Globales

Der autoritäre Syriza-Staat in Griechenland

Die vorweihnachtlichen Almosen für arme RentnerInnen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Syriza-Anel-Regierung nichts zu verteilen hat. Die aktuell geplante Reform des Arbeitsrechts sieht vereinfachte Massenentlassungen und die Beschneidung des Streikrechts vor. Der zunehmend autoritäre Repressionskurs gegen Flüchtlinge, politische Gefangene und AnarchistInnen, trifft jedoch zunehmend auf Widerstand. Gegen die Polizei werden unterdessen erneut Foltervorwürfe laut.

Kurz vor Weihnachten des letzten Jahres hatte die griechische Regierung mit einer einmaligen Zahlung rund 617 Millionen Euro an ca. 1,8 Millionen arme Rentner und Rentnerinnen verteilt. Viele dieser RentnerInnen, die oft weniger als 500 Euro im Monat bekommen, finanzieren damit noch ihre arbeitslosen Kinder und Enkelkinder. Sogar den offiziellen Daten der griechischen Statistikbehörde Elstat zufolge, sind inzwischen mehr als 35 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht. Immer öfter sieht man alte Menschen in griechischen Städten betteln oder im Müll nach Essbarem suchen. Die Arbeitslosenquote liegt erneut bei über 30 Prozent, Unternehmen gehen der Reihe nach in Konkurs und vor allem junge, gut ausgebildete Menschen wandern aus.

Schon
am 8. Dezember 2016 hatten die Gew
erkschaften deshalb mit einem
Generalstreik nicht nur gegen die geplante Reform des Arbeitsrec
hts
protestiert. Zwei Tage zuvor, am 6. Dezember, war es aus Anlass des
achten Jahrestags der Ermordung des 15jährigen Aléxandros
Grigorópoulos durch Polizeibeamte zu wütenden Demonstrationen in
vielen griechischen Städten gekommen. In Athen, Thessaloníki,
Iráklion, Agrínio und Vólos kam es dabei zu teilweise schweren
Auseinandersetzungen mit der Polizei. In diesem Zusammenhang erhebt
die Antiauthoritäre Bewegung Athen (AK) in ihrer Presseerklärung
vom 10.12. schwere Foltervorwürfe gegen die Polizei. „Nach dem
Ende der Demonstration (…) verfolgten die berüchtigten Folterer
der DIAS (Motorradsondereinheit der Polizei) ohne Grund unseren
Genossen Ch. K. Nachdem sie ihn festgenommen hatten, warfen sie ihn
zu Boden, prügelten wild auf ihn ein und brachen ihm das Kniegelenk.
Mit zertrümmertem Knie und trotz seines lauten Protests schleiften
sie ihn über den Boden (…) Obwohl er weder stehen noch gehen
konnte, zwangen sie ihn, ohne Hilfe in den Gefangenenbus zu klettern.
Statt ihn (…) ins Krankenhaus zu bringen, verschleppten sie ihn
(…) in die Gefangensammelstelle, wo sie ihn ohne Rücksicht auf
seinen Gesundheitszustand weiter folterten. Letztendlich wurde er mit
fürchterlichen Schmerzen ins Krankenhaus gefahren (…) und nach
ärztlicher Diagnose sofort in den OP gebracht.“

Der
Kommentar der unabhängigen, linken aber regierungsfreundlichen
Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón vom 11.12. spricht von
„fürchterlicher Folter“. „Statt Almosen an Rentner zu
verteilen“ solle die Regierung und „die Verantwortlichen im
Bürgerschutzministerium endlich für Ordnung in den Reihen der
Ordnungskräfte sorgen“. Und fährt fort: “Oder sind die
Staatsorgane einer Mitte-Rechts- oder Mitte-Links-Regierung
letztendlich doch alle gleich?“ Und damit auch „staatliche
Macht immer gleich weshalb sie nie ohne Repression auskommt?“ Er
schließt mit der rhetorischen Frage: „Haben wir uns das unter
linker Ideologie vorgestellt?“ Und verweist als Antwort auf die
Presseerklärung von AK: „Wir wissen sehr gut, dass der
Staatsapparat nicht besetzt wird sondern Besitz ergreift. (…) Auch
ist uns klar, dass die „linke“ Regierung niemandem in den
faschistischen Brückenköpfen der Polizei auch nur ein Haar gekrümmt
hat, und dass, solange es Staaten gibt (…) es auch Bullen geben
wird die mit roher Gewalt ihre Macht durchsetzen.“

