Kultur

Killed by Death

Mit Lemmy Kilmister verstarb am 28. Dezember 2015 der Godfather des Rock’n’Roll

Ich war selber etwas überrascht, als
ich nach dem 28.12.2015 feststellte, dass meine ältesten
Bravo-Ausschnitte über Motörhead etwa von 1983 datieren. Damals war
ich acht, genau so alt wie die Band. Meine erste Motörhead-LP, die
sträflich unterbewertete „Iron Fist“ (1982), stammt aus
derselben Zeit – auch wenn ich sie mir zugegebenermaßen erst
einige Jährchen später zugelegt habe.

Dass mich Motörhead schon jung
faszinierten und später natürlich immer zum festen Kanon gehörten,
extremisierte sich 1991 zum musikalischen Fanatismus mit dem Album
„1916“. Bezeichnenderweise – und Lemmy Kilmister bestätigend –
in dem Moment, als sich meine Heavy Metal-Clique auflöste und ich
mich den Punks anschloss.

We are the Road Crew
(1980)

Noch ein Jahrzehnt später – exakt
2000 – das dritte Schlüsselereignis, nämlich nach fast zwei
Jahrzehnten mein erstes Motörhead-Konzert in Münster. Was daran bis
heute faszinierend ist: Hier trafen sich Metalheads, Punks und
(linke) Skins wie auch Banker, die nach der Arbeit vergessen hatten,
den Schlips auszuziehen. Eltern kamen mit ihren Söhnen oder
Töchtern. Unterschiedslos wurde von all diesen Menschen abgerockt –
und zwar in äußerster Harmonie! Unabhängig des jeweiligen
musikalischen oder Lifestyle-Bekenntnisses hob man sich auf, bot sich
Bier an, fing sich. Dieser musikalische Konsens, den Motörhead
verkörperten, basiert darauf, dass sie den Ursprung all dieser Musik
verkörperten: Sie spielten – nein: sie waren – Rock’n’Roll. Sie
waren weder Punk noch Metal noch Hardrock. Sie ließen aber auch nie
einen Zweifel daran, dass es all das ohne sie so nicht geben würde.

 

Rock out (2008)

Motörhead sind im positiven Sinne die
großen kulturellen Gleichmacher – „waren“ muss man leider sagen,
nachdem Schlagzeuger Mickey Dee in der schwedischen Presse nach dem
Tod Lemmys am 28.12.2015 das Ende der Band verkündet hat. Das ist
nur logisch und konsequent und doch im Sinne des Rock’n’Roll keine
Selbstverständlichkeit. Mit den Beatles, der erklärten
Lieblingsband Lemmys, wurde das Prinzip Sänger plus Backing-Band
durch das Prinzip Band ersetzt. Lemmy selber war es, der in den
Anfangstagen der Band die Vermarktung unter dem Namen „Lemmy and
Motörhead“ verhindert hat.

Lemmy Kilmister hatte 1975 also schon
einen Namen in der Szene – der Heiligabend 1945 geborene
Pfarrerssohn Ian Fraser Kilmister war in England in den 1960ern
erfolgreich mit den Rockin‘ Vickers, danach mit Sam Gopal. Legendär
ist seine Roadie-Zeit für Jimi Hendrix, bevor er dann – erstmals
als Bassist – bei den Spacerockern Hawkwind einstieg und mit diesen
den Hit „Silver Machine“ landete.

Ein weiterer Hawkwind-Song war
„Motorhead“, der nach dem Rausschmiss Lemmys wegen einer
angeblichen Speed-Geschichte den Namen für die neue Band mit Lucas
Fox und Larry Wallis lieferte. Der Erfolg stellte sich erst mit dem
Dream-Team Lemmy Kilmister, Fast Eddie Clark und dem ebenfalls 2015
verstorbenen Drummer Phil Animal Taylor ein. Dieses Trio ist
verantwortlich für die legendären Hits wie „Ace of Spades“ oder
„Overkill“. Philthy Taylors Double-Bassdrum auf letzterem Song
gilt als die Inspiration für den Thrash Metal der 1980er Jahre.

