Mit dem Hit aus den 1980ern startete am 24. März eine Demo der Sexarbeiterinnen des Dortmunder Straßenstrichs. Rund vierzig Frauen zogen von ihrem Arbeitsplatz in der Ravensberger Straße zum Rathaus. Bunt bekleidet – und durch Perücken, Schals oder Sonnenbrillen unkenntlich – forderten sie den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Rund 80 UnterstützerInnnen und Unmengen von Reportern komplettierten den Demozug.
Die Frauen machten mit Trillerpfeifen, Sprechchören und Schildern mit Aufschriften wie „Ich bin Prostituierte, ich werde diskriminiert“, „Lieber Prostitution als Hartz 4“ oder „Ich ernähre eine Familie“ auf sich aufmerksam. PassantInnen und AnwohnerInnen nahmen das bunte und laute Treiben, die verteilten Flugblätter und Rosen überwiegend wohlwollend zur Kenntnis.
Gebracht hat der Protest allerdings noch nichts. Der Dortmunder Stadtrat beschloss am 31. März, den Sperrbezirk auf die gesamte Stadt auszuweiten. Damit der Beschluss umgesetzt werden kann, ist noch die Zustimmung des Regierungspräsidenten in Arnsberg erforderlich. Sollte diese tatsächlich erfolgen, wird wahrscheinlich dagegen geklagt.
Ende eines Erfolgsmodells
Dabei hatte der Dortmunder Straßenstrich bis vor kurzem noch Vorbildcharakter. Das sogenannte „Dortmunder Modell“, bei dem Ordnungsbehörden, Kriminalpolizei und die Beratungsstelle „Kober“ zusammenarbeiten, fand bundes- und europaweit Anklang. „Hier fährt viel Polizei ‚rum. Die achten auf uns. Das finde ich total gut. Und wenn wir dann im Sperrgebiet sind, dann geht man in Polizeigewahrsam, wird mitgenommen“, sagt Anja, die seit über 23 Jahren als Sexarbeiterin arbeitet. Für Anja ist klar, dass sie notfalls ihrer Tätigkeit wieder im Sperrbezirk nachgehen wird.
Nadja aus Polen arbeitet seit 4 Jahren in der Ravensberger Straße. Sie ärgert sich über die geringe Beteiligung ihrer Kolleginnen an der Demo. „Ich will weiter hier arbeiten. Deswegen bin ich hier bei der Demo. Wer hier arbeiten will, muss mitdemonstrieren, und nicht sagen, ich komme und dann doch nicht mitgehen. Man muss weiter für den Erhalt der Straße kämpfen – egal wie lange – mit allen Frauen.“
Auch Nadja fühlt sich in der Ravensberger Straße sicherer. „In anderen Straßen gäbe es viele Probleme. Da laufen vielleicht Kinder herum. Das wollen die Frauen, die hier arbeiten auch nicht. Diese Straße kennen die Leute und ich denke es wäre blöd hier zu schließen und später neu aufzumachen. Die Frauen wollen alle arbeiten, haben Familie. Das hier ist mein Job. Für mich ist das normale Arbeit.“
Die Stadt hatte den Straßenstrich in der Ravensberger Straße im Jahr 2000 eingerichtet und die Prostitution so aus den Wohnvierteln herausbekommen. In der abseits hinter Einkaufsmärkten gelegenen Straße wurde als Anlaufstelle ein Container aufgestellt. Dort arbeiten 5 Sozialarbeiterinnen (auf 3,5 bezahlten Stellen) der Beratungsstelle „Kober“. Die Frauen, die in der Ravensberger Str. arbeiten, erhalten dort Hilfe und Beratung, können sich aber auch einfach nur aufwärmen, einen Kaffee trinken, zur Toilette gehen. Seitdem 2006 die so genannten Sicherheitsboxen – blickgeschützte Parkboxen mit einer Notfall-Alarm-Vorrichtung – aufgestellt wurden, fanden kaum noch Gewaltübergriffe statt.
Die Zahl der dort arbeitenden Frauen ist im Laufe der Jahre von 60 auf über 600 angestiegen. Darunter sind laut Informationen von „Kober“ rund 200 Bulgarinnen, und damit nähern wir uns dem eigentlichen Konflikt.
Aktivismus der Kommunalpolitik
Seit Bulgarien 2007 EU-Mitglied wurde dürfen sich BulgarInnen legal in Deutschland aufhalten. Insbesondere Roma aus Plovdiv nutzen die direkte Busverbindung nach Dortmund, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie haben ein unbefristetes Aufenthaltsrecht, dürfen hier aber nur als Selbstständige und Gewerbetreibende arbeiten.
So entwickelte sich der sogenannte Schwarzarbeiterstrich. Tagtäglich stehen die Männer an der Mallinckrodtstrasse und hoffen auf einen Job – hauptsächlich auf dem Bau. Beschwerden darüber veröffentlichte die Lokalpresse bereits im September 2007. Polizei und Zoll reagierten mit verstärkten Kontrollen, konnten aber nur in Einzelfällen Schwarzarbeit nachweisen. Da auch andere Straftaten nicht nachweisbar waren, sahen die Verantwortlichen keine Handhabe gegen die regelmäßigen Menschenansammlungen.
Das Thema wurde für die Lokalpresse zum Dauerbrenner. Die Zeitung „WAZ“ berichtete im April 2009, dass sich rund 1000 BulgarInnen in der Nordstadt aufhalten: „Viele wohnen bei Landsleuten, sind hier gemeldet und zahlen für eine Matratze bis zu 200 Euro im Monat.“
Nachdem die Stadt das lange ignoriert hatte, verstärkte sie die Kontrollen und räumte auch einige Häuser. Die repressiven Maßnahmen – deren aktueller Höhepunkt die geplante Schließung der Ravensberger Str. ist – sollen sich bis nach Plovdiv herumsprechen, in der Hoffnung, dass die Menschen nicht mehr daran interessiert sind, sich in Dortmund niederzulassen.
Ob das funktioniert, darf bezweifelt werden. Seit kurzem gibt es auch aus anderen Stadtgebieten Berichte über von Roma überbelegte Wohnungen. Dass die Schließung des Straßenstrichs irgendeine Frau davon abhalten wird ihrer Tätigkeit nachzugehen glaubt sowieso niemand. Bis 2000 war Straßenprostitution im Sperrbezirk in Dortmund der Normalfall. So wird es dann wohl wieder sein – mit ungleich höherem Gefahrenpotential für die Sexarbeiterinnen.