Weder
Hafturlaub noch Redefreiheit

Vor
15 Jahren, im Sommer 2002, glückte dem griechischen Staat der größte
Fahndungserfolg seiner Geschichte. Nach der vorzeitigen Explossion
einer Bombe, gelang die Festname des schwerverletzten Sávvas Xirós,
und in der Folge die Zerschlagung der marxistisch-leninistischen
„bewaffneten revolutionären Organisation 17. November“
(17.N). Die Stadtguerillagruppe hatte zuvor 27 Jahre lang mit
spektakulären Sprengstoff- und Panzerfaustanschlägen,
Banküberfällen sowie der Ermordung von Junta-Folterern,
US-Generälen, türkischen Diplomaten, englischen und
US-amerikanischen Geheimdienstlern sowie griechischen Politikern,
einigen Rückhalt in Teilen der Bevölkerung genossen. Mit den
Verhaftungen im Sommer 2002, begann die als „besonders“
bezeichnete Periode der metapolítevsi – der nach dem Sturz der Junta
1974 installierten Demokratie in Griechenland. Die als Mitglieder des
17.N Angeklagten wurden mit besonderen Methoden verhört, unter
besonderen Bedingungen inhaftiert, vor besondere, nach deutschem
Vorbild zusammengestellte, Staatsschutzgerichte gestellt und mit
besonderen Strafen abgeurteilt. Alles unter Missachtung der
griechischen Verfassung und Gesetzgebung, wo es ausdrücklich heißt,
dass politische Verbrechen vor Geschworenengerichten verhandelt
werden müssen und Folter natürlich verboten ist. Es dauerte bis
2010, bis den zu lebenslangen Haftstrafen verurteilten Mitgliedern
des 17.N das Recht auf erste Hafterleichterungen zugestanden wurde.
Hafturlaubsanträge von Dimítris Koufodínas und Aléxandros
Giotópoulos (der bis heute bestreitet Mitglied der Organisation
gewesen zu sein) wurden jedoch entweder nie beschieden oder ohne
Begründung abgelehnt. Auch der durch die Explossion fast blinde, so
gut wie taube und an beiden Händen verstümmelte Sávvas Xirós
sitzt noch im Knast. Das Thema betrifft allerdings nicht nur
ehemalige Mitglieder des 17.N, sondern auch den 2010 verhafteten
Anarchisten Kostas Gournás, der die politische Verantwortung für
die Aktionen der “bewaffneten Organisation Revolutionärer Kampf”
(EA) übernommen hat und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt
wurde. Sein Antrag auf Hafturlaub wurde vor kurzem abgelehnt, da er
„seine Taten nicht bereut“. Dem Anarchisten Nikos Romanós
wird noch immer mit juristischen Spitzfindigkeiten das Recht auf
Freigang zwecks Studiums verweigert, dass er sich durch einen langen
Hungerstreik im Dezember 2014 erkämpft hatte.

Lock
out in der juristischen Fakultät

Aus
den genannten Gründen war für den 14.12.2016 von
Solidaritätsgruppen eine Veranstaltung an der juristischen Fakultät
der Universität Athen mit Anwält_innen, Rechtsgelehrten,
Professor_innen und Staatsrechtler_innen angekündigt. Wie es in
Griechenland gängige Praxis ist, sollte Koufodínas der Diskussion
telefonisch aus dem Gefängnis zugeschaltet werden. Zur Mittagszeit
des 14.12. meldete sich seine Anwältin Ioánna Koúrtovik mit einer
„höchst beunruhigenden Mitteilung“ in der Redaktion der
Efimerída ton Syntaktón. Ihr Mandant sei von der Gefängnisleitung
unterrichtet worden, dass ein vertrauliches Schreiben der
Universitätsleitung mit “strafrechtlichen Konsequenzen” drohe,
sollte die Gefängnisleitung dem Gefangenen die telefonische
Teilnahme an der Veranstaltung genehmigen. Man habe ihm die Teilnahme
deshalb verboten. Sollte er sich über das Verbot hinwegsetzen, werde
ihm für zwei Jahre das Recht entzogen weitere Anträge auf
Hafturlaub zu stellen. Um 14 Uhr verkündete die Universitätsleitung,
alle geplanten Vorlesungen und Veranstaltungen fielen auf Grund
„technischer Probleme“ aus, die Universität sei „ab
sofort geschlossen“. Nachdem Student_innen mit der Besetzung der
Fakultät reagierten, schickte Syriza-Bürgerschutzminister Nikos
Tóskas starke MAT-Sondereinsatztruppen der Polizei die das
Unigelände hermetisch abriegelten. Menschenrechtsgruppen, die
Initiative zur Unterstützung der politischen Gefangenen und
Anwält_innen kritisierten das Vorgehen von Universitäts- und
Gefängnisleitung, sowie der Syriza-Regierung als skandalös.
Koufodínas selbst betonte: „Diese Regierung, die Wert darauf
legt als links bezeichnet zu werden, verlangt als Voraussetzung für
die Gewährung von Hafturlaub, dass ich meinen Überzeugungen
abschwöre. Sie verlangt von mir eine Reueerklärung zu
unterschreiben. Diesen Preis jedoch kann ich nicht bezahlen. Wer bin
ich, ein solches Unrecht am revolutionären Gedächtnis zu begehen.
Es wäre feige und niederträchtig meine kleine persönliche
Geschichte mit einer solchen Demütigung zu beschmutzen.“

