Betrieb & Gesellschaft

Vom Konkurrenten zum Kollegen

Mit gewerkschaftlichen Anlaufstellen öffnet sich der DGB zaghaft auch für „illegalisierte“ ArbeiterInnen. Ein Gespräch mit Emilija Mitrović

Möglichst unauffällig, nichts als Arbeit, und vor allem kein soziales Netz – wer keine gültigen Papiere hat, fühlt sich dem Boss oft vollkommen ausgeliefert. Zu unrecht. Im September eröffnete in Frankfurt eine gewerkschaftliche Anlaufstelle für MigrantInnen ohne gesicherten Aufenthalt. Mit Hamburg, Berlin und München informieren der DGB bzw. Einzelgewerkschaften nun in vier Städten. Vor sieben Jahren setzte sich die „Gesellschaft für Legalisierung“ erstmals öffentlich für einen Kurswechsel der Kolosse ein. Seit 2008 erzielen sie erste praktische Erfolge. Die DA sprach mit Emilija Mitrović, Sozialwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der ersten MigrAr-Anlaufstelle, die in ihrem jüngsten Buch „Menschen ohne Papiere“ (BdWi-Verlag) die Situation illegalisierter ArbeiterInnen in Hamburg darstellt.

 

Nach der jüngsten Neueröffnung in Frankfurt ist bereits die nächste gewerkschaftliche Anlaufstelle für ArbeiterInnen ohne geregelten Aufenthalt in Planung. Sie waren bei der ersten von Anfang an mit dabei. Was ist der Schwerpunkt eurer Arbeit und welche Ziele verfolgt ihr?

Unser Ziel war, dass wir insgesamt undokumentierte Arbeiten im gewerkschaftlichen Rahmen stärker aufgreifen. Denn die Arbeitnehmer sind ganz besonders der Ausbeutung von Arbeitgebern ausgesetzt, die wissen, dass sie keinen Aufenthaltsstatus haben. Wir haben einen Flyer gemacht in acht Sprachen: „Du hast Rechte, auch wenn Du keine Papiere hast“, das ist sozusagen der Hauptschwerpunkt. Und dann haben wir eine Beratungsstelle. Da wird überprüft, ob wir die Möglichkeit haben, etwas zu tun. Dann können sie sich entscheiden, ob sie Mitglied werden, und dann gehen wir bis zum Arbeitsgericht mit ihnen.

Wieviele ArbeiterInnen haben sich seit Frühjahr 2008 an die MigrAr gewandt? Und wieviel Lohn habt ihr insgesamt geltend machen können?

Circa 200. Die zweite Frage ist etwas schwieriger, weil es meist „gütliche Einigungen“ gibt. Das heißt, es reicht schon, wenn man sagt, wir vertreten unser Mitglied, und der Arbeitgeber einigt sich dann mit dem Arbeitnehmer. Aber vor Gericht durchgesetzt haben wir für eine Hausarbeiterin etwa 15.000 Euro und für einen Metallarbeiter 25.500 Euro. Zuletzt hatten wir den Fall, wo eine Frau zwei Jahre lang keinen Urlaub bekommen hatte und auch noch ein Teillohn ausstand – da geht es um 2.000 Euro, was aber für die Menschen auch noch sehr viel Geld ist.

Es ist also noch nicht zu kollektiven Konflikten gekommen, sondern bei Einzelfällen geblieben?

Es sind nur Einzelfälle, und ich kann auch nicht sehen, dass es überhaupt kollektive Strukturen gibt. Wir versuchen jetzt, stärker mit den Communities in Kontakt zu kommen, um zu sehen, ob man nicht gemeinsam Aufklärung betreiben kann: Für viele der migrantischen Kollegen ist ja gar nicht klar, was eine Gewerkschaft ist.

Aus welchen Branchen hat die Beratungsstelle Zulauf?

Wir haben hier eine Statistik. Es ist tatsächlich so, dass man in allen Branchen Papierlose finden kann, außer vielleicht im Öffentlichen Dienst; aber auch da weiß ich es nicht, wenn ich z.B. an Gebäudereinigung denke. Aber wir haben nicht nur ganz arme Leute: Die große Mehrheit ist sicherlich unterbezahlt, aber es gibt auch einige, die sich ganz gut in diesen Lebensverhältnissen einrichten können. Das ist auch meine Überzeugung: Wir sollten sie nicht nur als Opfer sehen, sondern als Kollegen, die auch selbst für ihre Rechte eintreten können, wenn sie Unterstützung haben.

