Die Zukunft ist ungewiss, allerdings gibt es positive Zeichen. Die ägyptische Revolution wurde doppelt aus einem Generalstreik geboren. Zum einen rührt die (jugendliche) „Bewegung 6. April“ aus der Unterstützung eines an diesem Tage im Jahr 2008 zerschlagenen landesweiten Generalstreiks her. Zum zweiten nahmen ArbeiterInnen zuerst individuell und dann kollektiv am Aufstand gegen Mubarak teil. Grundsätzlich lässt sich für Tunesien und Ägypten festhalten, dass die Generalstreiks den Diktatoren den entscheidenden Tritt verpasst haben.
Auch Monate später ist Ägypten voller Bewegungen: Konservative, wie die islamistischen Salafiten oder die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Muslimbruderschaft; Liberale, säkulare und linke Parteien und Gruppen befinden sich im Aufbau; Frauengruppen und die religiöse Minderheit der Kopten kämpfen für ihre Rechte; Menschen, die wegen ihrer Herkunft diskriminiert wurden, fordern Gleichbehandlung; Menschenrechtsgruppen sind ständig im Einsatz…
Die heterogene revolutionäre Jugendkoalition, darunter die Bewegung 6. April, aber auch die Muslimbrüderjugend, greift in die Prozesse ein und verleiht den Forderungen der Revolution u.a. mit freitäglichen Massenversammlungen Nachdruck. In 220 von 280 Distrikten haben sich „people’s committees“ zum Schutz der Revolution gegründet. Studierende privater wie staatlicher Hochschulen führen ihre Campus-Revolutionen gegen Staatssicherheit und alte Autoritäten durch.
Gegen die richtet sich auch die Arbeiterbewegung, die seit 1998 etwa 3.500 Streiks, Sit-ins und andere Proteste mit insgesamt mehr als zwei Mio. TeilnehmerInnen durchgeführt hat. In vielen Einrichtungen fordern ArbeiterInnen den Rücktritt Mubarak-Getreuer und korrupter Manager. Die Angestellten des Staatsfernsehens harren dafür wochenlang vor dem Hauptsitz des von alten Kadern kontrollierten Staatssenders aus. Die „Revolutionary Socialists“ berichten, dass die Angestellten eines Krankenhauses ihren Direktor erst rausgeschmissen, dann den vom Ministerium vorgesetzten abgelehnt und schließlich einfach einen selbst gewählt haben.
Es vergeht kein Tag, ohne dass ArbeiterInnen für ihre Rechte einstehen: in den Textilfabriken von Shebin und Mahalla, beim Suezkanal, in Elektrizitätswerken oder im Öffentlichen Dienst. Eine unabhängige Gewerkschaftsföderation hat sich gegründet. Forderungen sind ein angemessener Mindest- und Maximallohn, um das unerträgliche Lohngefälle einzudämmen, die Umwandlung befristeter Verträge, bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, die Auszahlung von Abfindungen, Rücknahme von Privatisierungen, die Auflösung der staatlichen Einheitsgewerkschaft und Gewerkschaftsfreiheit.
Es vollzieht sich ein Feuerwerk sozialer Kämpfe, das sich unauslöschlich in die Gesellschaft einprägen wird. Neu kämpft gegen Alt. Mut gegen Angst. Demokratische Kultur gegen Autoritarismus. Vielfältige Möglichkeiten gegen eingeengte „Sachzwänge“, wie die Forderung, zur Arbeit zurückzukehren, um Ägypten aufzubauen. Allerdings haben die ArbeiterInnen nicht Jahrzehnte gekämpft, um weiter zu hungern – und die Weichen für die Zukunft werden jetzt gestellt.
Dies zeigt sich auch anhand zweier Gesetze, die im Ausnahmezustand „wirtschaftsschädliche“ Proteste und Streiks kriminalisieren und die Störung des Friedens unter Strafe stellen. Die ersten Opfer dieser Gesetze waren Pro-Demokratie-AktivistInnen. Anfang April kamen zwei bei einer Räumung des Tahrir-Platzes ums Leben. Der Blogger Maikel Nabil wurde nach einem kritischen Beitrag wegen „Beleidigung des Militärs“ und „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Armee verlangte bereits Ende Februar von der Presse, nicht ohne ihre Kontrolle über das Militär zu berichten. Dennoch zeigen die beständigen Proteste ihre Wirkung: Die Armee musste eine Regierung austauschen, Mubarak inhaftieren, Gouverneure und Zeitungschefs umbesetzen und die alte Staatssicherheit auflösen. Zudem will man auf die Forderungen nach einem Mindestlohn eingehen.
Eine wirkliche demokratische Umwälzung der Strukturen hängt aber davon ab, ob im Kampf um die Wahrheit die Bevölkerung erreicht wird und Kritik an der Armee enttabuisiert wird. In einem offenen Brief schreibt ein Blogger: „Wir haben bereits einen [Diktator] rausgeschmissen und sind bereit, uns eines weiteren zu entledigen.“ So einfach lässt man sich also nicht einschüchtern, nachdem 800 Menschen den Kampf gegen die Diktatur mit dem Leben bezahlten. Auch die Arbeiterbewegung zeigt sich bisher unbeeindruckt. Wir dürfen gespannt sein.
Laufend aktualisierte Informationen zum Kampf der ArbeiterInnen in Ägypten für soziale Rechte, bessere Löhne und gegen das alte Regime gibt es über die Facebook-Seite „Solidarity with workers in egypt (and middle east)“. Oder bleibe auf dem Laufenden mit Twitter: egyworkersoli.
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