Sogenannte
Reueerklärungen wurden unter der Militärdiktatur von Ioánnis
Metaxás (1936-41) und während des griechischen Bürgerkriegs
(1946-49) von KommunistInnen verlangt um aus der Haft entlassen zu
werden. Viele derjenigen, die nicht unterschrieben, wurden
hingerichtet. Am 19 12.2016 luden Vertreter politischer Initiativen,
Menschenrechtsorganisationen, Anwaltsvereinigungen und Staatsrechtler
zur Pressekonferenz in die Räume der Journalistengewerkschaft ESIEA
um das Recht aller Gefangenen auf Hafturlaub zu unterstreichen. Tákis
Polítis, Professor an der Universität Thessaliens betonte, das
Verbot der Veranstaltung in der juristischen Fakultät sei „das
genaue Gegenteil jener Grundsätze, die in den Amphitheatern der
Fakultät gelehrt“ werden, und der „Versuch einen sterilen
Ort zu schaffen, an dem das Zitat Voltaires, „Ich mag verdammen,
was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es
sagen darfst“, in Vergessenheit gerät.

Staatsfeindin
Nr. 1, Póla Roúpa, verhaftet

In
den frühen Morgenstunden des 5. Januar 2017 wurden die
Anarchistinnen Póla Roúpa und Konstantína Athanasopoúlou in einem
Vorort von Athen von sogenannten Antiterroreinheiten der Polizei
verhaftet. Auf die Staatsfeindin Nr.1, die 2012 mit ihrem Freund und
Genossen Nikos Maziótis, untergetauchte, 48jährige Póla Roúpa,
war ein Kopfgeld in Höhe von einer Million Euro ausgesetzt. Maziótis
war 2014 nach einem Schusswechsel mit der Polizei verhaftet worden
und sitzt seitdem als Mitglied des EA im Knast. Roúpas 6jähriger
Sohn wurde bei der Verhaftung von ihr getrennt, und polizeilich
bewacht in die psychiatrische Abteilung eines Kinderkrankenhauses
gebracht. Seine Eltern Maziótis und Roúpa, und die mit Roúpa
verhaftete Athanasopoúlou, traten deshalb in einen Hunger- und
Durststreik. Die weit über die anarchistische Bewegung hinausgehende
gesellschaftliche Empörung darüber, “ein Kind als Rache für den
Kampf seiner Eltern zu entführen”, führte am 8. Januar dazu, den
sechsjährigen Jungen seiner Tante und seiner Großmutter
mütterlicherseits als seinen nächsten Vertrauenspersonen zu
übergeben.

Flüchtlingskämpfe

Mehr
als 800 Menschen demonstrierten am 14 Januar lautstark gegen das seit
anderthalb Monaten geltende Besuchsverbot im Frauenarrest am
ehemaligen Flughafen Ellinikó in Athen. Den dort zuletzt noch 26
inhaftierten Frauen wird nichts anderes vorgeworfen als keine
gültigen Papiere zu besitzen. Durch die Beschneidung der
Außenkontakte soll ihnen der Mut genommen werden sich der geplanten
Abschiebung zu widersetzen. Antirassistische Initiativen,
anarchistische und linke Organisationen und
MenschenrechtsaktivistInnen machten deutlich, diesen Plan mit immer
neuen Mobilisierungen zu durchkreuzen. Als schikanöse Rache der
Behörden kann die nur einen Tag später erfolgte Verlegung der
Frauen in die Polizeiarrestzellen der Ausländerbehörde in der
Petrou Ralli Straße bezeichnet werden. Die hygienischen Bedingungen
dort sind noch ein vielfaches schlimmer als im Frauenarrest am alten
Flughafen. AktivistInnen forderten bei mehreren Kundgebungen vor der
Behörde die sofortige Freilassung der Inhaftierten.

Mit
Demonstrationen, Kundgebungen und der Besetzung von Radiostationen
wird zur gleichen Zeit für die Gewährung von Asyl für den seit 42
Tagen im Hungerstreik befindlichen ägyptischen Blogger Mohamed A.
gekämpft, der akut von Abschiebung in die Türkei bedroht ist.
(Stand 26.01.2017) Der lange auf Lésbos inhaftierte wurde erst auf
Druck der Solidaritätsbewegung aus dem Polizeiarrest ins Krankenhaus
verlegt. Im Interview mit Efimerída ton Syntaktón betont der
ägyptische Aktivist, „bis zum Ende“ gehen zu wollen: „Mein
Asylantrag ist gerechtfertigt. Ich verlange nichts weiter von der
Regierung, als mir zu erlauben so lange zu bleiben, bis sich die Lage
in meinem Land verbessert hat. Die Türkei wird mich schnell nach
Ägypten abschieben, wo mich der Tod und ich weiß nicht was noch
erwartet.“ Seine UnterstützerInnen betonen, dass sein
Gesundheitszustand zwar momentan stabil sei, durch ein mögliches
Organversagen aber die akute Gefahr für bleibende Gesundheitsschäden
bestehe. M.A. habe inzwischen 35 Kilo Gewicht verloren.

Ralf Dreis

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Veröffentlicht von
Ralf Dreis

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