Der Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender Kiel veranstaltete vom 08. Januar bis zum 05. Februar 2011 an wechselnden Orten in Kiel den „Monat des Comics“. Die Veranstaltungen reichten von Ausstellungen regional wie überregional bekannter ComiczeichnerInnen über verschiedene Filmdokumentationen bis hin zu Vorträgen. Grund genug, sich einmal näher mit dem Medium auseinanderzusetzen und nach den Möglichkeiten und Grenzen des grafischen Erzählens zu fragen.
Zwischen Antike und Max und Moritz
Warum wird eine Veranstaltungsreihe zum Thema Comic von einer sich als links verstehenden Gruppe organisiert? Steckt in der Form Comic politisches Potenzial? Und wenn ja, wie viel? Die Geschichte des Erzählens in Bildern lässt sich weit zurückverfolgen. Manche Wissenschaftler gehen bis in die Antike zurück, andere bis zu Wilhelm Buschs „Max und Moritz“. Wiederum andere sehen die Geburtsstunde des modernen Comics in der Veröffentlichung der ersten Strips gegen Ende des 19. Jahrhunderts in amerikanischen Tages- und Wochenendzeitungen – in billig gedruckten Zeitungsbeilagen erreichte der Comicstrip zum ersten Mal ein Massenpublikum in den USA und wurde später auch von europäischen Verlegern adaptiert. Von den meisten Comicforschern (ein Forschungszweig, der in Deutschland vor allem in den Medienwissenschaften in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat) wird „The Yellow Kid“ von Richard Felton Outcalt als erster Comic der (Zeitungs-)Geschichte gehandelt.
Ungeachtet der Geschichte und genauen Verortung des Mediums existiert heute eine thematisch wie ästhetisch breit gefächerte internationale Comic-Kultur (zur Erhöhung des Absatzes von den großen Verlagen und Buchhandlungen mittlerweile auch gern als „Graphic Novel“ bezeichnet), deren europäisches Zentrum zweifelsohne in Frankreich auszumachen ist. Die „BD“ („bande dessinée“) werden dort auch gern als „neunte Kunst“ bezeichnet und im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum muss ein Erwachsener, der seine Vorliebe für Comics offenbart, dort mit weitaus weniger verwunderten Blicken rechnen. Hier sind Zeichner wie Jacques Tardi („Elender Krieg“, „Das Ende der Hoffnung: Für Volk und Vaterland“ u.a.) zu finden, die es verstehen, in ihren Werken gesellschaftspolitische Themen wie Krieg, Vertreibung und Völkermord, sowie die individuellen Folgen und das persönliche Grauen auf den Punkt zu bringen.
Wenn Bilder mehr sagen als Worte
Das Zentrum des politischen Comics liegt allerdings nicht zwingend in Frankreich: Art Spiegelman, dessen Eltern Auschwitz überlebten und 1951 in die USA emigrierten, erhielt als erster Comiczeichner 1992 den Pulitzer Preis für seine Aufarbeitung des Holocausts in „Maus – A survivor’s tale“. Die Gesamtausgabe wird mittlerweile in Deutschland von der Bundeszentrale für politische Bildung verlegt – die vier Euro sind eine lohnende Investition!
Die Aufarbeitung der dunklen Episoden der Menschheitsgeschichte im Medium des Comics hat in den vergangenen Jahren zugenommen – was sich nicht zuletzt in Comicverfilmungen wie „Waltz with Bashir“ oder „Persepolis“ zeigt. Andere jüngst erschienene Beispiele sind „Insel der Männer“, eine Graphic Novel, welche das Schicksal einer Gruppe homosexueller Männer in einem Internierungslager zur Zeit des italienischen Faschismus behandelt, oder „Rembetiko“, der 24 Stunden im Leben von fünf Musikern erzählt, die unter der Repression und Verfolgung des griechischen Diktators Ioannis Metaxas zu leiden haben.
Dennoch bleibt die zu Anfang gestellte Frage unbeantwortet: Wo liegen die politischen Möglichkeiten und Grenzen des Mediums? Ein Medium im Rahmen eines solchen Artikels per se als politisch zu bezeichnen, wäre etwas vorschnell. Trotz allem lassen sich in der dem Comic spezifischen Verschränkung von Text und Bild Sinnzusammenhänge, Widersprüche, Selbstreferenzialität und Ironie ausdrücken wie in keinem anderen Medium. Das Wort charakterisiert und spezifiziert die Zeichnung – die Zeichnung unterstreicht den emotionalen Gehalt der Worte. Eine einzige gut getroffene Zeichnung kann dem Leser mehr vermitteln als mehrere Seiten wörtlicher Beschreibung einer Person oder Szenerie. Genau in dieser Lücke zwischen Text und Bild entsteht die Spannung, die es dem Medium Comic ermöglicht, persönliche und gesellschaftliche Geschichte so zu verbinden und aufeinander zu beziehen, dass persönliche Schicksale zum Symbol des Gefühls einer Epoche werden können.
Weitere bunt gemischte Lesetipps politischer/historischer Comics:
„Ghost
World“ (Daniel Clowes), „Feuer“ (Lorenzo Matotti), „Der Fotograf“
(Emmanuel Guibert), „Der alltägliche Kampf“ (Manu Larcenet), „Palestine“
(Joe Sacco), „Die Insel der Männer“ (Luca de Santis/Sara Colaone),
„Rembetiko“ (David Prudhomme)
Verlage: Reprodukt, Edition Moderne, Schreiber & Leser
Glossar:
- Comic: Gängiger Begriff für eine Kunstform, die in einer Folge von Bildern einen Vorgang beschreibt oder eine Geschichte erzählt. Im Medium des Comic verschränken sich Literatur (Text) und bildende Kunst (Bild).
- Graphic Novel: Der Begriff stammt aus dem US-amerikanischen Raum und bezeichnet im Regelfall einbändige Comics im Buchformat, die sich an ein älteres Publikum richten und deren Geschichten meist in sich geschlossen sind.
- Cartoon: Ein Cartoon ist eine Grafik, die eine komische oder satirische Geschichte in einem Bild erzählt. Ein Cartoon kann auch gesellschaftliche oder politische Zustände in den Blick nehmen, die Pointe ist dabei jedoch unabhängig vom tagespolitischen Geschehen verständlich (im Gegensatz zur Karikatur)
- Karikatur: Gezeichneter kritischer Kommentar zum politischen Tagesgeschehen, dessen Mittel die überzeichnete Darstellung von Menschen oder gesellschaftlichen Zuständen ist.
- Comic Strip: Ein auf wenige Bilder (sog. Panels) beschränkter Comic. Comic Strips erschienen zuerst in den amerikanischen Tages- und Wochenendzeitungen Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Format des Strips wurde in seinen Anfängen vor allem durch die Ansprüche der Verlage bestimmt.