Hintergrund

Ein ehrbarer Beruf?

An der Prostitution scheiden sich die Geister. Auch innerhalb der feministischen Bewegung.

Als am 20.12.2001 die rot-grüne Mehrheit des Bundestages das Prostitutionsgesetz beschloss, sollte eine Rechtssicherheit für Prostituierte bewirkt und ihre Arbeits- und Lebenssituation generell verbessert werden. Prostitution wurde damit als Dienstleistung und nicht länger als sittenwidrig definiert. Den SexarbeiterInnen wurde die Möglichkeit eingeräumt, ausstehendes Honorar persönlich und legal einzufordern. Außerdem bekamen sie die Möglichkeit, ihren Beruf als sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtige Tätigkeit inklusive der entsprechenden Rechte auszuüben.

Seitdem hat Deutschland eine im internationalen Vergleich recht liberale Regelung, denn in vielen Ländern drohen staatlicherseits unangenehme Konsequenzen. So zum Beispiel in Schweden, wo Freier für bis zu sechs Monate ins Gefängnis wandern können, Zuhälter sogar bis zu sechs Jahre. Die Prostituierten soll die Härte des Gesetzes hingegen ausdrücklich nicht treffen. Ihnen soll beim Ausstieg aus dem Gewerbe geholfen werden. Dieses weltweit einmalige totale Verbot der Prostitution wurde 1999 beschlossen, von einer rot-rot-grünen Regierung. Bei der Frage, wie gesellschaftlich mit der Prostitution umgegangen werden soll, können die Grenzlinien zwischen den politischen Spektren nicht klar nachvollzogen werden. Nicht zuletzt auch die feministische Bewegung ist in dieser Frage gespalten.

So positionierte sich zum Beispiel die Zeitschrift Emma in ihrer Ausgabe 01/2007, wie auch zuvor schon, entschieden gegen die gesetzliche Regelung in Deutschland und begründet dies damit, dass „alle Dämme gebrochen“ seien, seit die Prostitution in Deutschland „ein Beruf wie jeder andere“ sei. In letzter Konsequenz sei es in diesem Zusammenhang auch kaum verwunderlich, dass einzelne Jobcenter arbeitslose Frauen unter Androhung von Leistungskürzungen aufgefordert haben, in der Sexbranche zu arbeiten Das Gesetz würde in erster Linie den ZuhälterInnen und MenschenhändlerInnen nützen, die nun ihre Geschäfte unkontrolliert ausüben könnten, weil die Polizei über keine rechtliche Handhabe mehr verfüge, die Strukturen des Sexgewerbes zum Beispiel durch regelmäßige Razzien zu durchleuchten. Durch das Prostitutionsgesetz könnten Frauen heute öffentlich „wie Vieh“ angeboten werden, schreibt Emma, und nennt als Beispiel die Praxis des Kölner Bordells Pascha (siehe Wie ein Pascha?), auf Taxis zu werben. Hart geht Emma mit der „sogenannten Hurenbewegung“ ins Gericht: In Sexarbeiterorganisationen wie Hydra e.V. (siehe Ein Job wie jeder andere auch?) seien vor allem studierende Gelegenheitsprostituierte und SozialwissenschaftlerInnen aktiv, die nur einen sehr kleinen Teil der Prostituierten repräsentieren würden. 95% der Prostituierten in Deutschland seien hingegen Zwangsprostituierte. Emma bezieht sich ausdrücklich positiv auf den schwedischen Umgang mit dem Thema.

Kathrin Schrader vom Feministischen Institut Hamburg sieht das anders. Sie betont in einem „Plädoyer für die Achtung von Alterität und Destigmatisierung in der Sexarbeit“, dass die durch das Prostituiertengesetz geschaffenen Neuregelungen noch nicht weit genug gehen würden, um eine spürbare Verbesserung für die Prostituierten zu bewirken. Das Bundesgesetz werde durch verschiedene Ländergesetze ausgehebelt, die es nach wie vor ermöglichen, Rechtsverordnungen zu erlassen, die die Prostitution halb- oder lokal vollständig illegalisieren. Auf dieser Grundlage könnten nach wie vor willkürlich Razzien durchgeführt werden. Außerdem fehle es an Durchführungsbestimmung, wie das Gesetz angewendet werden soll. Dadurch würden Willkürakte zum Beispiel seitens der Finanzämter gegen SexarbeiterInnen und BordellbetreiberInnen ermöglicht, welche die eigentliche Intention des Gesetzes, nämlich Rechtssicherheit zu schaffen, untergraben würden. Es seien die SexarbeiterInnen, die nach wie vor als erste diese Missstände zu spüren bekommen. Das Gesetz habe nur leichte Verbesserungen für die Prostituierten gebracht, die sich in einer stabilen sozialen Situation befinden. Für den stärker prekarisierten Teil der Branche, vor allem MigrantInnen und Drogenabhängige, habe sich mit dem Gesetz kaum etwas geändert.

