Der italienische Industriegigant Fiat will Arbeiterrechte schwächen. Der Widerstand dagegen läuft bislang auf Sparflamme.
Die europäischen ArbeiterInnen haben in den vergangenen Jahrzehnten so manche Kröte schlucken müssen. Selten jedoch war sie so fett und hässlich wie die, die Fiat nun seinen Untergebenen vorsetzte. Es wurde ein Tarifvertrag diktiert, der die Rechte der ArbeiterInnen massiv schwächt und die gewerkschaftliche Handlungsfreiheit im Betrieb praktisch abschafft. Je nach Auftragslage will das Unternehmen seine ArbeiterInnen an vier Tagen hintereinander bis zu zehn Stunden schuften lassen, ebenso sollen Überstunden und Samstagsarbeit ohne Konsultation der Gewerkschaften angeordnet werden können. Die Pausen sollen zudem verkürzt und Krankentage teils nicht mehr bezahlt werden. Einschränkungen gibt es auch im Streikrecht: Aufrufenden Gewerkschaften kann das Unternehmen die Freistellungskontingente für die Betriebsdelegierten entziehen, Streikenden droht gar die Kündigung. Kritische Gewerkschaften wird es nach dem Willen von Konzernchef Sergio Marchionne bei Fiat ohnehin nicht mehr geben. Denn weigert sich eine Gewerkschaft, den diktierten Vertrag zu unterzeichnen, dann werden ihre AktivistInnen künftig von Beschäftigtenvertretungen ausgeschlossen.
Verhandlungen oder gar Kompromissbereitschaft gab es seitens der Konzernleitung nicht, dafür aber die Drohung, die Produktion im Falle einer Ablehnung durch die Belegschaft ins Ausland zu verlagern. Bei Annahme des Vertrags versprach Fiat das Gegenteil zu tun, nämlich Produktion aus dem Ausland nach Italien zu verlegen und durch milliardenschwere Investitionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Den ArbeiterInnen stellte Marchionne zudem in Aussicht, dass man bei entsprechendem Produktivitätszuwachs die Löhne auf deutsches Niveau anheben könnte – derzeit liegt der durchschnittliche Nettoverdienst italienischer MetallarbeiterInnen bei etwa 1.200 Euro.
Der Angriff auf die Rechte der ArbeiterInnen erfolgt im Rahmen der „Fabrik Italien“ (Fabbrica Italia), dem größten italienischen Wirtschaftsplan seit Jahrzehnten. Dieser verspricht nicht weniger, als Italien durch eine industrielle Expansion eine neue Perspektive zu geben. In einem Land, das nicht nur in einer Wirtschafts-, sondern auch in einer tiefen Sinnkrise steckt, in dem Perspektivlosigkeit und Fatalismus weit verbreitet sind, in dem laut Umfragen die Hälfte der 25–34-Jährigen eine Auswanderung in Erwägung zieht, wirken solche Ankündigungen wie Balsam auf der geschundenen Seele.
Beworben wurde die Fabbrica Italia in einer geschickt inszenierten Kampagne, die keineswegs auf die ArbeiterInnen, sondern auf die KonsumentInnen zielte. Ganz Italien müsse gemeinsam anpacken, Opfer bringen und natürlich italienische Produkte kaufen. All dies sei im Sinne der künftigen Generationen. Der radikale Angriff auf die Arbeitsbedingungen ließ sich so als „Modernisierung“ verkaufen. Eifrige Unterstützer fand Fiat im Arbeitgeberverband Confindustria und mit wenigen Abstrichen auch in der Regierung Berlusconi samt dessen Medienmacht. So gelang es, die betroffenen Belegschaften und die Gewerkschaften unter erheblichen Druck zu setzen und die betrieblichen Abstimmungen zu einem Vorgang von landesweiter Relevanz aufzublasen. Dass die Fabbrica Italia bislang nicht mehr ist als heiße Luft, spielt dabei keine Rolle. Denn die genügte, um das Gros der etablierten Gewerkschaften von dem Programm zu überzeugen. Und selbst der Generalsekretär des ehem. kommunistischen und noch immer größten italienischen Gewerkschaftsverbandes CGIL, Guglielmo Epifani, äußerte in den vergangenen Monaten mehrfach Sympathien für die Fabbrica Italia.
Abgelehnt wurde das Fiat-Diktat lediglich von der FIOM, Metallgewerkschaft im CGIL-Verbund, sowie von den in Italien vergleichsweise starken Basisgewerkschaften. Die letzte Entscheidung lag jedoch bei den Betroffenen selbst. In Urabstimmungen stimmte bereits im letzten Sommer die Belegschaft des Fiat-Werks in Pomigliano (bei Neapel) mehrheitlich zu; im Januar folgte die Belegschaft im Stammwerk Mirafiori (Turin). Sowohl in Pomigliano als auch in Turin erhielten die Pläne jedoch nur knappe Mehrheiten. Nicht zuletzt deshalb entzogen sich die Abstimmungsergebnisse einer klaren Deutung. Beide Seiten feierten sie als Erfolg: die zustimmenden Gewerkschaften und die Konzernleitung, weil man ja die Abstimmung gewonnen hat; die Ablehnenden, weil sich fast 50% der Beschäftigten nicht haben einschüchtern lassen.
Dass sich die FIOM dem Diktat trotz aller angedrohten Konsequenzen widersetzt, ist auf das weit verbreitete Bewusstsein zurückzuführen, dass die Arbeiterrechte in harten und langen Kämpfen errungen wurden. In bemerkenswert scharfem Ton erklärte die FIOM nach der Abstimmung in Mirafiori, dass das Diktat bei Fiat ein Teil des größten kapitalistischen Angriffs auf die Rechte der ArbeiterInnen seit 1945 sei. Sich dagegen zu wehren, sei eine Pflicht, und zwar sowohl gegenüber den Generationen, von denen die Rechte einst erkämpft worden waren, als auch gegenüber kommenden Generationen.
Bislang allerdings folgten auf diese Ankündigung lediglich zwei Aktionstage am 27. und 28. Januar, die nach Angaben der FIOM ein großer Erfolg, nach Angaben der rechten Gewerkschaften hingegen ein großer Flop gewesen seien. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Neben einem eintägigen Streik in der Metallbranche gab es Demonstrationen in 22 Städten, an denen sich auch viele SchülerInnen und Studierende beteiligten, die sich ihrerseits bereits seit Jahren gegen Kürzungen und unsägliche Reformvorhaben zur Wehr setzen. FIOM-Chef Maurizio Landini erklärte in einer Rede in Bologna, dass die Aktionstage nur ein Auftakt sein könnten und dass es nun einen großen, alle Branchen umfassenden Generalstreik geben müsse (siehe auch den Beitrag aus Italien aus Meldungen aus der IAA). Nur durch die Ausweitung der Kämpfe, so Landini weiter, lasse sich die Phalanx von Fiat, Confindustria und Regierung in die Knie zwingen. Dafür erntete er zwar tosenden Applaus auf der Kundgebung, ließ bislang jedoch keine Taten folgen.
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