Der Weltspiegel und das Auslandsjournal haben es deutlich gemacht: Es sind wissenshungrige, nach Information lechzende junge Kreativköpfe, die die arabischen Massen in den Kampf gegen ihre Diktatoren führen – inspiriert durch den Hort der digitalen Freiheit. Das letzte Gefecht, es scheint eines um und mit den vielzitierten „neuen Kommunikationsmitteln“ zu sein – entsprechend dem „Qualifikationsniveau“ des revolutionären Subjekts: dem gesellschaftlichen ‚User’. Dieser ist als globale Erscheinung Hauptprotagonist der sich seriös nennenden Nachrichtensendungen. Claus Kleber rüffelt im ‚bescheiden’ aufgemotzten ZDF-Nachrichtenstudio die mangelnde Partizipation der Berliner Bevölkerung an einer Facebook-Aktion zur Befreiung des chinesischen Künstlers Wei Wei, Tom Burow bewundert hinsichtlich der tunesischen Revolution das politische Bewusstsein der globalen Internetklasse. Egal was auf der Welt passiert, die hiesigen Medien durchdringen in atemberaubender Geschwindigkeit Motivation und Ziele der involvierten Menschen, und arbeiten ihre Softskills heraus. Die Welt strebt ihrem Zustand als Social Network entgegen, immer geupdated, reaktionsschnell, entscheidungsfreudig. Das Fernsehen hat den Wettlauf mit dem Internet abgebrochen und versteht sich nun als Teil einer community, die vorgeblich allen offen steht. Zu allem und jedem kann gevotet, jedes Thema in einem virtuellen Stammtisch endlos weitergetragen werden.
Wer führt die globale Volksfront?
Die Freiheits-Community der schönen neuen Welt, die ARD und ZDF am Horizont aufziehen sehen, sie verlangt in der Diktion ihrer medialen Inszenierung nach der Durchsetzung der modernen Gesellschaft entgegen allen veralterten Hindernissen, die da wären Despotismus, religiöser Fundamentalismus, wirtschaftliche Eigenständigkeit und Klassenbewusstsein. Denn die fleißigen Organizer als angebliche Köpfe der „Demokratiebewegungen“, die uns das Fernsehen aus Damaskus, Gaza, Kairo, Tunis und auch Peking immer wieder in einer Art Starschnitt präsentiert, sie alle, wirklich alle sprechen wahnsinnig gut Englisch, haben im Ausland studiert, sind Software-Experten und manchmal auch Expertinnen, und entnehmen ihre Erfahrungen bei der Aufstandsplanung direkt den „low hierarchy“-Konzepten schlanker Internetfirmen. Die New York Times spricht bei einem jungen Palästinenser von einer Mischung aus „Apple Gründer Steve Jobs und Ghandi“. Der pure Wahnsinn. Allein: Die Akteure der Aufstände zwischen Tunis, Sana und Damaskus verfügen in ihrer klaren Mehrheit nicht über eigene Computer, oftmals noch nicht mal über die Möglichkeit zu einem Internetanschluss. Während die ARD noch über eine Anti-Mubarak-Facebook-Seite mit 10.000 „Gefällt mir“-Klicks berichtet, stehen in den Armenvierteln Kairos hunderttausende Mitglieder einer ganz anderen Community bereit, sich gegen Armee und Polizei aufzulehnen. Denn von den „sozialen Netzwerken“, die noch auf real-life-Versammlungen in Echt-Zeit setzten, nehmen unsere Medien kaum Notiz. Wie auch – bei der Jagd nach „O-Tönen“ und „Background Stories“ zählt jede Sekunde, und der Besuch in einem ägyptischen Slum in Zeiten des Aufruhrs bedarf schon etwas genauerer Planung. Eine google-Recherche oder Facebook-Suche fördert dagegen leicht Erreichbares sowie leicht Verdauliches zu Tage: Junge Studierende, JournalistInnen und KünstlerInnen, die bisher so einigermaßen auskamen und die im Notfall zumindest die vage Chance haben, sich als hochqualifizierte Einwanderer in die westlichen Industrienationen absetzen zu können.
Revolution und Aufruhr als Feierabend-Snack
Dass sich die Medien aus diesen Kreisen ihre Helden und Heldinnen der Revolutionen und Aufstände zimmern, hat aber noch einen anderen Grund als den einer bequemlichkeitsbedingten Verkürzung durch die jeweiligen KorrespondentInnen. Nachrichten sind ein Value, also gleich einem Produkt – und dieses muss an den Markt gebracht werden. Konsumierbar sind die Informationen jedoch nur, wenn es ein klares Angebot zur Identifikation bzw. Antipathie gibt. Das Aufspalten und Differenzieren der Aufstandsbewegungen ist da nur eine Sache, die für sich schon zu viel ist: für 3 Minuten „Tagesschau“, 15 Minuten „Weltspiegel“ oder 30 Minuten „Brennpunkt Spezial“. Verunmöglicht wird die Angelegenheit aber dann, wenn die Inhalte komplett unkompatibel zu den sonstigen Wertmaßstäben sind, die das Fernsehen vermittelt – etwa Streiks gegen die prototypisch neoliberale Arbeitsmarktpolitik Mubaraks. Die Produzenten und Produzentinnen der Nachrichtensendungen müssen also auf eine das gesamte Senderkonzept mit einbeziehende inhaltliche Konsistenz achten: Entweder es wird auf Antipathie gesetzt und festgefahrene Klischees bedient – so hat etwa der jemenitische Staat jahrelang, bis zum Zeitpunkt der Aufstände, laut Medien zusammen mit Saudi-Arabien einen Krieg nicht gegen die eigene Bevölkerung, sondern gegen Al Quaida geführt – oder aber die Identifikation muss komplett sein. Dafür ist Voraussetzung, dass den Zuschauenden suggeriert wird, sie könnten die Aufständischen klar einordnen, dass es für sie ein Leichtes wäre, deren Lebenshintergründe, Motivationen und Mittel nachzuvollziehen. Den jung-dynamischen Facebook-Revoluzzer kann das deutsche Publikum genauso gut verstehen wie es einen islamistischen Selbstmordattentäter nicht zu verstehen braucht, beide medialen Angebote sind klar in ihrer Ausrichtung und bescheiden in ihrem Anspruchsniveau an die andere Seite des Bildschirms. Die Masse derjenigen, die aus diesen Bildern herausfallen, lässt sich jedoch nicht in kurzen schnellen MAZen einfangen und darstellen, und würde zudem eine derart eingehende Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen verlangen, dass sich das Ganze eh nicht mehr in kleinen Happen servieren lassen würde.