Opferdiskurse

FeministInnen wie Schrader kritisieren die Emma-Fraktion dafür, dass sie die Prostituierten in einer eindimensionalen Position als Opfer darstellen und ihnen jede Möglichkeit der Selbstbestimmtheit absprechen. Als AkteurInnen mit eigener Stimme ließe sie den SexarbeiterInnen im Diskurs kein Raum, sondern würde ihnen die Rolle der passiven Opfer zuweisen. Außerdem würde die Heterogenität der Branche unterschlagen, wenn sie die Prostituierten, die nur einen Teil der SexarbeiterInnen neben den StripperInnen, den PornodarstellerInnen, den Dominas usw. stellen, unterschiedslos als unterdrückte Frauen präsentieren, die ihren Beruf allein aufgrund männlichem Zwangs ausüben. Dabei werde nicht nur übersehen, dass es ebenfalls eine männliche und eine transgender Prostitution gibt, sondern auch, dass die Umstände, unter denen diese praktiziert wird, zwischen Straßenstrich und Edel-Bordell, Escort-Service und Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung, in vollkommen verschiedenen sozialen Verhältnissen stattfindet. Diese FeministInnen gehen hingegen davon aus, dass SexarbeiterInnen nicht per se als Opfer anzusehen sind. Sie seien in ihrer beruflichen Situation nur verletzbarer. Der entscheidende Grund für diese Verwundbarkeit wird in der gesellschaftlichen Stigmatisierung der Sexarbeit gesehen, was sich besonders drastisch bei migrantischen und drogenabhängigen SexarbeiterInnen bemerkbar mache. Dementsprechend bekämpfen sie nicht die Prostitution, sondern ihre Stigmatisierung. Sie definieren die Prostitution als Dienstleistung und soziales Handlungsfeld der beteiligten AkteurInnen.

Für DifferenzfeministInnen wie Alice Schwarzer oder auch die australische Professorin Sheila Jeffreys ist und bleibt Prostitution hingegen Repräsentation und Reproduktion patriarchaler Unterdrückung, die es generell zu bekämpfen gelte. Für sie verkaufen die SexarbeiterInnen keine Dienstleistungen, sondern ihren Körper an die Männer. Eine andere Perspektive beschönige die sexuelle Ausbeutung der Frauen und verharmlose den physischen und psychischen Schaden, den sie erleiden würden. Gleichzeitig sei es den Männern über die Käuflichkeit von Frauen möglich, ihren eigenen Statusverlust durch die weibliche Emanzipation der letzten Jahrzehnte auszugleichen. Durch die Unterscheidung zwischen freiwilliger und erzwungener Sexarbeit werde letztendlich das gesamte Business legitimiert.

Nicht zuletzt sind es auch die AkteurInnen der „Hurenbewegung“ selbst, die sich entschieden gegen solche Positionen wehren. Simone Kellerhoff von Hydra e.V. betont in einem Interview mit der Jungle World (August 2010), dass Prostitution nicht auf Zwang und Menschenhandel beschränkt werden könne. Gerade der Menschenhandel sei ein Problem, das nicht nur das Sexgewerbe, sondern auch andere Sektoren wie die Bauindustrie und den Bereich der Dienstleistung im familiären Bereich betreffe. Dementsprechend müsse es auch analysiert werden. Die große Mehrheit der SexarbeiterInnen würde selbstbestimmt handeln. Kellerhoff stellt heraus, dass die Prostituierten im Rahmen ihrer beruflichen Praxis nicht unbedingt in erster Linie Sex verkaufen, sondern „eine kurze Beziehung“. Sie seien auch PsychologInnen und SozialarbeiterInnen und würden „eine Vision von Wellness, wie man es heute nennt, eine Vision des Angenommen-werden, von Geborgenheit“ verkaufen.

