Arbeitsmigration im Kontext liberalisierter Arbeitsmärkte – das europaweite Sozialdumping macht internationale Gegenwehr nötiger denn je
Dabei ist Deutschland das Land mit den höchsten Lohneinbußen und damit selbst Sozialdumper Nummer Eins in der EU. Nach Zahlen des WSI-Instituts sind die Reallöhne zwischen 2000 und 2010 um vier Prozent gesunken. Es ist damit das einzige Land in Europa, das einen solchen Negativtrend aufweist. So etwas lässt natürlich auch die Braunschnäbel von NPD & Co. aufhorchen. Sie halluzinieren mal wieder eine Bedrohung der Arbeitsplätze für „Deutsche“ herbei: An mehreren Orten mobilisieren sie – unter dem Motto „Fremdarbeit stoppen!“ – zu Mai-Kundgebungen und bemühen sich zugleich um einen sozialen Anstrich. Dabei ignorieren sie vollkommen die Abschottung der EU nach außen, die sich parallel dazu im Mittelmeerraum vollzieht (siehe Artikel Europas uneingelöstes Versprechen), ebenso wie die Tatsache, dass die BRD inzwischen ein Auswanderungsland ist.
Tatsächlich sind die KollegInnen längst hier und übernehmen die Drecksarbeit, die andere nicht machen wollen, und zwar – ganz landesüblich – zu Tariflöhnen von z.T. nur zwei Euro. Der polnische Mindestlohn etwa beträgt gerade mal 20 Cent weniger. Wie das funktioniert, hatte Ken Loach bereits in seinem Film „It’s a Free World“ vorgeführt. Darin waren es britische UnternehmerInnen, die in Osteuropa Scheinfirmen aufbauten, um Arbeitskräfte auf die Insel zu locken. Auf solch lukrative Perspektiven, die die Liberalisierung der Arbeitsmärkte eröffnen, ist auch die deutsche Zeitarbeitsbranche „seit langem“ vorbereitet, wie Tomasz Major von der Polnischen Arbeitgeberkammer bereits im November beim ARD-Report durchblicken ließ. Einen Vorgeschmack auf die Folgen gibt das Beispiel des Leiharbeitskonzerns OTTO (siehe Ein Exempel moderner Sklaverei): Durch die profitable Nutzbarmachung von billigen ArbeiterInnen aus dem osteuropäischen Arbeitsmarkt wird es ein gesamteuropäisches Sozialdumping geben. Die Kombination aus konkurrierenden Lohnstrukturen und flexibilisierten Leiharbeitspraktiken unterläuft das Equal Pay-Prinzip gleich doppelt.
Bereits 2006 sollten mit der sog. Bolkestein-Richtlinie, dem Entwurf für eine neue europäische Dienstleistungsrichtlinie, Handelshemmnisse für „grenzüberschreitende Dienstleistungen“ beseitigt werden. Ihr Kernstück war das „Herkunftslandprinzip“, wonach Firmen nur die Tarife des Landes zu zahlen hätten, in dem sich ihr Sitz befindet. Dieses konnte letztlich abgewehrt werden. Doch was Bolkestein vorsah, ist längst Realität. Dank der „Dienstleistungsfreiheit“ in der EU ist es möglich, dass über (Schein-)Firmen in osteuropäischen Staaten bereits jetzt ArbeiterInnen zu dort üblichen Löhnen entsendet werden. Eigentlich müssten diese Firmen im jeweiligen Herkunftsland dasselbe Gewerbe betreiben. Aber in der Regel reicht der Nachweis, dass im Heimatland Sozialabgaben gezahlt werden.
Mit der Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt es, die KollegInnen vor solchen Praktiken zu verteidigen – auch im eigenen Interesse. Denn erfahrungsgemäß werden mit dem Dumping bei isolierten KollegInnen immer auch Keile zwischen die ArbeiterInnen getrieben und allgemeine Kürzungen vorbereitet. Grenzüberschreitende Aktionen, wie die bei der deutschen Firma Grenzland durch FAU und ZSP (siehe Im Grenzland des Pflanzen-Teufels) werden zukünftig vermehrt im Zentrum gewerkschaftlicher Aktivität stehen müssen. Dass die Regelung gerade am 1. Mai in Kraft tritt, verweist auf eine zentrale Idee, die mit diesem Datum verbunden ist: die internationale Solidarität, die praktisch und dauerhaft werden muss.
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