der „AktionärInnen-Demokratie“ nicht
erschüttern lassen. Kontinuierlich bauten sie ihre HV-Aktionen aus. So gelang
es schließlich, die Auftritte der KonzernkritikerInnen von einem kleinen
Störfeuer zu „abendfüllenden“ Veranstaltungen auszubauen. Im letzten Jahr bot
die Coordination 26 GegenrednerInnen auf. Damit drängte sie die KapitalvertreterInnen
eindeutig in den Hintergrund und machte aus dem AktionärInnentreffen ein
Heimspiel. Der Anpfiff für das nächste ist am 29. April.

 

Jan Pehrke

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Veröffentlicht von
Jan Pehrke

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