Besagtes Album „Iron Fist“ war das
letzte in dieser Besetzung, es folgte 1983 mit dem ehemaligen Thin
Lizzy-Gitarristen Brian Robertson das relativ unbeliebte Album
„Another Perfect Day“, dessen Songs auch noch in den letzten
Jahren zum Live-Programm der Band gehörten, denn das mit
ungewöhnlichen Gitarrenharmonien aufwartende Album gehörte zu
Lemmys erklärten Lieblingsalben.

Die 1980er Jahre brachten die Alben
„Rock’n’Roll“ und „Orgasmatron“ – nicht die besten und auch
nicht die repräsentativsten Alben der Band, aber mit Evergreens wie
„Eat the Rich“ und dem Titeltrack von „Orgasmatron“ als
Statement gegen Krieg, Religion und Politik. Die 1990er Jahre
eröffnete das sehr eingängige „1916“ – eine ungewöhnliche
Scheibe u.a. mit der namensgebenden Cello-Ballade über den Ersten
Weltkrieg und dem schnellen Punkrock-Song „R.A.M.O.N.E.S.“ Die
größte Änderung aber war der Abschied der Band von England mit
Lemmys Umzug nach L.A., musikalisch dokumentiert in „Angel City“.

 

America (1982)

Mit den 1990er Jahren begann somit die
„amerikanische Phase“ der Band. Phil Taylor, der schon
zwischenzeitlich pausiert hatte, wurde durch den Schweden Mikkey Dee
ersetzt, dem nunmehr langjährigsten Schlagzeuger der Band. Auf dem
Folgealbum „March or die“ ist er nur auf einem Song zu hören,
„Bastards“ spielte er schon komplett mit ein.

In den frühen 2000ern leiteten
Motörhead musikalisch eine Phase ein, die mit den Alben „Hammered“,
„Inferno“ und „Kiss of Death“ tatsächlich ein wenig mehr in
Richtung Heavy Metal ging. Deutlich wurde dies etwa in einer
Coverversion des Metallica-Songs „Whiplash“. Lemmy hat sich immer
geärgert, dass die Band einen Grammy für eine Coverversion erhalten
hat.

„Motörizer“, „The World is
yours“ und „Aftershock“ zeigen dann wieder mehr die alten
Rock’n’Roll-Qualitäten der Band und brachten die größten
Erfolge seit den frühen 1980er Jahren. Das letzte Album „Black
Magic“ fällt meines Erachtens wieder etwas ab.

 

We are Motörhead (2000)

Rein musikalisch gibt es nach dem Tod
von Lemmy noch einige letzte Hoffnungsschimmer: Schon seit einigen
Jahren arbeitet Lemmy an einem Solo-Album, das eigentlich schon seit
zwei Jahren so gut wie fertig war. Lemmy wartete nur noch auf einen
Termin mit Skunk Anansie-Sängerin Skin für ein Duett. Und während
der Aufnahmen zu „Black Magic“ haben Motörhead neben dem
veröffentlichten „Sympathy for the Devil“ noch einige
Coverversionen mehr aufgenommen. Das musikalische Vermächtnis Lemmy
Kilmisters wird also in naher Zukunft schon mit zwei Platten
eröffnet.

Nun ist es – siehe Soloalbum –
genauso falsch, Motörhead auf Lemmy zu reduzieren wie Lemmy auf
Motörhead. Zahlreiche Neben- und Soloprojekte und Gastauftritte
zeugen davon. Die Kollaboration mit Nirvana-Drummer Dave Grohl unter
Probot, erfolgreiches Songwriting für Ozzy Osbourne und vor allem
die Rock’n’Roll-CoverBand The Head Cat sind nur einige Beispiele für
ein eigenständiges und vielfältiges Musikerleben. Vor allem blieb
Lemmy immer – L.A. hin oder her – ein britischer Gentleman.

 

Remember me, I’m gone (1982)

Man erwartet in einer
anarchosyndikalistischen Zeitung vielleicht irgendeinen politischen
Bezug, einen sozialen Hintergrund, der einen Nachruf auf Lemmy
Kilmister und Motörhead in dieser Zeitung legitimiert. Aber einer
solchen Legitimation bedarf es nicht: Motörhead waren und sind ein
Wert an und für sich – ohne Adjektive. Rock’n’Roll ohne
Kompromisse. Und das gibt es nun so nicht mehr – Grund genug zu
trauern.

 

Teodör Webin (mhb #3422)

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Die Redaktion der Direkten Aktion.

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