Wie viele Menschen bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, bislang ihr Leben ließen, weiß niemand genau. Jedes Jahr verdursten Menschen auf dem Weg durch die Wüste, ertrinken bei der Überfahrt oder ersticken zusammengepfercht in Lastwagen und Containern.
Trotz des hohen Risikos nutzen viele Menschen die Übergangsphase nach dem Sturz des tunesischen Machthabers, um der sozialen Misere und Perspektivlosigkeit zu entfliehen. Die Arbeitslosenquote in Tunesien liegt offiziell über 14 Prozent, mancherorts beträgt sie 30 Prozent. Vor allem junge Menschen sind gezwungen, ihr Leben als illegale Straßenhändler, im Tourismus oder als Hilfsarbeiter in der Zulieferindustrie zu bestreiten. Seit Beginn der Aufstände in Nordafrika sind 23.000 Menschen auf der Mittelmeerinsel Lampedusa eingetroffen.
Für die meisten, die die Flucht überstehen, beginnt in Europa ein oft jahrelanger Überlebenskampf. Die entwürdigenden Zustände, die illegalisierte ArbeiterInnen in Europa erwarten, belegt jüngst ein Bericht der Flüchtlingsschutzorganisation Pro Asyl am Beispiel Italiens. Demnach werden Bootsflüchtlinge für max. sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Laut Bericht ist das Aufnahmesystem jedoch völlig überlastet. So kamen im Jahr 2009 auf 3.000 Plätze ca. 17.000 Betroffene. „Ein staatliches Sozialsystem, das Wohnraum und ein Existenzminimum garantieren würde, steht Asylsuchenden ohne Obdach nicht zur Verfügung“, heißt es weiter. Auch Zugang zur Gesundheitsversorgung haben diese Schutzsuchenden nicht. Außerdem haben sie große Schwierigkeiten, eine legale Arbeit zu finden – und sind deshalb gezwungen, in äußerst ausbeuterischen Verhältnissen zu arbeiten.
Trotz der Zustände in den italienischen Aufnahmelagern und der täglich anschwellenden Zahl von Flüchtlingen aus Nordafrika, setzen die EU-Mitgliedsstaaten weiter auf Abschottung. Auf einem EU-Treffen Mitte April drohte der deutsche Innenminister Friedrich (CSU) mit verstärkten Kontrollen an deutschen Grenzen. Zuvor hatte Italiens Premier Berlusconi angekündigt, 20.000 ImmigrantInnen eine 6-monatige Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Ungeachtet dessen setzt Rom seine Strategie der Migrationskontrolle fort. Bereits Anfang April begann Italien im Einvernehmen mit der neuen tunesischen Regierung mit Massenabschiebungen und stellte dem nordafrikanischen Land neben Ausrüstung auch 300 Mio. Euro zur „Flüchtlingsabwehr“ in Aussicht.
Angesichts dessen kritisieren Hilfsorganisationen seit langem die sog. Dublin-II-Verordnung, wonach der EU-Staat der Ersteinreise für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Darüber hinaus fordern sie ein Ende der hochgerüsteten Überwachung der Außengrenzen, die Flüchtlinge auf immer riskantere Fluchtrouten zwingt. Stattdessen verlangen Experten u.a. die Schaffung legaler Einreisemöglichkeiten. Nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation „Fortress Europe“ starben entlang der EU-Außengrenzen seit 1988 mindestens 14.714 Menschen.