Politisches Bewusstsein der medialen Klasse
Schließlich aber sind es nicht bloß äußere und innere Zwänge der journalistischen Ökonomie, die zur Produktion des Stückes „Wissensgesellschaft vs. Diktatorzombies reloaded“ (als Fortsetzung des Kassenschlagers „Das Ende der Geschichte: Der Fall des eisernen Vorhangs“) führen. Vielmehr kann wohl tatsächlich bewusstes Handeln bei den medialen Akteuren unterstellt werden, auch wenn sich dabei womöglich gefährlich nah an einer Verschwörungstheorie bewegt wird. Doch statt von einem manipulativen Geheimbund in dunklen Kutten im fackelbeleuchteten Untergrund, soll hier vielmehr von einem industriellen Konglomerat gesprochen werden, welches die Bewusstseinbildung seiner Subjekte direkt mit der eigenen Reproduktion verbindet: Ob Henri-Nannen-Journalismus-Schule, Bertelsmann Stiftung oder der in einer solchen Aufzählung unvermeintliche Axel-Springer-Verlag, all sie produzieren nicht bloß Medien und Nachrichten, sondern nicht zuletzt eben auch Journalisten und Journalistinnen. Das Erlernen des Handwerks, die Anwendung des selben in einer Konkurrenzsituation und schließlich das „Sich Einrichten“ in der nimmer müden Diskursmaschinerie der modernen Medienwelt – die Produktionsverhältnisse sind den Inhalten klar vorgelagert. Da sowohl die privaten Mediengiganten als auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen trotz aller Bewunderung für die losen liberalen LeistungsträgerInnen der Facebook-Bewegung sich selbst ultra hierarchisch organisieren – auf der einen Seite der Staat, auf der anderen die Hauptaktionäre und -aktionärinnen, hier die Intendanten, dort die Geschäftsführung – werden die strategischen Positionen schließlich von denen ausgefüllt, die das aus den Bedingungen für die Produktion von Medien gewonnene Bewusstsein am effizientesten während ihrer Karriere anzuwenden wussten. Flankiert von einer nicht von der Hand zu weisenden Verschmelzung mit der politischen Kaste – Parteien und Medien arbeiten seit jeher bei der Generierung von Nachrichten Hand in Hand – folgen die Verantwortlichen der Medienwelt einem klar politischen Selbstbild. Sie sehen sich als „vierte Gewalt“, Säule des bürgerlichen Staates, schreiben sich einen „Bildungsauftrag“ zu und gehen immer unverhohlener dazu über, Wahrheiten zu postulieren (das „Heute Journal“ ist dafür das vielleicht aggressivste Beispiel).
Großväterchen Sokrates, sprich zu uns!
Eine Kritik an der medialen Rezeption des gesellschaftlichen Umbruchs in der arabischen Welt soll natürlich nicht vulgär-marxistischen Ideologien im Gewand sogenannter „Gegeninformation“ das Wort reden. In den unzähligen Texten, die deutsche Linke in den letzten Monaten zu den Revolutionen verfasst haben, werden die Aufständischen meist genauso zu haarsträubenden Stereotypen zusammengefasst, wie es in dem Märchen der Mainstream-Medien von den Laptop-FreiheitskämpferInnen der Fall ist. Die einen sehen eine „bürgerliche Revolution“ am Werk, die die Machtübernahme durch das Proletariat vorbereite, andere ein antiimperialistisches Aufbegehren, und wieder andere können nicht anders als allem und allen eine antisemitische Grundmotivation zu attestieren. Dabei greifen die Schreiberlinge wohl fast immer lediglich auf ein paar Internetartikel, die Bilder des Fernsehens und ihr festgefahrenes Weltbild zurück. Was die Richtung der angestoßenen Entwicklung in der arabischen Welt angeht, wäre vielleicht ein entschlossenes „Ich weiß, das ich nichts weiß“ angebrachter. Der Rest ist eine politische Entscheidung: Wer es nicht hinnehmen will, dass die neuen Militärregierungen in Tunesien und Ägypten zwar RepräsentantInnen der internet-affinen Mittelschicht mit einbinden, gleichzeitig aber Demonstrations- und Streikverbote aussprechen – und dafür von der deutschen Presse in einem absurden Vergleich als positives Gegenbeispiel zu Gaddafis Regime in den Himmel gelobt werden –, sollte Mittel und Wege finden, diese spezifische Kritik unmissverständlich zu äußern. Doch egal ob mit oder ohne Facebook-Account, auf die freundliche Unterstützung durch Claus Kleber & Co. sollte sich dabei nicht verlassen werden.