Mit einem Hungerstreik kämpfen 300 MigrantInnen in Griechenland für ihre sozialen Rechte
Um die Legalisierung ihres Aufenthaltes durchzusetzen, befinden sich seit Ende Januar 300 MigrantInnen in Athen und Thessaloniki im Hungerstreik. Im „Aufruf der Vollversammlung der Hungerstreikenden“ heißt es: „Wir sind Migrantinnen und Migranten aus ganz Griechenland. Wir kamen hierher, vertrieben von Armut, Arbeitslosigkeit, Kriegen, Diktaturen. Die multinationalen Konzerne des Westens und ihre politischen Handlanger in unseren Heimatländern haben uns keine andere Wahl gelassen, als zig Mal unser Leben zu riskieren, um an Europas Pforte zu gelangen. Der Westen, der unsere Länder ausplündert, mit seinem unvergleichlich höheren Lebensstandard, ist für uns die einzige Hoffnung, wie Menschen zu leben.“
Die meisten von ihnen leben und arbeiten seit Jahren in Griechenland. Alle Anstrengungen, einen legalen Status zu erlangen, waren jedoch vergeblich. Sie haben viel Geld für Behörden, Anwälte und Gerichte ausgegeben, ohne dass sich ihre Situation verbessert hätte. Im Gegenteil, seit Ausbruch der wirtschaftlichen Krise hat sie sich massiv verschlechtert. Nicht nur Faschisten und Rassistinnen machen Stimmung, auch PolitikerInnen der staatstragenden Parteien präsentieren MigrantInnen als Schuldige für die miese wirtschaftliche Lage. Dazu die Hungerstreikenden: „Wir befinden uns in unwürdigen Zuständen und im Dunkel der Illegalität, damit die Arbeitgeber und die staatlichen Institutionen von der brutalen Ausbeutung unserer Arbeit profitieren … Je mehr Löhne und Renten gekürzt werden, je teurer alles wird, desto mehr werden Migranten als Schuldige vorgeführt, als Verantwortliche für die Verelendung und die brutale Ausbeutung der griechischen Erwerbstätigen und Kleinunternehmer.“ Und weiter: „Vorschläge der extremen Rechten werden als staatliche Politik verkündet: eine Mauer am Évros, schwimmende Internierungslager, europäisches Militär in der Ägäis, Repression in den Städten, Massenabschiebungen. Sie wollen die griechischen ArbeiterInnen überzeugen, … dass wir für den beispiellosen Angriff ihrer eigenen Regierung verantwortlich sind.“
Zu Beginn des Streiks hatten antirassistische Gruppen die Streikenden von Kreta auf das Festland begleitet und zunächst in einem leerstehenden Gebäude der Juristischen Fakultät in Athen untergebracht. Nach immensem politischen Druck, zähen Verhandlungen und tagelanger Medienhetze, um das in Griechenland existierende Universitätsasyl sturmreif zu schießen, welches es Polizei und Militär verbietet, das Uni-Gelände zu betreten, verließen die MigrantInnen, umzingelt von einem riesigen Polizeiaufgebot, die Fakultät. Mit vielen hundert UnterstützerInnen zogen sie mit einer Demonstration ins Mégaro Ypatía, ein Gebäude nahe des Archäologischen Museums, um. Dort herrschen miserable Zustände, das Haus ist viel zu klein und viele müssen in Zelten übernachten. Medien und Politik setzen die Streikenden unter enormen Druck, eine Legalisierung wurde kategorisch ausgeschlossen. Offen rassistisch erklärte die Staatssekretärin im Arbeitsministerium, Anna Ntalára: „Ich stimme keinesfalls mit der Forderung nach sofortiger Legalisierung überein … Diese Menschen haben keine Kultur, sie sind anders als wir.“ Der Innenminister Chrístos Papoutsís rief alle migrantischen Vereine auf, sich zu distanzieren und nicht zur „Unruhestiftung“ beizutragen. UnterstützerInnen und sogar die Fährgesellschaft ANEK, mit der die Gruppe übersetzte, wurden des „Menschenhandels“ angeklagt. Für ANEK etwas Neues, wurde sie doch bisher von AntirassistInnen für ihre bereitwillige Kooperation bei Abschiebungen angegriffen.
Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen der „Verbreitung von Lügen“ und der „Kultivierung eines Klimas der Angst“ forderten dagegen Vertreter der Streikenden auf einer Pressekonferenz Mitte Februar. Zuvor hatte der Gesundheitsminister, Andreas Lowérdos, das Mégaro Ypatía als „Infektionsbombe“ und „Gefahr für die Volksgesundheit“ bezeichnet. Pétros Giótis, ein Sprecher der Solidaritätsinitiative, in der antirassistische, anarchistische und linke Organisationen zusammenarbeiten, erklärte, dass ein „Ärzteteam aller Fachgebiete“ die Streikenden rund um die Uhr betreue. Der Pathologe Thanásis Karambélis versicherte „dem Minister und dem griechischen Volk“, dass es „keinen einzigen verdächtigen Fall einer Infektion“ gebe.
Die Streikenden scheinen entschlossen: „Die Antwort auf die Lügen und die Barbarei muss jetzt gegeben werden … Wir setzen unser Leben aufs Spiel, um jetzt die Ungerechtigkeit zu unseren Lasten zu stoppen. Wir fordern die Legalisierung aller MigrantInnen, wir fordern die gleichen politischen und sozialen Rechte und Pflichten wie griechische ArbeiterInnen.“ Der Hungerstreik, der sich weiter zugespitzt hat, seit am 18. Februar drei Beteiligte nach einem Schwächeanfall in Krankenhaus eingeliefert wurden, ist so auch ein Arbeitskampf, ein Kampf für Gleichberechtigung und gegen Sozialabbau. Zwar findet er in Thessaloníki und Athen statt, doch ist seine Bedeutung global. Gerade die BRD ist maßgeblich für die restriktive Flüchtlingspolitik der EU verantwortlich. Hier werden verlogene Debatten um Integration geführt, während institutioneller Rassismus viele EinwanderInnen systematisch ausschließt. UnterstützerInnen – darunter auch die syndikalistische ESE – rufen deshalb zur internationalen Solidarität auf. Solidaritätskundgebungen fanden bereits in Frankfurt, Berlin, Göttingen, Leipzig, München und Köln statt.
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