Bis zu eine Million Menschen sollen „illegal“ in Deutschland leben. Können Sie deren Lebenslage kurz skizzieren?

Wir können sicherlich sagen: In der Regel unterbezahlt, unter Tariflohn bezahlt; in der Regel sind sie viel schneller fristlosen Kündigungen ausgesetzt, wenn der Arbeitgeber sie nicht mehr haben will, oder wenn sie sich gegen irgendetwas wehren; in der Regel leben sie auf beengtem Wohnraum für überteuerte Mieten; man kann sicher noch unter einem geschlechtsspezifischen Aspekt sagen, dass Frauen noch stärker auch einer sexuellen Ausbeutung ausgeliefert sind.

Vom Arbeitsvertrag her, was ist Ihrer Meinung nach typisch: Erzwungene Schwarzarbeit oder Arbeit unter falschem Namen?

Illegale Beschäftigung ist ganz klar die Regel. Ich würde auch eher empfehlen, ohne Papiere zu arbeiten als mit gefälschten Papieren. Mit letzteren haben wir die meisten Probleme. Das wollen die Arbeitgeber nämlich gerne: Die lassen sich falsche Papiere vorlegen und sagen „Kann ich ja nicht wissen, bei mir ist alles in Ordnung.“ Für die Arbeiter können wir dann kaum was tun. Wir hatten hier eine Gruppe von acht afrikanischen Arbeitern, die in der Hotelreinigung gearbeitet haben, mit falschen Papieren. Die sind um 16.000 Euro Lohn geprellt worden, und als wir das klargekriegt hatten, konnten wir wirklich nichts machen. Wir hätten dem Arbeitgeber schreiben können und sagen können, wir lassen als ver.di ein bisschen die Muskeln spielen. Aber letztendlich kann man nicht für sie klagen, weil man gar nicht weiß: Für wen klagt man, für den der die Papiere gegeben hat oder für den, der de facto gearbeitet hat?

Gibt es Berührungsängste der Gewerkschaften, sich vorbehaltlos auf die Seite der „illegalisierten“ KollegInnen zu stellen?

Na logisch gibt es die! Wir sind ja ganz lange davon ausgegangen, dass das eher eine Konkurrenz ist, die die Tariflöhne untergräbt, statt davon auszugehen, dass das Kollegen sind, mit denen man sozusagen Seite an Seite steht. Das ändert sich natürlich auch durch die ökonomischen Verhältnisse bei uns: Inzwischen gibt es ja eine Aushöhlung der Arbeitsnormen, so dass es im Grunde jetzt eine Linie ist bis hin zu demjenigen, der völlig illegal und ausgebeutet arbeitet. Und davor kann die Gewerkschaft natürlich nicht die Augen verschließen. Es dauert aber unheimlich lange, bis man einen Apparat dahin bewegt kriegt, dass auch neue Bewusstseinsformen und Denkstrukturen aufgebaut werden. Dafür haben wir schon ziemliche Erfolge hier in Deutschland gehabt, wenn wir davon ausgehen, dass wir bis Ende des Jahres sieben Anlaufstellen haben werden.

Welches Risiko gehen die KollegInnen ein, wenn sie sich an MigrAr wenden und vor Gericht für ihre Rechte eintreten?

Keines, erstmal. Wenn sie zu uns kommen, gehen sie gar kein Risiko ein, da sind sie in einem geschützten Raum. Wenn wir für sie zum Arbeitsgericht gehen, geben wir nur die Gewerkschaftsadresse als Kontakt an, so dass sie nicht aufgefunden werden können. Und wir versuchen auch, die Richter zu überzeugen, dass sie nicht persönlich erscheinen müssen. Wenn es nicht prozessrelevant ist, wie der Aufenthaltsstatus ist, dann muss kein Richter danach fragen. Außerdem sind zwar alle Richter gehalten, dem Zoll zu melden, wenn sie Schwarzarbeit herausfinden. Aber ein kluger Richter macht das nach Abschluss des Prozesses, und das geht dann zunehmend gegen den Arbeitgeber.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Andreas Förster

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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