Die Entmachtung der christlichen CGZP hat maximal eine Marktbereinigung zur Folge, die Misere löst sie nicht
Auf dem Arbeitsmarkt rumort es gewaltig. Noch ist die Vollzeitstelle mit unbefristetem Arbeitsvertrag das Ziel vieler Beschäftigter – die Arbeitswelt driftet aber auseinander und das Ziel rückt vielfach in weite Ferne. Vor allem, weil die Leiharbeit und andere „atypische“ Verträge immer weiter ausufern. Nachdem im Zuge der jüngsten Wirtschaftskrise in Deutschland die allseits gefürchteten Massenentlassungen relativ lautlos, ja unbemerkt über die Bühne gegangen sind – nämlich in der Leiharbeit mit gut 200.000 Betroffenen – erklimmt die „Zeitarbeitsbranche“ seit 2010 neue Höhen. Dieses Jahr überflügelte sie mit 900.000 ArbeiterInnen das Vorkrisenniveau und der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) rechnet damit, dass die Zahl der verliehenen Beschäftigten noch 2011 erstmals die Millionengrenze überschreitet.
Auf der einen Seite stehen also die Festangestellten, die oft überarbeitet sind, weil Stellen eingespart und die Arbeitsbelastung erhöht wurden. Auf der anderen Seite steht eine moderne Form der Arbeitssklaverei: LeiharbeiterInnen oder auch Leasingkräfte. Bei den Wörtern zucken viele zusammen. Ständig auf Bereitschaft, werden sie angerufen, sollen in Spitzenzeiten aushelfen und gehen daran nicht selten zugrunde.
Bis 1967 war die sogenannte „Arbeitnehmerüberlassung“ in der Bundesrepublik Deutschland gesetzlich verboten. Die Thematik war auch danach lange eher als Randerscheinung zu betrachten. Ausgerechnet die rot-grüne Regierung änderte dies jedoch: Mit dem „Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, auch Hartz I genannt, nahm die Zeitarbeitsbranche seit 2003 an Fahrt auf. Auch im Baugewerbe wurde die Leiharbeit zugelassen, Voraussetzung waren damals aber noch allgemein gültige Tarifverträge. Dies war großen Teilen der Wirtschaft ein Dorn im Auge und so wurden bis zum vollständigen Inkrafttreten der Gesetze zum 1. Januar 2004 die ersten speziell für die Leiharbeit gültigen Tarifverträge abgeschlossen.
Das gesetzliche „Equal Pay – Equal Treatment“, das verhindern soll, dass ZeitarbeiterInnen zu schlechteren Bedingungen als Festangestellte eingestellt werden, kann laut Gesetz nur durch derartige Tarifverträge umgangen werden. Das „Equal Pay“-Prinzip wurde mit weiteren derartigen Abschlüssen fast vollständig gekippt. Das Ergebnis: Kaum vorhandene materielle Absicherung geht einher mit sozialer Isolierung, denn durch die Konkurrenz und die oft wechselnden Betriebsstätten können keine Beziehungen zu KollegInnen aufgebaut werden. Das Fehlen von sozialen Netzwerken innerhalb der Belegschaft führt so oft zum sozialen Abstieg und unterbindet nebenbei Solidarisierung und Selbstorganisierung der Belegschaft.
Heutzutage ist fast der gesamte Leiharbeitsmarkt durch Tarifabschlüsse nicht an das „Equal Pay“-Prinzip gebunden. Neue Hoffnung für viele LeiharbeiterInnen brachte erst eine Klage des Landes Berlin und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen die Abschlüsse der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP). Im Dezember 2009 hatte das Landesarbeitsgericht Berlin die CGZP für tarifunfähig erklärt (siehe Direkte Aktion #197), dies wurde am 14.12.2010 vom Bundesarbeitsgericht bestätigt: Somit kann die Organisation seitdem keine Tarifverträge mehr abschließen. Das Bundesarbeitsgericht ließ offen, ob die Tarifunfähigkeit auch rückwirkend gelte, das Landesarbeitsgericht Berlin annullierte im Mai 2011 schließlich auch die alten CGZP-Tarifverträge. Nun können die 200.000 ArbeitnehmerInnen Lohnnachzahlungen einfordern; zudem drohen den Leiharbeitsfirmen auch Nachforderungen seitens der Sozialversicherungsträger. Für die Wirtschaft bedeutet dies allein zwei bis drei Milliarden Euro an Nachzahlungen. Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings die Tatsache, dass auch DGB-Gewerkschaften Leiharbeitstarifverträge abgeschlossen haben, die zur Umgehung des „Equal Pay“-Prinzips dienen.
Die Stadt Hamburg hat inzwischen angekündigt, LeiharbeiterInnen nur noch zu den Bedingungen der Festangestellten zu beschäftigen. In der Hansestadt seien 2.200 LeiharbeiterInnen im öffentlichen Dienst beschäftigt, die nun die gleichen Rechte wie ihre festangestellten Kolleginnen bekommen sollen. Der Senat plant außerdem, „den Missbrauch von Leiharbeit im öffentlichen Dienst, in Anstalten des öffentlichen Rechtes und allen seinen Beteiligten zu verhindern“. Es bleibt abzuwarten, wie dies umgesetzt wird, zumal die Landesregierung auch hier in das übliche Muster verfällt, für negative Konsequenzen der Leiharbeit deren vermeintlichen Missbrauch verantwortlich zu machen.
Eine Einschränkung der Ausbreitung der Leiharbeit wäre dennoch dringend notwendig. Der Arbeitsmarkt spaltet sich immer weiter und lässt die Anzahl der sogenannten „working poor“ wachsen. Inzwischen sind 18% der Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnsektor angesiedelt. Viele Menschen gehen nur noch dem sozialen Status wegen einer beruflichen Tätigkeit nach: um den Anschluss nicht zu verlieren. Finanziell macht Arbeit oft keinen Sinn, da der Lohn auf Hartz IV-Niveau oder sogar darunter liegt. Bezeichnend ist auch, dass sich deshalb immer mehr Beschäftigte gezwungen sehen, ihre Dumpinglöhne mit Hartz IV aufzustocken. In der Konsequenz stellt dies nichts als eine öffentliche Subventionierung von Löhnen unter dem Existenzminimum dar. Letzteres bezifferte die Bundesregierung für Alleinstehende zuletzt auf stattliche 638 Euro im Monat.
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