Der Winter in Berlin ist mild geworden. Tausende Menschen ziehen mit roten Fahnen und einem Haufen Pappschildern vom Treffpunkt Frankfurter Tor Richtung Gedenkstätte in Friedrichsfelde. Mir scheint, ich befinde mich auf der größten Mottoparty Berlins. Das Thema ist unverkennbar: „Arbeiterführer“. Zwei Reihen vor mir erkenne ich Karl Marx. Er schaut unruhig von links nach rechts. Vermutlich hält er nach seinem Freund Friedrich Ausschau. Am Rand steht Clara Zetkin und verteilt schlecht kopierte DINA5-Flyer. Franz Mehring eilt schon mal vor raus. Er muss zur Gedenkstätte – die Bratwürste für die Genossen auf den Grill werfen. Sogar Josef Stalin hat sich hier her getraut – mir graut’s: Es ist „Liebknecht-Luxemburg-Gedenkdemo“.
Bei all den „Arbeiterführern“ habe ich eigentlich nur einen wirklich vermisst – den ersten Vorsitzenden der SPD: Sigmar Gabriel. Hatte der doch kürzlich erst im ZDF-Morgenmagazin verkündet, die SPD sei „… wieder Partei der Arbeit“. Man stelle sich das einmal vor: Karl Marx, Friedrich Engels und jetzt Sigmar Gabriel … unser Arbeiterführer. Ähem, welcher Schlingel des ZDF-Morgenmagazins hat dem SPD-Vorsitzenden da eigentlich was in den Kaffee gerührt?! Und wenn es nicht der Typ vom ZDF-Morgenmagazin war, der den Kaffee überzuckert hat, was ist dann in den Insolvenzverwalter der SPD gefahren?! Ist es die bloße Existenzangst der Partei, der Angstschweiß, die Zerstrittenheit der Flügel, die Orientierungslosigkeit nach dem Wahldebakel von 2009? „Wie wird die SPD wieder sexy?“, titelte die SPD-Mitgliederzeitung Vorwärts in ihrer Novemberausgabe. Eine gute Frage. Gerechtfertigt ist allerdings auch die Gegenfrage, die Peter Dausend in der Zeit stellte: „Wer hat hier eigentlich das Wörtchen ‚wieder‘ eingeschmuggelt?“ Denn den Ruf überbordender Erotik hatte die SPD noch nie inne. Da hat doch jemand die Signale überhört!
Ganz im Gegensatz zu Gesine Lötzsch, auch so eine Arbeiterführerin. Die hat die Signale nicht nur nicht überhört, die hat sie sogar selber ausgesendet, als sie in der Jungen Welt dazu aufrief, wieder Wege in Richtung Kommunismus auszuprobieren. Sehr zur Freude der bürgerlichen Presse, der Boulevardjournaille und dem bürgerlichen sowie ultrarechten Parteienspektrum. Die Linke ließe „Zweifel an ihrer demokratischen Grundorientierung aufkommen“, so Gabriel in der Süddeutschen. Und weil das Bekenntnis zum Kapitalismus ja derart von einer demokratischen Gesinnung zeugt, könne man, nein müsse man jetzt auch als Bewahrer der Demokratie ernsthaft über ein Verbotsverfahren für solche antidemokratischen, vermeintlich antikapitalistische Signale sendenden Parteien nachdenken, so CDU/CSU. Ja, ja, das kommunistische Gespenst scheint schon wieder sein Unwesen zu treiben und wie gut, dass man als Anarchist nix mit diesem Bundeskasperletheater-Superwahljahrdingsbums zu tun haben muss.
Aber die Marxens und Liebknechts auf der Gedenkdemo regen sich natürlich auf. Da wird man als Kommunist mal wieder so richtig schön durch den Kakao gezogen und kann im Prinzip nix dagegen tun. Außer brüllen. Aber das macht ein echter Berliner ohnehin jeden Tag. Fällt also auch nicht weiter auf.
Lötzsch glaubt ja ernsthaft, sie hätte mit ihrem Ausspruch in ein Wespennest gestochen und die Aufregung sei deswegen so gewaltig, weil die neoliberalen Drohnen bereits vor der nächsten Revolution zittern. Dann schaue ich mich auf der Liebknecht-Luxemburg-Gedenkdemo um und zittere auch. Ich fürchte nämlich, dass diese Revolution niemals eintreten wird.
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