(Self-)Organizing Sexworkers?

Innerhalb der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung findet eine Debatte und Praxis zum Thema gewerkschaftliche Organisierung von SexarbeiterInnen vor allem in den USA statt, wo auch auf weitestgehend praktische Erfahrungen zurückgegriffen werden kann (siehe Ohne Hüllen, ohne Boss).

In der anarcha-feministischen Bewegung überwogen (historisch betrachtet) die Stimmen, die sich vor allem gegen eine Illegalisierung der Prostitution aussprachen. So schrieb zum Beispiel Emma Goldman 1917 in ihrem Text „The traffic in woman“: „Für die Moralisten besteht Prostitution nicht so sehr aus dem Fakt, dass Frauen ihre Körper verkaufen, sondern darin, dass sie es außerhalb der Ehe tun.“ Goldman verweist in dieser Schrift auf die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft, die die Prostituierten stigmatisiert, aber nicht die sozialen Verhältnisse beachtet, auf deren Grundlage Frauen sich prostituieren. Ausgerechnet aus der Prinzipienerklärung des Syndikalismus von Rudolf Rocker aus dem Jahr 1919 stammt ein Satz, der sich von dieser bürgerlichen Haltung nicht sonderlich abhebt. Dort heißt es: „Die gesellschaftliche Klassenteilung und der brutale Kampf ‚Aller gegen Alle‛, diese charakteristischen Merkmale der kapitalistischen Ordnung, wirken in der selben Zeit auch degenerierend und verhängnisvoll auf den Charakter und das Moralempfinden des Menschen, indem sie die unschätzbaren Eigenschaften der gegenseitigen Hilfe und des solidarischen Zusammengehörigkeitsgefühls […] in den Hintergrund drängen und durch krankhafte antisoziale Züge und Gewohnheiten ersetzen, die im Verbrechen, in der Prostitution und in allen anderen Erscheinungen der gesellschaftlichen Fäulnis ihren Ausdruck findet.“ Die syndikalistische Frauenbewegung „Mujeres Libres“ (Freie Frauen) in Spanien argumentierte differenzierter und wandte sich schon damals gegen die Stigmatisierung und ein Verbot der Prostitution, wie es seit 1931 in Spanien Gesetz war. Sie verwiesen darauf, dass von der staatlichen Repression in erster Linie die Prostituierten betroffen waren, nicht etwa die Freier, und eröffneten soziale Zentren in denen Prostituierte unterkommen konnten. Außerdem halfen die Mujeres Libres SexarbeiterInnen, die sich einen anderen Beruf suchen wollten dabei, dies zu realisieren. Diese beiden Beispiele zeigen, dass die historische libertär-feministische Bewegung die Prostitution zwar nicht befürwortete, dass es ihr aber schon in erster Linie darum ging, das Stigma, das auf den SexarbeiterInnen lastete, zu bekämpfen und die wahren Missstände, die sozio-ökonomische Situation der Menschen, in den Fokus zu rücken. Gleiches kann man von dem großen Theoretiker des Syndikalismus, Rudolf Rocker, der Prostitution und Verbrechen in einem Atemzug nannte, nicht behaupten. Dass es heute (Anarcha-) FeministInnen gibt, die sich ausdrücklich positiv auf Sexarbeit als eine mögliche Option der Lohnarbeit beziehen, ist eine neuere Entwicklung der letzten Jahrzehnte (siehe u.a. Das härteste Gewerbe der Welt). Was dies unter Umständen für eine syndikalistische Praxis bedeuten würde, ist eine Frage, die nicht nur in Deutschland noch weitgehend undiskutiert ist.

 „Besondere Dienstleistungen?“

Eine gewerkschaftliche Organisierung für SexarbeiterInnen wird vom Ver.di Fachbereich 13 „besondere Dienstleistungen“ angeboten. Auf der Homepage des Fachbereiches sucht man nach Informationen dazu allerdings vergeblich. Auch in der Rubrik „Berufe und Branchen“ werden zwar unter anderem die Zeitarbeit, das Bestattungswesen und die Sicherheitsdienste aufgeführt, das Sexgewerbe aber nicht. Laut einer Presseerklärung des Bochumer Frauenprojektes Madonna e.V aus dem Jahr 2007 organisieren sich nur sehr wenige Prostituierte gewerkschaftlich.

Florian Wegner

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Florian Wegner

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